geben sie nur ihr Gesuch auf. Wenn die Mei- nigen einen andern Freyer zu meiner Straffe auftreiben, so sind sie doch ohne Schuld. Sie werden mich dadurch zur Schuldnerin machen, und mein gantzes Hertz wird ihnen dafür dan- cken.
Er hielt ein wenig ein, und wuste nicht, was er antworten sollte. Jch wollte ihm eben noch deutlichere und stärckere Proben meiner Offen- hertzigkeit geben, die seine Person betroffen ha- ben würden, als mein Onckle Anton herein trat.
So? sagte er zu mir: sie sitzen wie eine Kö- nigin? die Audientz giebet! eine hochmüthige Audientz! Warum stehen sie dort so demüthig, Herr Solmes? Was soll diese Furchtsamkeit, mein guter Mann? Jch hoffe, sie sollen sich ein- ander besser kennen, ehe wir aus einander ge- hen.
Jch war aufgestanden, so bald er herein trat, und nahete mich ihm mit gebeugten Knien, und mit den Worten: ich bitte um Erlaubniß, mei- nem Onckle, den ich so lange nicht gesehen habe, meine Ehrerbietung zu bezeugen, und mir von ihm Liebe und Mitleiden auszubitten.
Sie werden, sagte er, bey jedermann Liebe und Mitleiden finden, meine Base, wenn sie Lie- be und Mitleiden verdienen lernen.
Wenn ich es jemahls verdient habe, antwor- tete ich, so verdiene ich es jetzt. Jch habe viel hartes ertragen müssen. Jch habe Vorschläge
ge-
Die Geſchichte
geben ſie nur ihr Geſuch auf. Wenn die Mei- nigen einen andern Freyer zu meiner Straffe auftreiben, ſo ſind ſie doch ohne Schuld. Sie werden mich dadurch zur Schuldnerin machen, und mein gantzes Hertz wird ihnen dafuͤr dan- cken.
Er hielt ein wenig ein, und wuſte nicht, was er antworten ſollte. Jch wollte ihm eben noch deutlichere und ſtaͤrckere Proben meiner Offen- hertzigkeit geben, die ſeine Perſon betroffen ha- ben wuͤrden, als mein Onckle Anton herein trat.
So? ſagte er zu mir: ſie ſitzen wie eine Koͤ- nigin? die Audientz giebet! eine hochmuͤthige Audientz! Warum ſtehen ſie dort ſo demuͤthig, Herr Solmes? Was ſoll dieſe Furchtſamkeit, mein guter Mann? Jch hoffe, ſie ſollen ſich ein- ander beſſer kennen, ehe wir aus einander ge- hen.
Jch war aufgeſtanden, ſo bald er herein trat, und nahete mich ihm mit gebeugten Knien, und mit den Worten: ich bitte um Erlaubniß, mei- nem Onckle, den ich ſo lange nicht geſehen habe, meine Ehrerbietung zu bezeugen, und mir von ihm Liebe und Mitleiden auszubitten.
Sie werden, ſagte er, bey jedermann Liebe und Mitleiden finden, meine Baſe, wenn ſie Lie- be und Mitleiden verdienen lernen.
Wenn ich es jemahls verdient habe, antwor- tete ich, ſo verdiene ich es jetzt. Jch habe viel hartes ertragen muͤſſen. Jch habe Vorſchlaͤge
ge-
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Die Geſchichte
geben ſie nur ihr Geſuch auf. Wenn die Mei-
nigen einen andern Freyer zu meiner Straffe
auftreiben, ſo ſind ſie doch ohne Schuld. Sie
werden mich dadurch zur Schuldnerin machen,
und mein gantzes Hertz wird ihnen dafuͤr dan-
cken.
Er hielt ein wenig ein, und wuſte nicht, was
er antworten ſollte. Jch wollte ihm eben noch
deutlichere und ſtaͤrckere Proben meiner Offen-
hertzigkeit geben, die ſeine Perſon betroffen ha-
ben wuͤrden, als mein Onckle Anton herein
trat.
So? ſagte er zu mir: ſie ſitzen wie eine Koͤ-
nigin? die Audientz giebet! eine hochmuͤthige
Audientz! Warum ſtehen ſie dort ſo demuͤthig,
Herr Solmes? Was ſoll dieſe Furchtſamkeit,
mein guter Mann? Jch hoffe, ſie ſollen ſich ein-
ander beſſer kennen, ehe wir aus einander ge-
hen.
Jch war aufgeſtanden, ſo bald er herein trat,
und nahete mich ihm mit gebeugten Knien, und
mit den Worten: ich bitte um Erlaubniß, mei-
nem Onckle, den ich ſo lange nicht geſehen habe,
meine Ehrerbietung zu bezeugen, und mir von
ihm Liebe und Mitleiden auszubitten.
Sie werden, ſagte er, bey jedermann Liebe
und Mitleiden finden, meine Baſe, wenn ſie Lie-
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Wenn ich es jemahls verdient habe, antwor-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/318>, abgerufen am 24.11.2024.
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