Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
und dreiste geworden, daß es seiner Höflichkeit
an dem mangelt, was ich eine sorgfältige Zärt-
lichkeit in den Sitten nennen möchte.

Sie haben in der Haupt-Sache recht, wenn
Sie wollen, daß man diesem Geschlecht den
Daumen auf das Auge halte. Allzugrose Ver-
traulichkeit ist der Ehrerbietigkeit zuwieder: allein
bey was für Leuten? Warlich nicht bey denen,
die Verstand, Danckbarkeit und ein edles Hertz
besitzen!

Wer sich aber hüten will, auf der einen
Seite nicht zu weit zu gehen, der wird leicht in
den entgegenstehenden Fehler verfallen. Viel-
leicht hält es Lovelace für das Kennzeichen ei-
nes grosen Geistes, jene Zärtlichkeit in der Auf-
führung seinem Hochmuth aufzuopfern. Allein
wie soll dieser Mann tief und unergründlich
seyn, der den Unterscheid nicht beobachten kan,
welchen sonst ein mittelmäßiger Kopf beobachten
würde?

Er beklagt sich heftig über mich, "daß ich je-
"des Versehen gleich zu einer Tod-Sünde ma-
"che, und weiter nichts mit ihm zu thun haben
"will. Er müsse, schreibt er, so aufrichtig
"seyn, mir zu bekennen, daß dieses eine unge-
"mein vornehme Aufführung sey: und daß da-
"durch seine Furcht eher zunehme als gemindert
"werde, daß ich mich doch noch möchte bewegen
"lassen, nach den Absichten der Meinigen zu
"handeln, und Herrn Solmes zu nehmen."

Sie
R 3

der Clariſſa.
und dreiſte geworden, daß es ſeiner Hoͤflichkeit
an dem mangelt, was ich eine ſorgfaͤltige Zaͤrt-
lichkeit in den Sitten nennen moͤchte.

Sie haben in der Haupt-Sache recht, wenn
Sie wollen, daß man dieſem Geſchlecht den
Daumen auf das Auge halte. Allzugroſe Ver-
traulichkeit iſt der Ehrerbietigkeit zuwieder: allein
bey was fuͤr Leuten? Warlich nicht bey denen,
die Verſtand, Danckbarkeit und ein edles Hertz
beſitzen!

Wer ſich aber huͤten will, auf der einen
Seite nicht zu weit zu gehen, der wird leicht in
den entgegenſtehenden Fehler verfallen. Viel-
leicht haͤlt es Lovelace fuͤr das Kennzeichen ei-
nes groſen Geiſtes, jene Zaͤrtlichkeit in der Auf-
fuͤhrung ſeinem Hochmuth aufzuopfern. Allein
wie ſoll dieſer Mann tief und unergruͤndlich
ſeyn, der den Unterſcheid nicht beobachten kan,
welchen ſonſt ein mittelmaͤßiger Kopf beobachten
wuͤrde?

Er beklagt ſich heftig uͤber mich, „daß ich je-
„des Verſehen gleich zu einer Tod-Suͤnde ma-
„che, und weiter nichts mit ihm zu thun haben
„will. Er muͤſſe, ſchreibt er, ſo aufrichtig
„ſeyn, mir zu bekennen, daß dieſes eine unge-
„mein vornehme Auffuͤhrung ſey: und daß da-
„durch ſeine Furcht eher zunehme als gemindert
„werde, daß ich mich doch noch moͤchte bewegen
„laſſen, nach den Abſichten der Meinigen zu
„handeln, und Herrn Solmes zu nehmen.„

