Der arme Mann sahe meine Mutter an. Sie ward so böse, daß sie den halben Weg über nicht sprechen wollte; denn mein heimliches Hohn- gelächter über ihn, und mein Verdruß über die Reise machte sie noch empfindlicher. Wenn sie ja ein Wort heraus brachte, so war es weiter nichts, als: ich wollte/ daß ich dich zu Hause gelassen hätte! Du kanst niemand einen Gefallen erzeigen! Herr Hickmann ist unschuldig an der Reise: ich habe dich blos vor mich mitgenommen. Hast du gar keine Augen vor diese Seite des Wa- gens? u. s. w.
Sie war desto freundlicher gegen ihn, wie sie gemeiniglich ist, wenn ich mürrisch bin. Alle Augenblick fragte sie ihn: wie er sich befän- de? und wenn er von einer Seite zur andern ritt, und mir mit steiffen Gesichte einen Blick stehlen wollte, so kuckte sie herum, und sahe mit solchem Lächeln aus dem Wagen heraus, als wenn sie selbst ihm vor vierzehn Tagen angetrauet wäre. Jch sahe immer etwas auf der andern Seite des Wagens, daß mich vergnügte, wenn es auch weiter nichts war, als der alte Rober[t] auf seinem Roth-Schimmel.
Man sagt, daß das die beste Zeit in unserm Leben sey, wenn die Freyer sich um unfere Gunst bewerben. So bald wir ihnen günstig sind, so bald hört ihr Bewerben auf, dessen Wesen in ei- ner gewissen Entfernung bestehet. Wer wollte nicht ein wenig vornehm thun, wenn man siehet
wie
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der Clariſſa.
Der arme Mann ſahe meine Mutter an. Sie ward ſo boͤſe, daß ſie den halben Weg uͤber nicht ſprechen wollte; denn mein heimliches Hohn- gelaͤchter uͤber ihn, und mein Verdruß uͤber die Reiſe machte ſie noch empfindlicher. Wenn ſie ja ein Wort heraus brachte, ſo war es weiter nichts, als: ich wollte/ daß ich dich zu Hauſe gelaſſen haͤtte! Du kanſt niemand einen Gefallen erzeigen! Herr Hickmann iſt unſchuldig an der Reiſe: ich habe dich blos vor mich mitgenommen. Haſt du gar keine Augen vor dieſe Seite des Wa- gens? u. ſ. w.
Sie war deſto freundlicher gegen ihn, wie ſie gemeiniglich iſt, wenn ich muͤrriſch bin. Alle Augenblick fragte ſie ihn: wie er ſich befaͤn- de? und wenn er von einer Seite zur andern ritt, und mir mit ſteiffen Geſichte einen Blick ſtehlen wollte, ſo kuckte ſie herum, und ſahe mit ſolchem Laͤcheln aus dem Wagen heraus, als wenn ſie ſelbſt ihm vor vierzehn Tagen angetrauet waͤre. Jch ſahe immer etwas auf der andern Seite des Wagens, daß mich vergnuͤgte, wenn es auch weiter nichts war, als der alte Rober[t] auf ſeinem Roth-Schimmel.
Man ſagt, daß das die beſte Zeit in unſerm Leben ſey, wenn die Freyer ſich um unfere Gunſt bewerben. So bald wir ihnen guͤnſtig ſind, ſo bald hoͤrt ihr Bewerben auf, deſſen Weſen in ei- ner gewiſſen Entfernung beſtehet. Wer wollte nicht ein wenig vornehm thun, wenn man ſiehet
wie
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der Clariſſa.
Der arme Mann ſahe meine Mutter an.
Sie ward ſo boͤſe, daß ſie den halben Weg uͤber
nicht ſprechen wollte; denn mein heimliches Hohn-
gelaͤchter uͤber ihn, und mein Verdruß uͤber die
Reiſe machte ſie noch empfindlicher. Wenn ſie
ja ein Wort heraus brachte, ſo war es weiter
nichts, als: ich wollte/ daß ich dich zu
Hauſe gelaſſen haͤtte! Du kanſt niemand
einen Gefallen erzeigen! Herr Hickmann iſt
unſchuldig an der Reiſe: ich habe dich
blos vor mich mitgenommen. Haſt du
gar keine Augen vor dieſe Seite des Wa-
gens? u. ſ. w.
Sie war deſto freundlicher gegen ihn, wie ſie
gemeiniglich iſt, wenn ich muͤrriſch bin. Alle
Augenblick fragte ſie ihn: wie er ſich befaͤn-
de? und wenn er von einer Seite zur andern
ritt, und mir mit ſteiffen Geſichte einen Blick
ſtehlen wollte, ſo kuckte ſie herum, und ſahe mit
ſolchem Laͤcheln aus dem Wagen heraus, als
wenn ſie ſelbſt ihm vor vierzehn Tagen angetrauet
waͤre. Jch ſahe immer etwas auf der andern
Seite des Wagens, daß mich vergnuͤgte, wenn
es auch weiter nichts war, als der alte Robert
auf ſeinem Roth-Schimmel.
Man ſagt, daß das die beſte Zeit in unſerm
Leben ſey, wenn die Freyer ſich um unfere Gunſt
bewerben. So bald wir ihnen guͤnſtig ſind, ſo
bald hoͤrt ihr Bewerben auf, deſſen Weſen in ei-
ner gewiſſen Entfernung beſtehet. Wer wollte
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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