daß seine letzte Macht zu Erhaltung seiner Frey- heit anwendet, sich noch wohl zu guter letzt auf eine kurtze Zeit zu erhohlen scheint.
Wer ein gutes Gemüth hat, der ist hitzig, sagt Lovelace[?] Eine trefliche Entschuldigung gegen seine Schöne, die noch frey und ungebun- den ist! Es ist eben so viel gesagt, als: so hoch ich sie auch schätze, Fräulein, so werde ich mir doch die Mühe nicht nehmen, um ihrentwillen meine Hitze zu mäßigen. Jch würde mich freuen, wenn ich meinen Hickmann eben auf diese Art von seinem guten Gemüth reden hörte.
Wir sind in der That allzu geneigt, einem eigensinnigen Kopfe etwas zu gut zu halten, der in der ersten Erziehung so verdorben ist, daß kei- ne Hoffnung übrig ist, daß er eine so starck ge- wordene Gewohnheitssünde werde überwinden können. Allein was haben wir künftig zu er- warten, wenn wir ein so ungestümes Wefen schon jetzt an einem Freyer entschuldigen sollen, da er uns noch gute Worte geben muß. Jch glaube, Sie kennen selbst einen Ehemann, dem auch allzufrüh etwas zu gute gehalten ward: und Sie sehen, daß jetzund weder er selbst noch andere Ursache haben, sich zu freuen, daß es ge- schehen ist.
Es ist allerdings nöthig, daß sich Personen in einander zu schicken suchen, die ihr gantzes Le- ben mit einander zuzubringen gedencken. Allein es sollten doch gewisse Gräntzen bleiben, und man sollte darüber gleichsam eins werden, diese
Grän-
der Clariſſa.
daß ſeine letzte Macht zu Erhaltung ſeiner Frey- heit anwendet, ſich noch wohl zu guter letzt auf eine kurtze Zeit zu erhohlen ſcheint.
Wer ein gutes Gemuͤth hat, der iſt hitzig, ſagt Lovelace[?] Eine trefliche Entſchuldigung gegen ſeine Schoͤne, die noch frey und ungebun- den iſt! Es iſt eben ſo viel geſagt, als: ſo hoch ich ſie auch ſchaͤtze, Fraͤulein, ſo werde ich mir doch die Muͤhe nicht nehmen, um ihrentwillen meine Hitze zu maͤßigen. Jch wuͤrde mich freuen, wenn ich meinen Hickmann eben auf dieſe Art von ſeinem guten Gemuͤth reden hoͤrte.
Wir ſind in der That allzu geneigt, einem eigenſinnigen Kopfe etwas zu gut zu halten, der in der erſten Erziehung ſo verdorben iſt, daß kei- ne Hoffnung uͤbrig iſt, daß er eine ſo ſtarck ge- wordene Gewohnheitsſuͤnde werde uͤberwinden koͤnnen. Allein was haben wir kuͤnftig zu er- warten, wenn wir ein ſo ungeſtuͤmes Wefen ſchon jetzt an einem Freyer entſchuldigen ſollen, da er uns noch gute Worte geben muß. Jch glaube, Sie kennen ſelbſt einen Ehemann, dem auch allzufruͤh etwas zu gute gehalten ward: und Sie ſehen, daß jetzund weder er ſelbſt noch andere Urſache haben, ſich zu freuen, daß es ge- ſchehen iſt.
Es iſt allerdings noͤthig, daß ſich Perſonen in einander zu ſchicken ſuchen, die ihr gantzes Le- ben mit einander zuzubringen gedencken. Allein es ſollten doch gewiſſe Graͤntzen bleiben, und man ſollte daruͤber gleichſam eins werden, dieſe
Graͤn-
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der Clariſſa.
daß ſeine letzte Macht zu Erhaltung ſeiner Frey-
heit anwendet, ſich noch wohl zu guter letzt auf
eine kurtze Zeit zu erhohlen ſcheint.
Wer ein gutes Gemuͤth hat, der iſt hitzig,
ſagt Lovelace? Eine trefliche Entſchuldigung
gegen ſeine Schoͤne, die noch frey und ungebun-
den iſt! Es iſt eben ſo viel geſagt, als: ſo hoch
ich ſie auch ſchaͤtze, Fraͤulein, ſo werde ich mir
doch die Muͤhe nicht nehmen, um ihrentwillen
meine Hitze zu maͤßigen. Jch wuͤrde mich freuen,
wenn ich meinen Hickmann eben auf dieſe Art
von ſeinem guten Gemuͤth reden hoͤrte.
Wir ſind in der That allzu geneigt, einem
eigenſinnigen Kopfe etwas zu gut zu halten, der
in der erſten Erziehung ſo verdorben iſt, daß kei-
ne Hoffnung uͤbrig iſt, daß er eine ſo ſtarck ge-
wordene Gewohnheitsſuͤnde werde uͤberwinden
koͤnnen. Allein was haben wir kuͤnftig zu er-
warten, wenn wir ein ſo ungeſtuͤmes Wefen
ſchon jetzt an einem Freyer entſchuldigen ſollen,
da er uns noch gute Worte geben muß. Jch
glaube, Sie kennen ſelbſt einen Ehemann, dem
auch allzufruͤh etwas zu gute gehalten ward:
und Sie ſehen, daß jetzund weder er ſelbſt noch
andere Urſache haben, ſich zu freuen, daß es ge-
ſchehen iſt.
Es iſt allerdings noͤthig, daß ſich Perſonen in
einander zu ſchicken ſuchen, die ihr gantzes Le-
ben mit einander zuzubringen gedencken. Allein
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/229>, abgerufen am 25.11.2024.
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