daß es auch wider seinen Willen gefällig seyn muß. Es richtet sich gar zu lejcht nach dem Verlangen eines dreisten Menschen, der mehr bittet als geziemend ist ihm zu gewähren. Ein junges Frauenzimmer von gutem Gemüth findet eine Schwierigkeit darin, einem, den es nicht verächtlich hält, etwas abzuschlagen.
Unser Hertz wird sich wol durch die Erfah- rung und durch die übeln Folgen unsers gut- hertzigen Unverstandes nach und nach verhärten, und gleichsam karger in seiner Dienstfertigkeit werden. Das muß es thun, sonst würde die übrige Welt einen grosen Vortheil über uns haben.
Nehmen Sie mir diese ernsthaften Gedan- cken nicht übel. Der Mensch hat mich von Hertzen unwillig gemacht. Jch sehe, daß alle seine Artigkeit nur Verstellung gewesen ist: die- jenige Härte, die ich zu Hause allzuviel habe kennen lernen, ist ihm natürlich. So wie ich jetzt gesinnet bin, will ich mich niemahls bewe- gen lassen, ihm zu vergeben. Denn er kan nichts vorbringen, seine Ungeduld zu entschuldi- gen, da ich ihm etwas abschreibe, daß ich nur Bedingungsweise versprochen, und mir das Recht vorbehalten hatte, es abzuschreiben. Jch habe so viel um seinetwillen gelitten, und er geht mit mir um, als wenn ich schuldig wäre, noch dazu von ihm Grobheiten anzunehmen. Seyn Sie so gütig, und lesen Sie hiebey seinen Brief selbst, den ich beyschliese.
An
N 4
der Clariſſa.
daß es auch wider ſeinen Willen gefaͤllig ſeyn muß. Es richtet ſich gar zu lejcht nach dem Verlangen eines dreiſten Menſchen, der mehr bittet als geziemend iſt ihm zu gewaͤhren. Ein junges Frauenzimmer von gutem Gemuͤth findet eine Schwierigkeit darin, einem, den es nicht veraͤchtlich haͤlt, etwas abzuſchlagen.
Unſer Hertz wird ſich wol durch die Erfah- rung und durch die uͤbeln Folgen unſers gut- hertzigen Unverſtandes nach und nach verhaͤrten, und gleichſam karger in ſeiner Dienſtfertigkeit werden. Das muß es thun, ſonſt wuͤrde die uͤbrige Welt einen groſen Vortheil uͤber uns haben.
Nehmen Sie mir dieſe ernſthaften Gedan- cken nicht uͤbel. Der Menſch hat mich von Hertzen unwillig gemacht. Jch ſehe, daß alle ſeine Artigkeit nur Verſtellung geweſen iſt: die- jenige Haͤrte, die ich zu Hauſe allzuviel habe kennen lernen, iſt ihm natuͤrlich. So wie ich jetzt geſinnet bin, will ich mich niemahls bewe- gen laſſen, ihm zu vergeben. Denn er kan nichts vorbringen, ſeine Ungeduld zu entſchuldi- gen, da ich ihm etwas abſchreibe, daß ich nur Bedingungsweiſe verſprochen, und mir das Recht vorbehalten hatte, es abzuſchreiben. Jch habe ſo viel um ſeinetwillen gelitten, und er geht mit mir um, als wenn ich ſchuldig waͤre, noch dazu von ihm Grobheiten anzunehmen. Seyn Sie ſo guͤtig, und leſen Sie hiebey ſeinen Brief ſelbſt, den ich beyſchlieſe.
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der Clariſſa.
daß es auch wider ſeinen Willen gefaͤllig ſeyn
muß. Es richtet ſich gar zu lejcht nach dem
Verlangen eines dreiſten Menſchen, der mehr
bittet als geziemend iſt ihm zu gewaͤhren. Ein
junges Frauenzimmer von gutem Gemuͤth findet
eine Schwierigkeit darin, einem, den es nicht
veraͤchtlich haͤlt, etwas abzuſchlagen.
Unſer Hertz wird ſich wol durch die Erfah-
rung und durch die uͤbeln Folgen unſers gut-
hertzigen Unverſtandes nach und nach verhaͤrten,
und gleichſam karger in ſeiner Dienſtfertigkeit
werden. Das muß es thun, ſonſt wuͤrde die
uͤbrige Welt einen groſen Vortheil uͤber uns
haben.
Nehmen Sie mir dieſe ernſthaften Gedan-
cken nicht uͤbel. Der Menſch hat mich von
Hertzen unwillig gemacht. Jch ſehe, daß alle
ſeine Artigkeit nur Verſtellung geweſen iſt: die-
jenige Haͤrte, die ich zu Hauſe allzuviel habe
kennen lernen, iſt ihm natuͤrlich. So wie ich
jetzt geſinnet bin, will ich mich niemahls bewe-
gen laſſen, ihm zu vergeben. Denn er kan
nichts vorbringen, ſeine Ungeduld zu entſchuldi-
gen, da ich ihm etwas abſchreibe, daß ich nur
Bedingungsweiſe verſprochen, und mir das Recht
vorbehalten hatte, es abzuſchreiben. Jch habe
ſo viel um ſeinetwillen gelitten, und er geht mit
mir um, als wenn ich ſchuldig waͤre, noch dazu
von ihm Grobheiten anzunehmen. Seyn Sie
ſo guͤtig, und leſen Sie hiebey ſeinen Brief
ſelbſt, den ich beyſchlieſe.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/205>, abgerufen am 22.11.2024.
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