Sie
R 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="261"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi></fw><lb/>
und drei&#x017F;te geworden, daß es &#x017F;einer Ho&#x0364;flichkeit<lb/>
an dem mangelt, was ich eine &#x017F;orgfa&#x0364;ltige Za&#x0364;rt-<lb/>
lichkeit in den Sitten nennen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Sie haben in der Haupt-Sache recht, wenn<lb/>
Sie wollen, daß man die&#x017F;em Ge&#x017F;chlecht den<lb/>
Daumen auf das Auge halte. Allzugro&#x017F;e Ver-<lb/>
traulichkeit i&#x017F;t der Ehrerbietigkeit zuwieder: allein<lb/>
bey was fu&#x0364;r Leuten? Warlich nicht bey denen,<lb/>
die Ver&#x017F;tand, Danckbarkeit und ein edles Hertz<lb/>
be&#x017F;itzen!</p><lb/>
          <p>Wer &#x017F;ich aber hu&#x0364;ten will, auf der einen<lb/>
Seite nicht zu weit zu gehen, der wird leicht in<lb/>
den entgegen&#x017F;tehenden Fehler verfallen. Viel-<lb/>
leicht ha&#x0364;lt es <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> fu&#x0364;r das Kennzeichen ei-<lb/>
nes gro&#x017F;en Gei&#x017F;tes, jene Za&#x0364;rtlichkeit in der Auf-<lb/>
fu&#x0364;hrung &#x017F;einem Hochmuth aufzuopfern. Allein<lb/>
wie &#x017F;oll die&#x017F;er Mann tief und unergru&#x0364;ndlich<lb/>
&#x017F;eyn, der den Unter&#x017F;cheid nicht beobachten kan,<lb/>
welchen &#x017F;on&#x017F;t ein mittelma&#x0364;ßiger Kopf beobachten<lb/>
wu&#x0364;rde?</p><lb/>
          <p>Er beklagt &#x017F;ich heftig u&#x0364;ber mich, &#x201E;daß ich je-<lb/>
&#x201E;des Ver&#x017F;ehen gleich zu einer Tod-Su&#x0364;nde ma-<lb/>
&#x201E;che, und weiter nichts mit ihm zu thun haben<lb/>
&#x201E;will. Er mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;chreibt er, &#x017F;o aufrichtig<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn, mir zu bekennen, daß die&#x017F;es eine unge-<lb/>
&#x201E;mein vornehme Auffu&#x0364;hrung &#x017F;ey: und daß da-<lb/>
&#x201E;durch &#x017F;eine Furcht eher zunehme als gemindert<lb/>
&#x201E;werde, daß ich mich doch noch mo&#x0364;chte bewegen<lb/>
&#x201E;la&#x017F;&#x017F;en, nach den Ab&#x017F;ichten der Meinigen zu<lb/>
&#x201E;handeln, und Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> zu nehmen.&#x201E;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">R 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0267] der Clariſſa. und dreiſte geworden, daß es ſeiner Hoͤflichkeit an dem mangelt, was ich eine ſorgfaͤltige Zaͤrt- lichkeit in den Sitten nennen moͤchte. Sie haben in der Haupt-Sache recht, wenn Sie wollen, daß man dieſem Geſchlecht den Daumen auf das Auge halte. Allzugroſe Ver- traulichkeit iſt der Ehrerbietigkeit zuwieder: allein bey was fuͤr Leuten? Warlich nicht bey denen, die Verſtand, Danckbarkeit und ein edles Hertz beſitzen! Wer ſich aber huͤten will, auf der einen Seite nicht zu weit zu gehen, der wird leicht in den entgegenſtehenden Fehler verfallen. Viel- leicht haͤlt es Lovelace fuͤr das Kennzeichen ei- nes groſen Geiſtes, jene Zaͤrtlichkeit in der Auf- fuͤhrung ſeinem Hochmuth aufzuopfern. Allein wie ſoll dieſer Mann tief und unergruͤndlich ſeyn, der den Unterſcheid nicht beobachten kan, welchen ſonſt ein mittelmaͤßiger Kopf beobachten wuͤrde? Er beklagt ſich heftig uͤber mich, „daß ich je- „des Verſehen gleich zu einer Tod-Suͤnde ma- „che, und weiter nichts mit ihm zu thun haben „will. Er muͤſſe, ſchreibt er, ſo aufrichtig „ſeyn, mir zu bekennen, daß dieſes eine unge- „mein vornehme Auffuͤhrung ſey: und daß da- „durch ſeine Furcht eher zunehme als gemindert „werde, daß ich mich doch noch moͤchte bewegen „laſſen, nach den Abſichten der Meinigen zu „handeln, und Herrn Solmes zu nehmen.„ Sie R 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/267
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/267>, abgerufen am 28.09.2024.