Niemand verlangt ihres Gros-Vaters Gut von ihnen, Fräulein. Niemand begehrt es, daß sie unverheyrathet bleiben sollen. Sie wissen, was für Ursachen wir haben: und ihre Ursachen können wir errathen: und, so lieb wir sie auch haben, so muß ich ihnen doch bezeugen, daß wir sie lieber zum Grabe begleiten wollten, als zugeben, daß ihre Absichten erreicht würden.
Jch will mich aber verbindlich machen, nie- mand ohne meines Vaters, und ihren, und aller übrigen willen zu heyrathen. Habe ich ihnen jemahls Anlaß gegeben, in meine Zusage ein Mistrauen zu setzen? Jch will den allertheure- sten Eyd abschweren, der ausgefunden werden kan - -
Das ist (unterbrach er mit starcker Stimme) der Eyd der Ehe, und den sollen sie diesem Herrn leisten. Es soll, es soll so seyn, Clärchen. Je mehr sie sich dagegen setzen, desto schlimmer wird es für sie seyn.
Diese Ausdrücke, die in Gegenwart eines Mannes vorfielen, welcher dadurch mehr Hertz zu fassen schien, brachten mich sehr auf. Jch sagte: nun so sollen sie mich denn auch eher zum Grabe geleiten, als daß ich dieses thun sollte. Jch will lieber den grausamsten Tod überneh- men, lieber in das fürchterliche Grab meiner Vorfahren hineingehen, und mich darin vermau- ren lassen, als mit meinem Willen auf Lebens- lang unglücklich werden. Und sie, Herr Sol- mes/ mercken sie was ich sage: ich will lieber
die-
Die Geſchichte
Niemand verlangt ihres Gros-Vaters Gut von ihnen, Fraͤulein. Niemand begehrt es, daß ſie unverheyrathet bleiben ſollen. Sie wiſſen, was fuͤr Urſachen wir haben: und ihre Urſachen koͤnnen wir errathen: und, ſo lieb wir ſie auch haben, ſo muß ich ihnen doch bezeugen, daß wir ſie lieber zum Grabe begleiten wollten, als zugeben, daß ihre Abſichten erreicht wuͤrden.
Jch will mich aber verbindlich machen, nie- mand ohne meines Vaters, und ihren, und aller uͤbrigen willen zu heyrathen. Habe ich ihnen jemahls Anlaß gegeben, in meine Zuſage ein Mistrauen zu ſetzen? Jch will den allertheure- ſten Eyd abſchweren, der ausgefunden werden kan ‒ ‒
Das iſt (unterbrach er mit ſtarcker Stimme) der Eyd der Ehe, und den ſollen ſie dieſem Herrn leiſten. Es ſoll, es ſoll ſo ſeyn, Claͤrchen. Je mehr ſie ſich dagegen ſetzen, deſto ſchlimmer wird es fuͤr ſie ſeyn.
