Konnte ich nun den Besuch meines Onckles wol als ein Zeichen seiner Liebe gegen mich und als eine Wohlthat ansehen? So begierig ich auch war, dieses zu thun, so ohnmöglich war es mir. Als ich sahe, daß er alle Gelegenheit ver- mied, sich über meine bisherige Aufführung zu beschweren, so that ich dieses gleichfalls, und un- terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die uns nicht angiengen. Er schien bald dieses bald jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls gesehen hätte: und ließ sich bisweilen so weit her- ab, die Hand zu küssen, auf deren Arbeit seine Augen gerichtet waren, um eine Materie der Unterredung zu finden, die uns die Sache aus dem Sinne bringen möchte, die er im Kopfe und ich im Hertzen hatte.
Als er wegging, sagte er: wie kan ich sie hier allein lassen, meine liebste Base! Sie pflegten uns alle durch ihre Gesellschaft aufzumuntern. Niemand ist sich jetzt vermuthen, daß sie herun- ter kommen werden; allein ich habe grosse Lust, ihre Eltern auf eine angenehme Weise zu über- fallen! Wenn ich nur wüßte, daß nichts unan- genehmes daraus erfolgen möchte! O mein Kind! mein Hertz! (Wie konnte sich mein Onckle, mein lieber allzukünstlicher Onckle, so verstellen!) Was sagen sie? Wollen sie mir ihre Hand geben? Wollen sie ihren Vater sprechen? Sind sie im Stande, seine erste Hitze zu ertragen, wenn er das liebenswürdige Kind sehen wird, das ihm
und
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der Clariſſa.
Konnte ich nun den Beſuch meines Onckles wol als ein Zeichen ſeiner Liebe gegen mich und als eine Wohlthat anſehen? So begierig ich auch war, dieſes zu thun, ſo ohnmoͤglich war es mir. Als ich ſahe, daß er alle Gelegenheit ver- mied, ſich uͤber meine bisherige Auffuͤhrung zu beſchweren, ſo that ich dieſes gleichfalls, und un- terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die uns nicht angiengen. Er ſchien bald dieſes bald jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls geſehen haͤtte: und ließ ſich bisweilen ſo weit her- ab, die Hand zu kuͤſſen, auf deren Arbeit ſeine Augen gerichtet waren, um eine Materie der Unterredung zu finden, die uns die Sache aus dem Sinne bringen moͤchte, die er im Kopfe und ich im Hertzen hatte.
Als er wegging, ſagte er: wie kan ich ſie hier allein laſſen, meine liebſte Baſe! Sie pflegten uns alle durch ihre Geſellſchaft aufzumuntern. Niemand iſt ſich jetzt vermuthen, daß ſie herun- ter kommen werden; allein ich habe groſſe Luſt, ihre Eltern auf eine angenehme Weiſe zu uͤber- fallen! Wenn ich nur wuͤßte, daß nichts unan- genehmes daraus erfolgen moͤchte! O mein Kind! mein Hertz! (Wie konnte ſich mein Onckle, mein lieber allzukuͤnſtlicher Onckle, ſo verſtellen!) Was ſagen ſie? Wollen ſie mir ihre Hand geben? Wollen ſie ihren Vater ſprechen? Sind ſie im Stande, ſeine erſte Hitze zu ertragen, wenn er das liebenswuͤrdige Kind ſehen wird, das ihm
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der Clariſſa.
Konnte ich nun den Beſuch meines Onckles
wol als ein Zeichen ſeiner Liebe gegen mich und
als eine Wohlthat anſehen? So begierig ich
auch war, dieſes zu thun, ſo ohnmoͤglich war es
mir. Als ich ſahe, daß er alle Gelegenheit ver-
mied, ſich uͤber meine bisherige Auffuͤhrung zu
beſchweren, ſo that ich dieſes gleichfalls, und un-
terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die
uns nicht angiengen. Er ſchien bald dieſes bald
jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls
geſehen haͤtte: und ließ ſich bisweilen ſo weit her-
ab, die Hand zu kuͤſſen, auf deren Arbeit ſeine
Augen gerichtet waren, um eine Materie der
Unterredung zu finden, die uns die Sache aus
dem Sinne bringen moͤchte, die er im Kopfe und
ich im Hertzen hatte.
Als er wegging, ſagte er: wie kan ich ſie hier
allein laſſen, meine liebſte Baſe! Sie pflegten
uns alle durch ihre Geſellſchaft aufzumuntern.
Niemand iſt ſich jetzt vermuthen, daß ſie herun-
ter kommen werden; allein ich habe groſſe Luſt,
ihre Eltern auf eine angenehme Weiſe zu uͤber-
fallen! Wenn ich nur wuͤßte, daß nichts unan-
genehmes daraus erfolgen moͤchte! O mein Kind!
mein Hertz! (Wie konnte ſich mein Onckle, mein
lieber allzukuͤnſtlicher Onckle, ſo verſtellen!) Was
ſagen ſie? Wollen ſie mir ihre Hand geben?
Wollen ſie ihren Vater ſprechen? Sind ſie im
Stande, ſeine erſte Hitze zu ertragen, wenn er
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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