knien, und selbst vor ihnen will ich auf die Knie fallen, wenn das Knien ein so sehr verdienstli- ches Werck ist. Ergäntzen sie das nur nicht, was noch an den Verfolgungen meines grausa- men Bruders fehlet.
Wenn alle Knechtschaft, wenn alle Anbetung, die ich ihnen Lebenslang verspreche - - Ach Fräu- lein, sie verlangen von andern Mitleiden, und erzeigen doch selbst kein Mitleiden.
Soll ich gegen mich grausam seyn, um mit- leidig gegen sie zu heissen? Mein Herr, neh- men sie mein Gut hin, weil sie hier im Hause so gut angeschrieben sind; ich will es von Hertzen gern zugeben. Lassen sie mir nur mich selbst. Erzeigen sie andern das Mitleiden, das sie von andern verlangen.
Meinen sie meine Anverwanten, Fräulein? So unwürdig diese meines Mitleidens sind, so soll doch alles geschehen, was sie befehlen wer- den.
Jch? Soll ich sie wider ihre Natur mitlei- dig machen? Soll ich durch Verlust meiner ei- genen Glückseeligkeit ihren Verwanten ein Glück erkauffen? Was ich aber jetzt meinte, ist ihr Mit- leiden gegen mich. Da sie bey den Meinigen so viel ausrichten können, so beweisen sie darin ihr Mitleiden gegen mich: sagen sie den Meinigen, sie fänden, daß ich meine Abneigung nicht über- winden könnte. Wenn sie ein verständiger Mann sind, so setzen sie hinzu, daß ihnen ihre Zufriedenheit zu lieb ist, als daß sie sich wagen
wol-
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der Clariſſa.
knien, und ſelbſt vor ihnen will ich auf die Knie fallen, wenn das Knien ein ſo ſehr verdienſtli- ches Werck iſt. Ergaͤntzen ſie das nur nicht, was noch an den Verfolgungen meines grauſa- men Bruders fehlet.
Wenn alle Knechtſchaft, wenn alle Anbetung, die ich ihnen Lebenslang verſpreche ‒ ‒ Ach Fraͤu- lein, ſie verlangen von andern Mitleiden, und erzeigen doch ſelbſt kein Mitleiden.
Soll ich gegen mich grauſam ſeyn, um mit- leidig gegen ſie zu heiſſen? Mein Herr, neh- men ſie mein Gut hin, weil ſie hier im Hauſe ſo gut angeſchrieben ſind; ich will es von Hertzen gern zugeben. Laſſen ſie mir nur mich ſelbſt. Erzeigen ſie andern das Mitleiden, das ſie von andern verlangen.
Meinen ſie meine Anverwanten, Fraͤulein? So unwuͤrdig dieſe meines Mitleidens ſind, ſo ſoll doch alles geſchehen, was ſie befehlen wer- den.
Jch? Soll ich ſie wider ihre Natur mitlei- dig machen? Soll ich durch Verluſt meiner ei- genen Gluͤckſeeligkeit ihren Verwanten ein Gluͤck erkauffen? Was ich aber jetzt meinte, iſt ihr Mit- leiden gegen mich. Da ſie bey den Meinigen ſo viel ausrichten koͤnnen, ſo beweiſen ſie darin ihr Mitleiden gegen mich: ſagen ſie den Meinigen, ſie faͤnden, daß ich meine Abneigung nicht uͤber- winden koͤnnte. Wenn ſie ein verſtaͤndiger Mann ſind, ſo ſetzen ſie hinzu, daß ihnen ihre Zufriedenheit zu lieb iſt, als daß ſie ſich wagen
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der Clariſſa.
knien, und ſelbſt vor ihnen will ich auf die Knie
fallen, wenn das Knien ein ſo ſehr verdienſtli-
ches Werck iſt. Ergaͤntzen ſie das nur nicht,
was noch an den Verfolgungen meines grauſa-
men Bruders fehlet.
Wenn alle Knechtſchaft, wenn alle Anbetung,
die ich ihnen Lebenslang verſpreche ‒ ‒ Ach Fraͤu-
lein, ſie verlangen von andern Mitleiden, und
erzeigen doch ſelbſt kein Mitleiden.
Soll ich gegen mich grauſam ſeyn, um mit-
leidig gegen ſie zu heiſſen? Mein Herr, neh-
men ſie mein Gut hin, weil ſie hier im Hauſe ſo
gut angeſchrieben ſind; ich will es von Hertzen
gern zugeben. Laſſen ſie mir nur mich ſelbſt.
Erzeigen ſie andern das Mitleiden, das ſie von
andern verlangen.
Meinen ſie meine Anverwanten, Fraͤulein?
So unwuͤrdig dieſe meines Mitleidens ſind, ſo
ſoll doch alles geſchehen, was ſie befehlen wer-
den.
Jch? Soll ich ſie wider ihre Natur mitlei-
dig machen? Soll ich durch Verluſt meiner ei-
genen Gluͤckſeeligkeit ihren Verwanten ein Gluͤck
erkauffen? Was ich aber jetzt meinte, iſt ihr Mit-
leiden gegen mich. Da ſie bey den Meinigen ſo
viel ausrichten koͤnnen, ſo beweiſen ſie darin ihr
Mitleiden gegen mich: ſagen ſie den Meinigen,
ſie faͤnden, daß ich meine Abneigung nicht uͤber-
winden koͤnnte. Wenn ſie ein verſtaͤndiger
Mann ſind, ſo ſetzen ſie hinzu, daß ihnen ihre
Zufriedenheit zu lieb iſt, als daß ſie ſich wagen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/363>, abgerufen am 25.11.2024.
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