Einsichten verleugnete, als ein sehr groses gutes Werck vor. Weil ich mir hatte mercken lassen, daß ich wegen meiner bisherigen freyen Auffüh- rung gegen Herrn Solmes mich desto weniger entschliessen könne, ihn zu nehmen; so redete sie viel von der Versöhnlichkeit dieses Mannes, von seiner unendlichen Hochachtung für mich, und von andern Dingen gleicher Art.
Jch bin in meinem Leben nicht so ärgerlich gewesen, als dieses mahl: ich sagte es meiner Basen, und bat sie um Vergebung. Sie ant- wortete, wenn ich in der That so ärgerlich wäre, so müßte ich mich gewiß treflich verstellen kön- nen. Sie merckte nichts davon, und fände nichts an mir als eine kleine wunderliche Furcht- samkeit, die das Frauenzimmer anzunehmen pflegte, wenn ihnen ihr Bewunderer, (wie sie Herrn Solmes mit Recht nennen könnte) das erste mahl aufwartete. Denn dieses sey das erste mahl, da ich verwilliget hätte, ihn als ei- nen Bewunderer von mir zu sprechen. Allein das nächste mahl - -
Jch fiel ihr in das Wort: "also bildet man sich "ein, daß ich ihn auf die Weise zu sprechen ge- "dencke?
Allerdings/ mein Kind!
"Allerdings? So bitte ich sie, suchen sie die- "se Unterredung noch zu hintertreiben. Jch "will und ich kan ihn nicht sprechen, wenn es die "Meinung haben soll."
Tändeley! Pünctlichkeit! nichts als übertriebene Pünctlichkeit/ mein Kind!
Konn-
T 5
der Clariſſa.
Einſichten verleugnete, als ein ſehr groſes gutes Werck vor. Weil ich mir hatte mercken laſſen, daß ich wegen meiner bisherigen freyen Auffuͤh- rung gegen Herrn Solmes mich deſto weniger entſchlieſſen koͤnne, ihn zu nehmen; ſo redete ſie viel von der Verſoͤhnlichkeit dieſes Mannes, von ſeiner unendlichen Hochachtung fuͤr mich, und von andern Dingen gleicher Art.
Jch bin in meinem Leben nicht ſo aͤrgerlich geweſen, als dieſes mahl: ich ſagte es meiner Baſen, und bat ſie um Vergebung. Sie ant- wortete, wenn ich in der That ſo aͤrgerlich waͤre, ſo muͤßte ich mich gewiß treflich verſtellen koͤn- nen. Sie merckte nichts davon, und faͤnde nichts an mir als eine kleine wunderliche Furcht- ſamkeit, die das Frauenzimmer anzunehmen pflegte, wenn ihnen ihr Bewunderer, (wie ſie Herrn Solmes mit Recht nennen koͤnnte) das erſte mahl aufwartete. Denn dieſes ſey das erſte mahl, da ich verwilliget haͤtte, ihn als ei- nen Bewunderer von mir zu ſprechen. Allein das naͤchſte mahl ‒ ‒
Jch fiel ihr in das Wort: „alſo bildet man ſich „ein, daß ich ihn auf die Weiſe zu ſprechen ge- „dencke?
Allerdings/ mein Kind!
„Allerdings? So bitte ich ſie, ſuchen ſie die- „ſe Unterredung noch zu hintertreiben. Jch „will und ich kan ihn nicht ſprechen, wenn es die „Meinung haben ſoll.„
Taͤndeley! Puͤnctlichkeit! nichts als uͤbertriebene Puͤnctlichkeit/ mein Kind!
Konn-
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der Clariſſa.
Einſichten verleugnete, als ein ſehr groſes gutes
Werck vor. Weil ich mir hatte mercken laſſen,
daß ich wegen meiner bisherigen freyen Auffuͤh-
rung gegen Herrn Solmes mich deſto weniger
entſchlieſſen koͤnne, ihn zu nehmen; ſo redete ſie
viel von der Verſoͤhnlichkeit dieſes Mannes, von
ſeiner unendlichen Hochachtung fuͤr mich, und
von andern Dingen gleicher Art.
Jch bin in meinem Leben nicht ſo aͤrgerlich
geweſen, als dieſes mahl: ich ſagte es meiner
Baſen, und bat ſie um Vergebung. Sie ant-
wortete, wenn ich in der That ſo aͤrgerlich waͤre,
ſo muͤßte ich mich gewiß treflich verſtellen koͤn-
nen. Sie merckte nichts davon, und faͤnde
nichts an mir als eine kleine wunderliche Furcht-
ſamkeit, die das Frauenzimmer anzunehmen
pflegte, wenn ihnen ihr Bewunderer, (wie ſie
Herrn Solmes mit Recht nennen koͤnnte) das
erſte mahl aufwartete. Denn dieſes ſey das
erſte mahl, da ich verwilliget haͤtte, ihn als ei-
nen Bewunderer von mir zu ſprechen. Allein
das naͤchſte mahl ‒ ‒
Jch fiel ihr in das Wort: „alſo bildet man ſich
„ein, daß ich ihn auf die Weiſe zu ſprechen ge-
„dencke?
Allerdings/ mein Kind!
„Allerdings? So bitte ich ſie, ſuchen ſie die-
„ſe Unterredung noch zu hintertreiben. Jch
„will und ich kan ihn nicht ſprechen, wenn es die
„Meinung haben ſoll.„
Taͤndeley! Puͤnctlichkeit! nichts als
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/303>, abgerufen am 23.11.2024.
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