gethan, die man wohl hätte annehmen können, und die sich niemand würde unterstanden haben, von mir zu fodern. Was habe ich gethan, da- durch ich verdiene, auf eine so schimpfliche Art aus aller Gesellschaft verwiesen, und auf meine Stube eingesperret zu werden? und warum sucht man mir meine Freyheit in einer Sache zu rau- ben, auf der meine jetzige und künftige Glück- seeligkeit beruhet?
Fräulein Clärchen/ sie haben bisher in allen Dingen ihren eigenen Willen gehabt: darum ist ihnen jetzt der Wille ihrer Eltern so beschwer- lich.
Meinen Willen? Erlauben sie mir, mein lieber Onckle, sie zu fragen, was bisher mein Wille gewesen ist, als blos meines Vaters, und ihr, und meines Onckles Harlowes Wille? Habe ich nicht stets meine Ehre darin gesucht, gehorsam und gefällig zu seyn? Jch habe nie um etwas gebeten, ohne vorher wohl zu überle- gen, ob es mir auch könnte zugestanden werden. Habe ich nicht noch jetzt darin eine Probe mei- nes Gehorsams gegeben, da ich mich erboten ha- be, unverheyrathet zu bleiben? Habe ich mich nicht erboten, mich des groß-väterlichen Ver- mächtnisses zu begeben, und blos der Gnade und Güte meines Vaters zu leben, der mir alles ent- ziehen könnte, wenn ich ihn in irgend einer Sa- che beleidigte? Warum soll ich, mein lieber Onckle, in dem Stücke unglücklich gemacht wer- den, auf das alles mein wahres Glück ankommt?
Nie-
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der Clariſſa.
gethan, die man wohl haͤtte annehmen koͤnnen, und die ſich niemand wuͤrde unterſtanden haben, von mir zu fodern. Was habe ich gethan, da- durch ich verdiene, auf eine ſo ſchimpfliche Art aus aller Geſellſchaft verwieſen, und auf meine Stube eingeſperret zu werden? und warum ſucht man mir meine Freyheit in einer Sache zu rau- ben, auf der meine jetzige und kuͤnftige Gluͤck- ſeeligkeit beruhet?
Fraͤulein Claͤrchen/ ſie haben bisher in allen Dingen ihren eigenen Willen gehabt: darum iſt ihnen jetzt der Wille ihrer Eltern ſo beſchwer- lich.
Meinen Willen? Erlauben ſie mir, mein lieber Onckle, ſie zu fragen, was bisher mein Wille geweſen iſt, als blos meines Vaters, und ihr, und meines Onckles Harlowes Wille? Habe ich nicht ſtets meine Ehre darin geſucht, gehorſam und gefaͤllig zu ſeyn? Jch habe nie um etwas gebeten, ohne vorher wohl zu uͤberle- gen, ob es mir auch koͤnnte zugeſtanden werden. Habe ich nicht noch jetzt darin eine Probe mei- nes Gehorſams gegeben, da ich mich erboten ha- be, unverheyrathet zu bleiben? Habe ich mich nicht erboten, mich des groß-vaͤterlichen Ver- maͤchtniſſes zu begeben, und blos der Gnade und Guͤte meines Vaters zu leben, der mir alles ent- ziehen koͤnnte, wenn ich ihn in irgend einer Sa- che beleidigte? Warum ſoll ich, mein lieber Onckle, in dem Stuͤcke ungluͤcklich gemacht wer- den, auf das alles mein wahres Gluͤck ankommt?
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der Clariſſa.
gethan, die man wohl haͤtte annehmen koͤnnen,
und die ſich niemand wuͤrde unterſtanden haben,
von mir zu fodern. Was habe ich gethan, da-
durch ich verdiene, auf eine ſo ſchimpfliche Art
aus aller Geſellſchaft verwieſen, und auf meine
Stube eingeſperret zu werden? und warum ſucht
man mir meine Freyheit in einer Sache zu rau-
ben, auf der meine jetzige und kuͤnftige Gluͤck-
ſeeligkeit beruhet?
Fraͤulein Claͤrchen/ ſie haben bisher in allen
Dingen ihren eigenen Willen gehabt: darum
iſt ihnen jetzt der Wille ihrer Eltern ſo beſchwer-
lich.
Meinen Willen? Erlauben ſie mir, mein
lieber Onckle, ſie zu fragen, was bisher mein
Wille geweſen iſt, als blos meines Vaters, und
ihr, und meines Onckles Harlowes Wille?
Habe ich nicht ſtets meine Ehre darin geſucht,
gehorſam und gefaͤllig zu ſeyn? Jch habe nie
um etwas gebeten, ohne vorher wohl zu uͤberle-
gen, ob es mir auch koͤnnte zugeſtanden werden.
Habe ich nicht noch jetzt darin eine Probe mei-
nes Gehorſams gegeben, da ich mich erboten ha-
be, unverheyrathet zu bleiben? Habe ich mich
nicht erboten, mich des groß-vaͤterlichen Ver-
maͤchtniſſes zu begeben, und blos der Gnade und
Guͤte meines Vaters zu leben, der mir alles ent-
ziehen koͤnnte, wenn ich ihn in irgend einer Sa-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/319>, abgerufen am 24.11.2024.
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