ter wird, weil ich ihm eine Vergeltung meines übereilten Unwillens geben will, ob er gleich von diesem Unwillen nichts erfahren hat.
Es ist ein Glück, daß Jhr so gütig bemüheter Fleiß mir in dieser Sache bald ein Licht gege- ben hat. Hätte ich ehe an ihn geschrieben, als ich Jhre letzte Nachricht erhielt, so würde ich ihm von neuen Abschied gegeben, und wohl gar die Ursache mit angeführet haben. Denn sie ging mir näher zu Hertzen, als sie billig hätte thun sollen. Jn was für Vortheil wür- de ihn diese meine Ubereilung gesetzt haben, wenn er sich so vollkommen hätte rechtfertigen können?
Wenn ich Jhnen seinen jetzigen Brief schicke, so werden Sie sehen, wie demüthig er ist; wie sehr er seine natürliche Ungeduld erkennet; wie er alle seine Fehler gestehet: recht wie Sie es vor- her gesagt haben. Alles dieses sieht jetzt in mei- nen Augen gantz anders aus, nachdem sich die Geschichte mit der artigen Bäurin aufgeklärt hat, als es sonst gethan haben würde. Mich dünckt auch, daß mir das Mädchen jetzt viel schö- ner zu seyn scheint, als vorhin; ob ich es gleich noch niemahls gesehen habe. Denn Unschuld und Tugend ist die vollkommenste Schönheit.
Sie werden sehen, daß er eine Unpäßlichkeit vorschützt, die ihn abgehalten habe, meinen Brief selbst abzuhohlen: und er giebt sich so viel Mü- he dieses zu entschuldigen, als glaubte er, daß ich auf diese Unterlassung ungehalten sey. Es
sollte
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der Clariſſa.
ter wird, weil ich ihm eine Vergeltung meines uͤbereilten Unwillens geben will, ob er gleich von dieſem Unwillen nichts erfahren hat.
Es iſt ein Gluͤck, daß Jhr ſo guͤtig bemuͤheter Fleiß mir in dieſer Sache bald ein Licht gege- ben hat. Haͤtte ich ehe an ihn geſchrieben, als ich Jhre letzte Nachricht erhielt, ſo wuͤrde ich ihm von neuen Abſchied gegeben, und wohl gar die Urſache mit angefuͤhret haben. Denn ſie ging mir naͤher zu Hertzen, als ſie billig haͤtte thun ſollen. Jn was fuͤr Vortheil wuͤr- de ihn dieſe meine Ubereilung geſetzt haben, wenn er ſich ſo vollkommen haͤtte rechtfertigen koͤnnen?
Wenn ich Jhnen ſeinen jetzigen Brief ſchicke, ſo werden Sie ſehen, wie demuͤthig er iſt; wie ſehr er ſeine natuͤrliche Ungeduld erkennet; wie er alle ſeine Fehler geſtehet: recht wie Sie es vor- her geſagt haben. Alles dieſes ſieht jetzt in mei- nen Augen gantz anders aus, nachdem ſich die Geſchichte mit der artigen Baͤurin aufgeklaͤrt hat, als es ſonſt gethan haben wuͤrde. Mich duͤnckt auch, daß mir das Maͤdchen jetzt viel ſchoͤ- ner zu ſeyn ſcheint, als vorhin; ob ich es gleich noch niemahls geſehen habe. Denn Unſchuld und Tugend iſt die vollkommenſte Schoͤnheit.
Sie werden ſehen, daß er eine Unpaͤßlichkeit vorſchuͤtzt, die ihn abgehalten habe, meinen Brief ſelbſt abzuhohlen: und er giebt ſich ſo viel Muͤ- he dieſes zu entſchuldigen, als glaubte er, daß ich auf dieſe Unterlaſſung ungehalten ſey. Es
ſollte
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der Clariſſa.
ter wird, weil ich ihm eine Vergeltung meines
uͤbereilten Unwillens geben will, ob er gleich von
dieſem Unwillen nichts erfahren hat.
Es iſt ein Gluͤck, daß Jhr ſo guͤtig bemuͤheter
Fleiß mir in dieſer Sache bald ein Licht gege-
ben hat. Haͤtte ich ehe an ihn geſchrieben, als
ich Jhre letzte Nachricht erhielt, ſo wuͤrde ich
ihm von neuen Abſchied gegeben, und wohl
gar die Urſache mit angefuͤhret haben. Denn
ſie ging mir naͤher zu Hertzen, als ſie billig
haͤtte thun ſollen. Jn was fuͤr Vortheil wuͤr-
de ihn dieſe meine Ubereilung geſetzt haben,
wenn er ſich ſo vollkommen haͤtte rechtfertigen
koͤnnen?
Wenn ich Jhnen ſeinen jetzigen Brief ſchicke,
ſo werden Sie ſehen, wie demuͤthig er iſt; wie
ſehr er ſeine natuͤrliche Ungeduld erkennet; wie
er alle ſeine Fehler geſtehet: recht wie Sie es vor-
her geſagt haben. Alles dieſes ſieht jetzt in mei-
nen Augen gantz anders aus, nachdem ſich die
Geſchichte mit der artigen Baͤurin aufgeklaͤrt
hat, als es ſonſt gethan haben wuͤrde. Mich
duͤnckt auch, daß mir das Maͤdchen jetzt viel ſchoͤ-
ner zu ſeyn ſcheint, als vorhin; ob ich es gleich
noch niemahls geſehen habe. Denn Unſchuld
und Tugend iſt die vollkommenſte Schoͤnheit.
Sie werden ſehen, daß er eine Unpaͤßlichkeit
vorſchuͤtzt, die ihn abgehalten habe, meinen Brief
ſelbſt abzuhohlen: und er giebt ſich ſo viel Muͤ-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/265>, abgerufen am 25.11.2024.
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