ob ich Jhnen gleich versichern kan, daß ich auch nicht einmahl eine bedungene Neigung gegen ihn habe. Meine Mutter blieb fast die gantze Nacht auf, weil sie jede Stunde das Ende ihrer armen Tousine erwartete. Bis um zwey Uhr blieb ich mit ihr auf, und leistete ihr Gesellschaft.
Weil ich noch keine erwachsene Person ster- bend gesehen hatte, so rührte mich dieser Anblick sehr. Für Gesunde ist der Todt erschrecklich. Wir fühlen dabey die Noth der Sterbenden, und unsre eigene Noth, die wir künftig zu gewar- ten haben, wenn wir eben diesen Weg gehen sol- len. Wir empfinden also den Tod doppelt, wenn wir ihn an andern sehen.
Sie lebte noch bis des Dienstags Morgens um eilf Uhr. Sie hatte meiner Mutter noch auf dem Todten-Bette gesagt, daß sie sie bestim- met hätte, über die Ersüllung ihres Testaments zu halten, und daß sie ihr und mir, Ringe und Trauer vermacht hätte. Wir hatten also den gantzen Tag mit Dingen zu thun, die zu ihrem letzten Willen gehörten, durch welchen meine Ba- se Jenny Finnet reichlich versorget ist: und es ward Mittewochen, ehe wir an die Rückreise ge- dencken konnten.
Weil wir auf keine Schabracken warten durf- ten, so kamen wir um Mittag nach Hause. Jch schickte zwar Robert noch ehe er abstieg nach Jhren Briefen, und er brachte mir eine gantze Tasche voll von etlichen Tagen bis auf den Mit- tewochens Mittag. Allein ich war so müde, und
durch
Die Geſchichte
ob ich Jhnen gleich verſichern kan, daß ich auch nicht einmahl eine bedungene Neigung gegen ihn habe. Meine Mutter blieb faſt die gantze Nacht auf, weil ſie jede Stunde das Ende ihrer armen Touſine erwartete. Bis um zwey Uhr blieb ich mit ihr auf, und leiſtete ihr Geſellſchaft.
Weil ich noch keine erwachſene Perſon ſter- bend geſehen hatte, ſo ruͤhrte mich dieſer Anblick ſehr. Fuͤr Geſunde iſt der Todt erſchrecklich. Wir fuͤhlen dabey die Noth der Sterbenden, und unſre eigene Noth, die wir kuͤnftig zu gewar- ten haben, wenn wir eben dieſen Weg gehen ſol- len. Wir empfinden alſo den Tod doppelt, wenn wir ihn an andern ſehen.
Sie lebte noch bis des Dienſtags Morgens um eilf Uhr. Sie hatte meiner Mutter noch auf dem Todten-Bette geſagt, daß ſie ſie beſtim- met haͤtte, uͤber die Erſuͤllung ihres Teſtaments zu halten, und daß ſie ihr und mir, Ringe und Trauer vermacht haͤtte. Wir hatten alſo den gantzen Tag mit Dingen zu thun, die zu ihrem letzten Willen gehoͤrten, durch welchen meine Ba- ſe Jenny Finnet reichlich verſorget iſt: und es ward Mittewochen, ehe wir an die Ruͤckreiſe ge- dencken konnten.
