such beharren, da sie doch wissen, daß ich um ih- rentwillen eingesperret, und aus meiner Eltern Gegenwart verwiesen bin, und daß mir alles Hertzeleid angethan wird, um mich zu zwingen das zu werden, was ich doch niemals werden kan. Und diese Ohnmöglichkeit rührt nicht aus Eigensinn, sondern aus einer unüberwindlichen Abneigung her. Jch sagt ihnen jetzt, was ich andern schon oft gesagt habe.
Halten sie mich entschuldiget? (zu meinem Onckle) Jch weiß, daß ich ihnen als meines Va- ters Bruder Gehorsam schuldig bin. Jch bitte sie um Vergebung, daß ich nicht gehorchen kan. Mein Bruder aber ist nur mein Bruder; der soll nicht über mich herrschen. Zieht nur (gegen meinen Bruder) so viel Runtzeln als ihr wollt, und macht noch so ein gefährlich Gesichte: ich frage euch, ob ihr bereit seyn würdet, eben so viel anfzuopfern, als ich habe aufopfern wollen, um die Liebe der eurigen beyzubehalten? Wenn ihr nicht Lust dazu habt, so möchte ich wissen, was ihr für Recht zu haben meynt, mir so zu begegnen, und andere so gegen mich zu erbit- tern?
Jch war bey diesen Reden in grose Unord- nung gerathen, und jene schwiegen endlich stille. Aus ihrem Gesichte mußte ich schliesen, daß sie mit einander reden wollten: sie gingen biswei- len auf und nieder, und sahen sehr verwirret aus. Jch setzte mich nieder und wehete mich mit dem Fechtel. Weil ich von ohngefehr dem Spiegel
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der Clariſſa.
ſuch beharren, da ſie doch wiſſen, daß ich um ih- rentwillen eingeſperret, und aus meiner Eltern Gegenwart verwieſen bin, und daß mir alles Hertzeleid angethan wird, um mich zu zwingen das zu werden, was ich doch niemals werden kan. Und dieſe Ohnmoͤglichkeit ruͤhrt nicht aus Eigenſinn, ſondern aus einer unuͤberwindlichen Abneigung her. Jch ſagt ihnen jetzt, was ich andern ſchon oft geſagt habe.
Halten ſie mich entſchuldiget? (zu meinem Onckle) Jch weiß, daß ich ihnen als meines Va- ters Bruder Gehorſam ſchuldig bin. Jch bitte ſie um Vergebung, daß ich nicht gehorchen kan. Mein Bruder aber iſt nur mein Bruder; der ſoll nicht uͤber mich herrſchen. Zieht nur (gegen meinen Bruder) ſo viel Runtzeln als ihr wollt, und macht noch ſo ein gefaͤhrlich Geſichte: ich frage euch, ob ihr bereit ſeyn wuͤrdet, eben ſo viel anfzuopfern, als ich habe aufopfern wollen, um die Liebe der eurigen beyzubehalten? Wenn ihr nicht Luſt dazu habt, ſo moͤchte ich wiſſen, was ihr fuͤr Recht zu haben meynt, mir ſo zu begegnen, und andere ſo gegen mich zu erbit- tern?
Jch war bey dieſen Reden in groſe Unord- nung gerathen, und jene ſchwiegen endlich ſtille. Aus ihrem Geſichte mußte ich ſchlieſen, daß ſie mit einander reden wollten: ſie gingen biswei- len auf und nieder, und ſahen ſehr verwirret aus. Jch ſetzte mich nieder und wehete mich mit dem Fechtel. Weil ich von ohngefehr dem Spiegel
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der Clariſſa.
ſuch beharren, da ſie doch wiſſen, daß ich um ih-
rentwillen eingeſperret, und aus meiner Eltern
Gegenwart verwieſen bin, und daß mir alles
Hertzeleid angethan wird, um mich zu zwingen
das zu werden, was ich doch niemals werden
kan. Und dieſe Ohnmoͤglichkeit ruͤhrt nicht aus
Eigenſinn, ſondern aus einer unuͤberwindlichen
Abneigung her. Jch ſagt ihnen jetzt, was ich
andern ſchon oft geſagt habe.
Halten ſie mich entſchuldiget? (zu meinem
Onckle) Jch weiß, daß ich ihnen als meines Va-
ters Bruder Gehorſam ſchuldig bin. Jch bitte
ſie um Vergebung, daß ich nicht gehorchen kan.
Mein Bruder aber iſt nur mein Bruder; der
ſoll nicht uͤber mich herrſchen. Zieht nur (gegen
meinen Bruder) ſo viel Runtzeln als ihr wollt,
und macht noch ſo ein gefaͤhrlich Geſichte: ich
frage euch, ob ihr bereit ſeyn wuͤrdet, eben ſo
viel anfzuopfern, als ich habe aufopfern wollen,
um die Liebe der eurigen beyzubehalten? Wenn
ihr nicht Luſt dazu habt, ſo moͤchte ich wiſſen,
was ihr fuͤr Recht zu haben meynt, mir ſo zu
begegnen, und andere ſo gegen mich zu erbit-
tern?
Jch war bey dieſen Reden in groſe Unord-
nung gerathen, und jene ſchwiegen endlich ſtille.
Aus ihrem Geſichte mußte ich ſchlieſen, daß ſie
mit einander reden wollten: ſie gingen biswei-
len auf und nieder, und ſahen ſehr verwirret aus.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/329>, abgerufen am 25.11.2024.
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