der Nacht, das kräuselnde Wasser, die aufgehen- de und untergehende Sonne, sind mir so erbau- lich, wenn ich in Gedancken bin. Wenn ich aber keinen Zweck habe, und keine Brieffe erwarte, so bin ich freundlich und nehme Elisabeth mit: ein anderesmahl bestelle ich sie, daß sie zu mir kommen soll, wenn ich zum voraus weiß, daß sie andere Verrichtungen hat.
Dieses sind meine Hauptkünste, daraus ich un- zählig kleine Kunstgriffe mache. Sie seheu nicht allein alle der Wahrheit ähnlich, sondern sie sind auch insgesamt buchstäblich wahr: nur nenne ich nicht eben meine Hauptursachen, warum ich dis oder jenes thue. Wie willfärtig ist der Wille! und wie viel Hindernisse weiß die Ab- geneigtheit zu erfinden! Wenn wir wollen/ so sind alle Hindernissen nichts: und wenn wir nicht wollen/ so geht alles langsam. Jede kleine Einwendung wird ein Gewicht an unsern Füssen.
Freytag Morgens um eilf Uhr.
Meine Wäsche ist schon eingepackt. Wie bekümmert war mein Hertz währender Arbeit; und wie bekümmert ist es noch, so oft ich an diese nöthige Vorsichtigkeit gedencke.
Wenn das Bündel glücklich zu Jhren Hän- den kommt, so bitte ich Sie es zu eröffnen. Sie werden darunter zwey versiegelte Packete finden. Jn dem einen sind diejenigen Brieffe die Sie noch nicht gelesen haben, indem sie erst seit mei-
ner
Die Geſchichte
der Nacht, das kraͤuſelnde Waſſer, die aufgehen- de und untergehende Sonne, ſind mir ſo erbau- lich, wenn ich in Gedancken bin. Wenn ich aber keinen Zweck habe, und keine Brieffe erwarte, ſo bin ich freundlich und nehme Eliſabeth mit: ein anderesmahl beſtelle ich ſie, daß ſie zu mir kommen ſoll, wenn ich zum voraus weiß, daß ſie andere Verrichtungen hat.
Dieſes ſind meine Hauptkuͤnſte, daraus ich un- zaͤhlig kleine Kunſtgriffe mache. Sie ſeheu nicht allein alle der Wahrheit aͤhnlich, ſondern ſie ſind auch insgeſamt buchſtaͤblich wahr: nur nenne ich nicht eben meine Haupturſachen, warum ich dis oder jenes thue. Wie willfaͤrtig iſt der Wille! und wie viel Hinderniſſe weiß die Ab- geneigtheit zu erfinden! Wenn wir wollen/ ſo ſind alle Hinderniſſen nichts: und wenn wir nicht wollen/ ſo geht alles langſam. Jede kleine Einwendung wird ein Gewicht an unſern Fuͤſſen.
Freytag Morgens um eilf Uhr.
Meine Waͤſche iſt ſchon eingepackt. Wie bekuͤmmert war mein Hertz waͤhrender Arbeit; und wie bekuͤmmert iſt es noch, ſo oft ich an dieſe noͤthige Vorſichtigkeit gedencke.