Weil wir auf keine Schabracken warten durf- ten, ſo kamen wir um Mittag nach Hauſe. Jch ſchickte zwar Robert noch ehe er abſtieg nach Jhren Briefen, und er brachte mir eine gantze Taſche voll von etlichen Tagen bis auf den Mit- tewochens Mittag. Allein ich war ſo muͤde, und
durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0222"n="216"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
ob ich Jhnen gleich verſichern kan, daß ich auch<lb/>
nicht einmahl eine bedungene Neigung gegen ihn<lb/>
habe. Meine Mutter blieb faſt die gantze Nacht<lb/>
auf, weil ſie jede Stunde das Ende ihrer armen<lb/><hirendition="#fr">Touſine</hi> erwartete. Bis um zwey Uhr blieb<lb/>
ich mit ihr auf, und leiſtete ihr Geſellſchaft.</p><lb/><p>Weil ich noch keine erwachſene Perſon ſter-<lb/>
bend geſehen hatte, ſo ruͤhrte mich dieſer Anblick<lb/>ſehr. Fuͤr Geſunde iſt der Todt erſchrecklich.<lb/>
Wir fuͤhlen dabey die Noth der Sterbenden,<lb/>
und unſre eigene Noth, die wir kuͤnftig zu gewar-<lb/>
ten haben, wenn wir eben dieſen Weg gehen ſol-<lb/>
len. Wir empfinden alſo den Tod doppelt, wenn<lb/>
wir ihn an andern ſehen.</p><lb/><p>Sie lebte noch bis des Dienſtags Morgens<lb/>
um eilf Uhr. Sie hatte meiner Mutter noch<lb/>
auf dem Todten-Bette geſagt, daß ſie ſie beſtim-<lb/>
met haͤtte, uͤber die Erſuͤllung ihres Teſtaments<lb/>
zu halten, und daß ſie ihr und mir, Ringe und<lb/>
Trauer vermacht haͤtte. Wir hatten alſo den<lb/>
gantzen Tag mit Dingen zu thun, die zu ihrem<lb/>
letzten Willen gehoͤrten, durch welchen meine Ba-<lb/>ſe <hirendition="#fr">Jenny Finnet</hi> reichlich verſorget iſt: und es<lb/>
ward Mittewochen, ehe wir an die Ruͤckreiſe ge-<lb/>
dencken konnten.</p><lb/><p>Weil wir auf keine Schabracken warten durf-<lb/>
ten, ſo kamen wir um Mittag nach Hauſe. Jch<lb/>ſchickte zwar <hirendition="#fr">Robert</hi> noch ehe er abſtieg nach<lb/>
Jhren Briefen, und er brachte mir eine gantze<lb/>
Taſche voll von etlichen Tagen bis auf den Mit-<lb/>
tewochens Mittag. Allein ich war ſo muͤde, und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">durch</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[216/0222]
Die Geſchichte
ob ich Jhnen gleich verſichern kan, daß ich auch
nicht einmahl eine bedungene Neigung gegen ihn
habe. Meine Mutter blieb faſt die gantze Nacht
auf, weil ſie jede Stunde das Ende ihrer armen
Touſine erwartete. Bis um zwey Uhr blieb
ich mit ihr auf, und leiſtete ihr Geſellſchaft.
Weil ich noch keine erwachſene Perſon ſter-
bend geſehen hatte, ſo ruͤhrte mich dieſer Anblick
ſehr. Fuͤr Geſunde iſt der Todt erſchrecklich.
Wir fuͤhlen dabey die Noth der Sterbenden,
und unſre eigene Noth, die wir kuͤnftig zu gewar-
ten haben, wenn wir eben dieſen Weg gehen ſol-
len. Wir empfinden alſo den Tod doppelt, wenn
wir ihn an andern ſehen.
Sie lebte noch bis des Dienſtags Morgens
um eilf Uhr. Sie hatte meiner Mutter noch
auf dem Todten-Bette geſagt, daß ſie ſie beſtim-
met haͤtte, uͤber die Erſuͤllung ihres Teſtaments
zu halten, und daß ſie ihr und mir, Ringe und
Trauer vermacht haͤtte. Wir hatten alſo den
gantzen Tag mit Dingen zu thun, die zu ihrem
letzten Willen gehoͤrten, durch welchen meine Ba-
ſe Jenny Finnet reichlich verſorget iſt: und es
ward Mittewochen, ehe wir an die Ruͤckreiſe ge-
dencken konnten.
Weil wir auf keine Schabracken warten durf-
ten, ſo kamen wir um Mittag nach Hauſe. Jch
ſchickte zwar Robert noch ehe er abſtieg nach
Jhren Briefen, und er brachte mir eine gantze
Taſche voll von etlichen Tagen bis auf den Mit-
tewochens Mittag. Allein ich war ſo muͤde, und
durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/222>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.