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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.
setzte mich auf die erste Banck nieder, und schlug
meiner Elisabeth Schürtze über das Gesicht.
Jch lehnte mich an sie, schlug meine Hände in
ihre Hände, und ließ darauf meine Betrübniß,
oder Unwillen, oder beydes zusammes, in häuffi-
ge Thränen ausbrechen. Dieses erhielt mich
vielleicht, daß ich nicht in Ohnmacht sanck: denn
ich fand so gleich, daß mir das Hertz leichter
ward.

Jch habe Jhnen schon sonst Proben von der
Dreistigkeit meiner Elisabeth erzählt, und ich
will sie jetzt nicht von neuen damit aufhalten.
Ob gleich die Hexe meinen Kummer sahe, so
war sie doch so frey gegen mich, als sie sahe, daß
ich wieder ein wenig zu mir selbst gekommen war,
daß ich ihr schlechterdings das Reden verbieten
muste. Darauf ging sie mit einem eigensinni-
gen und trüben Gesichte hinter mir her.

Es währte fast eine Stunde, ehe ich wieder
geruffen ward. Meine Base, Fröulein Dorth-
gen Hervey/
ward darauf an mich geschickt,
die mir mit einer mitleidigen und höflichen Mi-
ne sagte, daß man sich nach meiner Gesellschaft
sehnete. Denn, wie Sie wissen, hat mich Fräu-
lein Hervey sehr lieb, und pflegt sich meine Schü-
lerin zu nennen.

Elisabeth ließ uns allein. Jch fragte: wer
sehnt sich denn nach meiner Gesellschafft? Ha-
ben sie nicht geweint, Fräulein?

Wer kan sich des Weinens enthalten? ant-
wortete sie.

Wie?
X 3

der Clariſſa.
ſetzte mich auf die erſte Banck nieder, und ſchlug
meiner Eliſabeth Schuͤrtze uͤber das Geſicht.
Jch lehnte mich an ſie, ſchlug meine Haͤnde in
ihre Haͤnde, und ließ darauf meine Betruͤbniß,
oder Unwillen, oder beydes zuſammes, in haͤuffi-
ge Thraͤnen ausbrechen. Dieſes erhielt mich
vielleicht, daß ich nicht in Ohnmacht ſanck: denn
ich fand ſo gleich, daß mir das Hertz leichter
ward.

Jch habe Jhnen ſchon ſonſt Proben von der
Dreiſtigkeit meiner Eliſabeth erzaͤhlt, und ich
will ſie jetzt nicht von neuen damit aufhalten.
Ob gleich die Hexe meinen Kummer ſahe, ſo
war ſie doch ſo frey gegen mich, als ſie ſahe, daß
ich wieder ein wenig zu mir ſelbſt gekommen war,
daß ich ihr ſchlechterdings das Reden verbieten
muſte. Darauf ging ſie mit einem eigenſinni-
gen und truͤben Geſichte hinter mir her.

Es waͤhrte faſt eine Stunde, ehe ich wieder
geruffen ward. Meine Baſe, Froͤulein Dorth-
gen Hervey/
ward darauf an mich geſchickt,
die mir mit einer mitleidigen und hoͤflichen Mi-
ne ſagte, daß man ſich nach meiner Geſellſchaft
ſehnete. Denn, wie Sie wiſſen, hat mich Fraͤu-
lein Hervey ſehr lieb, und pflegt ſich meine Schuͤ-
lerin zu nennen.

Eliſabeth ließ uns allein. Jch fragte: wer
ſehnt ſich denn nach meiner Geſellſchafft? Ha-
ben ſie nicht geweint, Fraͤulein?

Wer kan ſich des Weinens enthalten? ant-
wortete ſie.

Wie?
X 3
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[325/0331] der Clariſſa. ſetzte mich auf die erſte Banck nieder, und ſchlug meiner Eliſabeth Schuͤrtze uͤber das Geſicht. Jch lehnte mich an ſie, ſchlug meine Haͤnde in ihre Haͤnde, und ließ darauf meine Betruͤbniß, oder Unwillen, oder beydes zuſammes, in haͤuffi- ge Thraͤnen ausbrechen. Dieſes erhielt mich vielleicht, daß ich nicht in Ohnmacht ſanck: denn ich fand ſo gleich, daß mir das Hertz leichter ward. Jch habe Jhnen ſchon ſonſt Proben von der Dreiſtigkeit meiner Eliſabeth erzaͤhlt, und ich will ſie jetzt nicht von neuen damit aufhalten. Ob gleich die Hexe meinen Kummer ſahe, ſo war ſie doch ſo frey gegen mich, als ſie ſahe, daß ich wieder ein wenig zu mir ſelbſt gekommen war, daß ich ihr ſchlechterdings das Reden verbieten muſte. Darauf ging ſie mit einem eigenſinni- gen und truͤben Geſichte hinter mir her. Es waͤhrte faſt eine Stunde, ehe ich wieder geruffen ward. Meine Baſe, Froͤulein Dorth- gen Hervey/ ward darauf an mich geſchickt, die mir mit einer mitleidigen und hoͤflichen Mi- ne ſagte, daß man ſich nach meiner Geſellſchaft ſehnete. Denn, wie Sie wiſſen, hat mich Fraͤu- lein Hervey ſehr lieb, und pflegt ſich meine Schuͤ- lerin zu nennen. Eliſabeth ließ uns allein. Jch fragte: wer ſehnt ſich denn nach meiner Geſellſchafft? Ha- ben ſie nicht geweint, Fraͤulein? Wer kan ſich des Weinens enthalten? ant- wortete ſie. Wie? X 3

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/331>, abgerufen am 17.09.2024.