"O das veränderliche wanckelmüthige Ge- "schlecht! kan aber Fräulein Clarissa Har- "lowe - - - "Vergeben Sie mir, ich weiß nicht was ich "schreibe.
"Jch beruffe mich auf Jhr Versprechen: ich "muß mich darauf beruffen: oder Sie müssen "wenigstens die Gütigkeit haben, bessere Ursa- "chen zu erfinden, warum Sie es brechen wol- "len; und mich überzeugen, daß Sie bessere "Gründe gehabt als gemelder haben. Ein ein- "mahl gegebenes Versprechen, das mit gutem "Bedacht gegeben ist, kan nur der erlassen, dem "es gegeben ist: oder es muß eine offenbahre "Hinderniß dazwischen kommen, die dem verspre- "chenden Theile die Erfüllung ohnmöglich "macht.
"Dies war das allererste Versprechen, so ich "in meinem Leben von Jhnen empfangen habe: "an dem vielleicht Leben und Tod hängen kan. "Denn ich verzweiffele fast, wenn ich an die un- "menschliche Härte gedencke, damit Jhnen zu "Hause begegnet wird.
"Sie wollen lieber den Tod wählen/ als "Herrn Solmes! (Wie verachte ich in mei- "nem Hertzen einen solchen Mitbuhler!) Mei- "ne allerliebste Fräulein, was sind das anders, "als Worte? Wessen Worte? - - Worte ei- "ner liebenswürdigen und unschätzbaren - - - "bundbrüchigen? Soll ich Sie so nennen? Wie "soll ich Jhrem Versprechen Glauben zustellen?
son-
N 5
der Clariſſa.
„O das veraͤnderliche wanckelmuͤthige Ge- „ſchlecht! kan aber Fraͤulein Clariſſa Har- „lowe ‒ ‒ ‒ „Vergeben Sie mir, ich weiß nicht was ich „ſchreibe.
„Jch beruffe mich auf Jhr Verſprechen: ich „muß mich darauf beruffen: oder Sie muͤſſen „wenigſtens die Guͤtigkeit haben, beſſere Urſa- „chen zu erfinden, warum Sie es brechen wol- „len; und mich uͤberzeugen, daß Sie beſſere „Gruͤnde gehabt als gemelder haben. Ein ein- „mahl gegebenes Verſprechen, das mit gutem „Bedacht gegeben iſt, kan nur der erlaſſen, dem „es gegeben iſt: oder es muß eine offenbahre „Hinderniß dazwiſchen kommen, die dem verſpre- „chenden Theile die Erfuͤllung ohnmoͤglich „macht.
„Dies war das allererſte Verſprechen, ſo ich „in meinem Leben von Jhnen empfangen habe: „an dem vielleicht Leben und Tod haͤngen kan. „Denn ich verzweiffele faſt, wenn ich an die un- „menſchliche Haͤrte gedencke, damit Jhnen zu „Hauſe begegnet wird.
„Sie wollen lieber den Tod waͤhlen/ als „Herrn Solmes! (Wie verachte ich in mei- „nem Hertzen einen ſolchen Mitbuhler!) Mei- „ne allerliebſte Fraͤulein, was ſind das anders, „als Worte? Weſſen Worte? ‒ ‒ Worte ei- „ner liebenswuͤrdigen und unſchaͤtzbaren ‒ ‒ ‒ „bundbruͤchigen? Soll ich Sie ſo nennen? Wie „ſoll ich Jhrem Verſprechen Glauben zuſtellen?
