Denn es wollte sich nicht schicken, daß man mich zu etwas zu überreden suchte, darein ich schon gewilliget haben sollte. Sie sehen auch, wie sonderbahr die Erzählung meines Bruders und meiner Schwester von ihren vorgegebenen freundlichen Betragen gegen mich gewesen seyn müsse. Selbst ihre zum Schein ange- nommene Freundlichkeit hatte Absichten zum Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen mich so starck, daß sie meiner durch ihr recht ver- liebtes Anfassen und umarmen spotten mußten, und daß meine Schwester sich auch damahls nicht enthalten konnte höhnisch gegen mich zu thun, als sie den Thomas a Kempis von mir borgen wollte.
Jch hub Hände und Augen in die Höhe, und sagte: "ich wüßte gar nicht, welchen Nahmen "ich für diese Aufführung ausfindig machen "sollte? Wie wenig ist es doch vermuthlich, daß "der Endzweck durch so niederträchtige Mittel "erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle "diese Künste herkommen! Wer meinen Onckle "Harlowe bewegen konnte, die Person zu spie- "len, die ihm aufgetragin ward, und meine übri- "gen Freunde dahin bringen kan, daß sie müßi- "ge Zuschauer abgeben, und sich alles gefallen "lassen; der muß im Stande seyn, alles was "er will gegen mich zu unternehmen, und meine "Verwanten mit hinein zu ziehen."
Meine Base sagte mir abermahls: Schwa- tzen und Schelten würde nun nichts aus-
rich-
der Clariſſa.
Denn es wollte ſich nicht ſchicken, daß man mich zu etwas zu uͤberreden ſuchte, darein ich ſchon gewilliget haben ſollte. Sie ſehen auch, wie ſonderbahr die Erzaͤhlung meines Bruders und meiner Schweſter von ihren vorgegebenen freundlichen Betragen gegen mich geweſen ſeyn muͤſſe. Selbſt ihre zum Schein ange- nommene Freundlichkeit hatte Abſichten zum Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen mich ſo ſtarck, daß ſie meiner durch ihr recht ver- liebtes Anfaſſen und umarmen ſpotten mußten, und daß meine Schweſter ſich auch damahls nicht enthalten konnte hoͤhniſch gegen mich zu thun, als ſie den Thomas a Kempis von mir borgen wollte.
Jch hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe, und ſagte: „ich wuͤßte gar nicht, welchen Nahmen „ich fuͤr dieſe Auffuͤhrung ausfindig machen „ſollte? Wie wenig iſt es doch vermuthlich, daß „der Endzweck durch ſo niedertraͤchtige Mittel „erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle „dieſe Kuͤnſte herkommen! Wer meinen Onckle „Harlowe bewegen konnte, die Perſon zu ſpie- „len, die ihm aufgetragin ward, und meine uͤbri- „gen Freunde dahin bringen kan, daß ſie muͤßi- „ge Zuſchauer abgeben, und ſich alles gefallen „laſſen; der muß im Stande ſeyn, alles was „er will gegen mich zu unternehmen, und meine „Verwanten mit hinein zu ziehen.„
Meine Baſe ſagte mir abermahls: Schwa- tzen und Schelten wuͤrde nun nichts aus-
rich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0307"n="301"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/>
Denn es wollte ſich nicht ſchicken, daß man mich<lb/>
zu etwas zu uͤberreden ſuchte, darein ich ſchon<lb/>
gewilliget haben ſollte. Sie ſehen auch, wie<lb/>ſonderbahr die Erzaͤhlung meines Bruders und<lb/>
meiner Schweſter von ihren vorgegebenen<lb/><hirendition="#fr">freundlichen Betragen</hi> gegen mich geweſen<lb/>ſeyn muͤſſe. Selbſt ihre zum Schein ange-<lb/>
nommene Freundlichkeit hatte Abſichten zum<lb/>
Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen<lb/>
mich ſo ſtarck, daß ſie meiner durch ihr recht ver-<lb/>
liebtes Anfaſſen und umarmen ſpotten mußten,<lb/>
und daß meine Schweſter ſich auch damahls<lb/>
nicht enthalten konnte hoͤhniſch gegen mich zu<lb/>
thun, als ſie den <hirendition="#fr">Thomas a Kempis</hi> von mir<lb/>
borgen wollte.</p><lb/><p>Jch hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe, und<lb/>ſagte: „ich wuͤßte gar nicht, welchen Nahmen<lb/>„ich fuͤr dieſe Auffuͤhrung ausfindig machen<lb/>„ſollte? Wie wenig iſt es doch vermuthlich, daß<lb/>„der Endzweck durch ſo niedertraͤchtige Mittel<lb/>„erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle<lb/>„dieſe Kuͤnſte herkommen! Wer meinen Onckle<lb/>„<hirendition="#fr">Harlowe</hi> bewegen konnte, die Perſon zu ſpie-<lb/>„len, die ihm aufgetragin ward, und meine uͤbri-<lb/>„gen Freunde dahin bringen kan, daß ſie muͤßi-<lb/>„ge Zuſchauer abgeben, und ſich alles gefallen<lb/>„laſſen; der muß im Stande ſeyn, alles was<lb/>„er will gegen mich zu unternehmen, und meine<lb/>„Verwanten mit hinein zu ziehen.„</p><lb/><p>Meine Baſe ſagte mir abermahls: <hirendition="#fr">Schwa-<lb/>
tzen und Schelten wuͤrde nun nichts aus-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">rich-</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[301/0307]
der Clariſſa.
Denn es wollte ſich nicht ſchicken, daß man mich
zu etwas zu uͤberreden ſuchte, darein ich ſchon
gewilliget haben ſollte. Sie ſehen auch, wie
ſonderbahr die Erzaͤhlung meines Bruders und
meiner Schweſter von ihren vorgegebenen
freundlichen Betragen gegen mich geweſen
ſeyn muͤſſe. Selbſt ihre zum Schein ange-
nommene Freundlichkeit hatte Abſichten zum
Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen
mich ſo ſtarck, daß ſie meiner durch ihr recht ver-
liebtes Anfaſſen und umarmen ſpotten mußten,
und daß meine Schweſter ſich auch damahls
nicht enthalten konnte hoͤhniſch gegen mich zu
thun, als ſie den Thomas a Kempis von mir
borgen wollte.
Jch hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe, und
ſagte: „ich wuͤßte gar nicht, welchen Nahmen
„ich fuͤr dieſe Auffuͤhrung ausfindig machen
„ſollte? Wie wenig iſt es doch vermuthlich, daß
„der Endzweck durch ſo niedertraͤchtige Mittel
„erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle
„dieſe Kuͤnſte herkommen! Wer meinen Onckle
„Harlowe bewegen konnte, die Perſon zu ſpie-
„len, die ihm aufgetragin ward, und meine uͤbri-
„gen Freunde dahin bringen kan, daß ſie muͤßi-
„ge Zuſchauer abgeben, und ſich alles gefallen
„laſſen; der muß im Stande ſeyn, alles was
„er will gegen mich zu unternehmen, und meine
„Verwanten mit hinein zu ziehen.„
Meine Baſe ſagte mir abermahls: Schwa-
tzen und Schelten wuͤrde nun nichts aus-
rich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/307>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.