Dieſe Ausdruͤcke, die in Gegenwart eines Mannes vorfielen, welcher dadurch mehr Hertz zu faſſen ſchien, brachten mich ſehr auf. Jch ſagte: nun ſo ſollen ſie mich denn auch eher zum Grabe geleiten, als daß ich dieſes thun ſollte. Jch will lieber den grauſamſten Tod uͤberneh- men, lieber in das fuͤrchterliche Grab meiner Vorfahren hineingehen, und mich darin vermau- ren laſſen, als mit meinem Willen auf Lebens- lang ungluͤcklich werden. Und ſie, Herr Sol- mes/ mercken ſie was ich ſage: ich will lieber
die-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0320"n="314"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><p>Niemand verlangt ihres Gros-Vaters Gut<lb/>
von ihnen, Fraͤulein. Niemand begehrt es, daß<lb/>ſie unverheyrathet bleiben ſollen. Sie wiſſen,<lb/>
was fuͤr Urſachen wir haben: und ihre Urſachen<lb/>
koͤnnen wir errathen: und, ſo lieb wir ſie auch<lb/>
haben, ſo muß ich ihnen doch bezeugen, daß<lb/>
wir ſie lieber zum Grabe begleiten wollten, als<lb/>
zugeben, daß ihre Abſichten erreicht wuͤrden.</p><lb/><p>Jch will mich aber verbindlich machen, nie-<lb/>
mand ohne meines Vaters, und ihren, und aller<lb/>
uͤbrigen willen zu heyrathen. Habe ich ihnen<lb/>
jemahls Anlaß gegeben, in meine Zuſage ein<lb/>
Mistrauen zu ſetzen? Jch will den allertheure-<lb/>ſten Eyd abſchweren, der ausgefunden werden<lb/>
kan ‒‒</p><lb/><p>Das iſt (unterbrach er mit ſtarcker Stimme)<lb/>
der Eyd der Ehe, und den ſollen ſie dieſem Herrn<lb/>
leiſten. Es ſoll, es ſoll ſo ſeyn, <hirendition="#fr">Claͤrchen.</hi><lb/>
Je mehr ſie ſich dagegen ſetzen, deſto ſchlimmer<lb/>
wird es fuͤr ſie ſeyn.</p><lb/><p>Dieſe Ausdruͤcke, die in Gegenwart eines<lb/>
Mannes vorfielen, welcher dadurch mehr Hertz<lb/>
zu faſſen ſchien, brachten mich ſehr auf. Jch<lb/>ſagte: nun ſo ſollen ſie mich denn auch eher zum<lb/>
Grabe geleiten, als daß ich dieſes thun ſollte.<lb/>
Jch will lieber den grauſamſten Tod uͤberneh-<lb/>
men, lieber in das fuͤrchterliche Grab meiner<lb/>
Vorfahren hineingehen, und mich darin vermau-<lb/>
ren laſſen, als mit meinem Willen auf Lebens-<lb/>
lang ungluͤcklich werden. Und ſie, Herr <hirendition="#fr">Sol-<lb/>
mes/</hi> mercken ſie was ich ſage: ich will lieber<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[314/0320]
Die Geſchichte
Niemand verlangt ihres Gros-Vaters Gut
von ihnen, Fraͤulein. Niemand begehrt es, daß
ſie unverheyrathet bleiben ſollen. Sie wiſſen,
was fuͤr Urſachen wir haben: und ihre Urſachen
koͤnnen wir errathen: und, ſo lieb wir ſie auch
haben, ſo muß ich ihnen doch bezeugen, daß
wir ſie lieber zum Grabe begleiten wollten, als
zugeben, daß ihre Abſichten erreicht wuͤrden.
Jch will mich aber verbindlich machen, nie-
mand ohne meines Vaters, und ihren, und aller
uͤbrigen willen zu heyrathen. Habe ich ihnen
jemahls Anlaß gegeben, in meine Zuſage ein
Mistrauen zu ſetzen? Jch will den allertheure-
ſten Eyd abſchweren, der ausgefunden werden
kan ‒ ‒
Das iſt (unterbrach er mit ſtarcker Stimme)
der Eyd der Ehe, und den ſollen ſie dieſem Herrn
leiſten. Es ſoll, es ſoll ſo ſeyn, Claͤrchen.
Je mehr ſie ſich dagegen ſetzen, deſto ſchlimmer
wird es fuͤr ſie ſeyn.
Dieſe Ausdruͤcke, die in Gegenwart eines
Mannes vorfielen, welcher dadurch mehr Hertz
zu faſſen ſchien, brachten mich ſehr auf. Jch
ſagte: nun ſo ſollen ſie mich denn auch eher zum
Grabe geleiten, als daß ich dieſes thun ſollte.
Jch will lieber den grauſamſten Tod uͤberneh-
men, lieber in das fuͤrchterliche Grab meiner
Vorfahren hineingehen, und mich darin vermau-
ren laſſen, als mit meinem Willen auf Lebens-
lang ungluͤcklich werden. Und ſie, Herr Sol-
mes/ mercken ſie was ich ſage: ich will lieber
die-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/320>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.