ſon-
N 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><pbfacs="#f0207"n="201"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/><p>„O das veraͤnderliche wanckelmuͤthige Ge-<lb/>„ſchlecht! kan aber <hirendition="#fr">Fraͤulein Clariſſa Har-<lb/>„lowe</hi>‒‒‒<lb/>„Vergeben Sie mir, ich weiß nicht was ich<lb/>„ſchreibe.</p><lb/><p>„Jch beruffe mich auf Jhr Verſprechen: ich<lb/>„<hirendition="#fr">muß</hi> mich darauf beruffen: oder Sie muͤſſen<lb/>„wenigſtens die Guͤtigkeit haben, beſſere Urſa-<lb/>„chen zu erfinden, warum Sie es brechen wol-<lb/>„len; und mich uͤberzeugen, daß Sie beſſere<lb/>„Gruͤnde gehabt als gemelder haben. Ein ein-<lb/>„mahl gegebenes Verſprechen, das mit gutem<lb/>„Bedacht gegeben iſt, kan nur der erlaſſen, dem<lb/>„es gegeben iſt: oder es muß eine offenbahre<lb/>„Hinderniß dazwiſchen kommen, die dem verſpre-<lb/>„chenden Theile die Erfuͤllung ohnmoͤglich<lb/>„macht.</p><lb/><p>„Dies war das allererſte Verſprechen, ſo ich<lb/>„in meinem Leben von Jhnen empfangen habe:<lb/>„an dem vielleicht Leben und Tod haͤngen kan.<lb/>„Denn ich verzweiffele faſt, wenn ich an die un-<lb/>„menſchliche Haͤrte gedencke, damit Jhnen zu<lb/>„Hauſe begegnet wird.</p><lb/><p>„<hirendition="#fr">Sie wollen lieber den Tod waͤhlen/ als<lb/>„Herrn Solmes!</hi> (Wie verachte ich in mei-<lb/>„nem Hertzen einen ſolchen Mitbuhler!) Mei-<lb/>„ne allerliebſte Fraͤulein, was ſind das anders,<lb/>„als Worte? Weſſen Worte? ‒‒ Worte ei-<lb/>„ner liebenswuͤrdigen und unſchaͤtzbaren ‒‒‒<lb/>„bundbruͤchigen? Soll ich Sie ſo nennen? Wie<lb/>„ſoll ich Jhrem Verſprechen Glauben zuſtellen?<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſon-</fw><lb/></p></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[201/0207]
der Clariſſa.
„O das veraͤnderliche wanckelmuͤthige Ge-
„ſchlecht! kan aber Fraͤulein Clariſſa Har-
„lowe ‒ ‒ ‒
„Vergeben Sie mir, ich weiß nicht was ich
„ſchreibe.
„Jch beruffe mich auf Jhr Verſprechen: ich
„muß mich darauf beruffen: oder Sie muͤſſen
„wenigſtens die Guͤtigkeit haben, beſſere Urſa-
„chen zu erfinden, warum Sie es brechen wol-
„len; und mich uͤberzeugen, daß Sie beſſere
„Gruͤnde gehabt als gemelder haben. Ein ein-
„mahl gegebenes Verſprechen, das mit gutem
„Bedacht gegeben iſt, kan nur der erlaſſen, dem
„es gegeben iſt: oder es muß eine offenbahre
„Hinderniß dazwiſchen kommen, die dem verſpre-
„chenden Theile die Erfuͤllung ohnmoͤglich
„macht.
„Dies war das allererſte Verſprechen, ſo ich
„in meinem Leben von Jhnen empfangen habe:
„an dem vielleicht Leben und Tod haͤngen kan.
„Denn ich verzweiffele faſt, wenn ich an die un-
„menſchliche Haͤrte gedencke, damit Jhnen zu
„Hauſe begegnet wird.
„Sie wollen lieber den Tod waͤhlen/ als
„Herrn Solmes! (Wie verachte ich in mei-
„nem Hertzen einen ſolchen Mitbuhler!) Mei-
„ne allerliebſte Fraͤulein, was ſind das anders,
„als Worte? Weſſen Worte? ‒ ‒ Worte ei-
„ner liebenswuͤrdigen und unſchaͤtzbaren ‒ ‒ ‒
„bundbruͤchigen? Soll ich Sie ſo nennen? Wie
„ſoll ich Jhrem Verſprechen Glauben zuſtellen?
ſon-
N 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/207>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.