Wenn das Buͤndel gluͤcklich zu Jhren Haͤn- den kommt, ſo bitte ich Sie es zu eroͤffnen. Sie werden darunter zwey verſiegelte Packete finden. Jn dem einen ſind diejenigen Brieffe die Sie noch nicht geleſen haben, indem ſie erſt ſeit mei-
ner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0248"n="242"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
der Nacht, das kraͤuſelnde Waſſer, die aufgehen-<lb/>
de und untergehende Sonne, ſind mir ſo erbau-<lb/>
lich, wenn ich in Gedancken bin. Wenn ich aber<lb/>
keinen Zweck habe, und keine Brieffe erwarte, ſo<lb/>
bin ich freundlich und nehme <hirendition="#fr">Eliſabeth</hi> mit:<lb/>
ein anderesmahl beſtelle ich ſie, daß ſie zu mir<lb/>
kommen ſoll, wenn ich zum voraus weiß, daß ſie<lb/>
andere Verrichtungen hat.</p><lb/><p>Dieſes ſind meine Hauptkuͤnſte, daraus ich un-<lb/>
zaͤhlig kleine Kunſtgriffe mache. Sie ſeheu nicht<lb/>
allein alle der Wahrheit aͤhnlich, ſondern ſie ſind<lb/>
auch insgeſamt buchſtaͤblich wahr: nur nenne<lb/>
ich nicht eben meine Haupturſachen, warum ich<lb/>
dis oder jenes thue. Wie willfaͤrtig iſt der<lb/><hirendition="#fr">Wille!</hi> und wie viel Hinderniſſe weiß die <hirendition="#fr">Ab-<lb/>
geneigtheit</hi> zu erfinden! Wenn wir <hirendition="#fr">wollen/</hi><lb/>ſo ſind alle Hinderniſſen nichts: und wenn wir<lb/><hirendition="#fr">nicht wollen/</hi>ſo geht alles langſam. Jede<lb/>
kleine Einwendung wird ein Gewicht an unſern<lb/>
Fuͤſſen.</p><lb/><p><hirendition="#et">Freytag Morgens um eilf<lb/>
Uhr.</hi></p><lb/><p>Meine Waͤſche iſt ſchon eingepackt. Wie<lb/>
bekuͤmmert war mein Hertz waͤhrender Arbeit;<lb/>
und wie bekuͤmmert iſt es noch, ſo oft ich an<lb/>
dieſe noͤthige Vorſichtigkeit gedencke.</p><lb/><p>Wenn das Buͤndel gluͤcklich zu Jhren Haͤn-<lb/>
den kommt, ſo bitte ich Sie es zu eroͤffnen. Sie<lb/>
werden darunter zwey verſiegelte Packete finden.<lb/>
Jn dem einen ſind diejenigen Brieffe die Sie<lb/>
noch nicht geleſen haben, indem ſie erſt ſeit mei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ner</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[242/0248]
Die Geſchichte
der Nacht, das kraͤuſelnde Waſſer, die aufgehen-
de und untergehende Sonne, ſind mir ſo erbau-
lich, wenn ich in Gedancken bin. Wenn ich aber
keinen Zweck habe, und keine Brieffe erwarte, ſo
bin ich freundlich und nehme Eliſabeth mit:
ein anderesmahl beſtelle ich ſie, daß ſie zu mir
kommen ſoll, wenn ich zum voraus weiß, daß ſie
andere Verrichtungen hat.
Dieſes ſind meine Hauptkuͤnſte, daraus ich un-
zaͤhlig kleine Kunſtgriffe mache. Sie ſeheu nicht
allein alle der Wahrheit aͤhnlich, ſondern ſie ſind
auch insgeſamt buchſtaͤblich wahr: nur nenne
ich nicht eben meine Haupturſachen, warum ich
dis oder jenes thue. Wie willfaͤrtig iſt der
Wille! und wie viel Hinderniſſe weiß die Ab-
geneigtheit zu erfinden! Wenn wir wollen/
ſo ſind alle Hinderniſſen nichts: und wenn wir
nicht wollen/ ſo geht alles langſam. Jede
kleine Einwendung wird ein Gewicht an unſern
Fuͤſſen.
Freytag Morgens um eilf
Uhr.
Meine Waͤſche iſt ſchon eingepackt. Wie
bekuͤmmert war mein Hertz waͤhrender Arbeit;
und wie bekuͤmmert iſt es noch, ſo oft ich an
dieſe noͤthige Vorſichtigkeit gedencke.
Wenn das Buͤndel gluͤcklich zu Jhren Haͤn-
den kommt, ſo bitte ich Sie es zu eroͤffnen. Sie
werden darunter zwey verſiegelte Packete finden.
Jn dem einen ſind diejenigen Brieffe die Sie
noch nicht geleſen haben, indem ſie erſt ſeit mei-
ner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/248>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.