Sie nahm die Schlüssel hin, umarmete mich, und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch mehr sagen, allein ich merckte, daß sie sich scheue- te, es in Gegenwart der Elisabeth zu thun.
Jch sagte: bedauren sie mich nicht. Es wird ihnen als eine Sünde angerechnet werden. Sie sehen ja, wer nicht weit von uns ist.
Das unverschämte Thier lächelte, und unter- stand sich zu sagen: wenn eine Fräulein mit der andern in solchen Umständen Mitleiden hat, so kan man von der jüngern Fräulein auch gute Hoffnung auf das künftige haben.
Jch nennete sie ein abgeschmacktes Ding, und befahl ihr, sie sollte mir vor den Augen wegge- hen.
Sie sagte: von Hertzen gern wollte sie das thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh- len hätte, bey mir zu bleiben.
Die Ursache hievon erfuhr ich bald. Denn als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte, nachdem mich Dorthgen verlassen hatte, so sag- te sie mir: sie hätte Befehl (so leid es ihr auch thäte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge- hen möchte.
Jch antwortete ihr: so eine dreiste Magd als sie sollte mir das nicht verbieten.
Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich herein, und begegnete mir in der Thür.
Zurück! zurück! Fräulein (sagte er) jetzt könnt ihr nicht auf die Stube gehen.
Jch
Die Geſchichte
Sie nahm die Schluͤſſel hin, umarmete mich, und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch mehr ſagen, allein ich merckte, daß ſie ſich ſcheue- te, es in Gegenwart der Eliſabeth zu thun.
Jch ſagte: bedauren ſie mich nicht. Es wird ihnen als eine Suͤnde angerechnet werden. Sie ſehen ja, wer nicht weit von uns iſt.
Das unverſchaͤmte Thier laͤchelte, und unter- ſtand ſich zu ſagen: wenn eine Fraͤulein mit der andern in ſolchen Umſtaͤnden Mitleiden hat, ſo kan man von der juͤngern Fraͤulein auch gute Hoffnung auf das kuͤnftige haben.
Jch nennete ſie ein abgeſchmacktes Ding, und befahl ihr, ſie ſollte mir vor den Augen wegge- hen.
Sie ſagte: von Hertzen gern wollte ſie das thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh- len haͤtte, bey mir zu bleiben.
Die Urſache hievon erfuhr ich bald. Denn als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte, nachdem mich Dorthgen verlaſſen hatte, ſo ſag- te ſie mir: ſie haͤtte Befehl (ſo leid es ihr auch thaͤte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge- hen moͤchte.
Jch antwortete ihr: ſo eine dreiſte Magd als ſie ſollte mir das nicht verbieten.
Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich herein, und begegnete mir in der Thuͤr.
Zuruͤck! zuruͤck! Fraͤulein (ſagte er) jetzt koͤnnt ihr nicht auf die Stube gehen.
Jch
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Die Geſchichte
Sie nahm die Schluͤſſel hin, umarmete mich,
und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch
mehr ſagen, allein ich merckte, daß ſie ſich ſcheue-
te, es in Gegenwart der Eliſabeth zu thun.
Jch ſagte: bedauren ſie mich nicht. Es wird
ihnen als eine Suͤnde angerechnet werden. Sie
ſehen ja, wer nicht weit von uns iſt.
Das unverſchaͤmte Thier laͤchelte, und unter-
ſtand ſich zu ſagen: wenn eine Fraͤulein mit der
andern in ſolchen Umſtaͤnden Mitleiden hat, ſo
kan man von der juͤngern Fraͤulein auch gute
Hoffnung auf das kuͤnftige haben.
Jch nennete ſie ein abgeſchmacktes Ding, und
befahl ihr, ſie ſollte mir vor den Augen wegge-
hen.
Sie ſagte: von Hertzen gern wollte ſie das
thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh-
len haͤtte, bey mir zu bleiben.
Die Urſache hievon erfuhr ich bald. Denn
als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte,
nachdem mich Dorthgen verlaſſen hatte, ſo ſag-
te ſie mir: ſie haͤtte Befehl (ſo leid es ihr auch
thaͤte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge-
hen moͤchte.
Jch antwortete ihr: ſo eine dreiſte Magd als
ſie ſollte mir das nicht verbieten.
Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich
herein, und begegnete mir in der Thuͤr.
Zuruͤck! zuruͤck! Fraͤulein (ſagte er) jetzt koͤnnt
ihr nicht auf die Stube gehen.
Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/346>, abgerufen am 23.11.2024.
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