Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
Gedancken sagen darf/ so weiß ich nicht/
warum ein Mann nicht so gut seyn sollte
als der andere: und warum ein tugend-
hafter Mann nicht so gut ist/ als ein Bö-
sewicht.

"Gut! Elisabeth," (sagte ich seufzend) "alle
"deine unverschämten Reden sind vergebens. Jch
"sehe aber wohl, daß ich dazu bestimmet bin,
"unglücklich gemacht zu werden. Jch will es
"noch einmahl wagen, zu bitten."

Jch war des naseweisen Mädchens eben so
überdrüßig, als meiner selbst. Jch ging daher
in mein Closet/ und schrieb, ungeachtet des Ver-
bots, ein paar Zeilen an meinen Onckle Har-
lowe/
um ihn zu bitten, daß er einen Aufschub
meiner Abreise auswürcken möchte. Jch habe
dabey den Zweck, meine versprochene Unterre-
dung mit Herrn Lovelace aufzuschieben, wenn
mein Onckle etwas ausrichten kan. Denn mein
Hertz giebt es mir je mehr und mehr, daß ich
ihn nicht sprechen soll. Jch weiß nicht, woher
meine Furcht rühret.

Auf die Ueberschrifft des Brieffes setzte ich
die Worte: Jch bitte sie/ würdigen sie die-
sen Brief einer Durchlesung.
Der Brief
selbst lautete also:

"Theurester Onckle

"Nehmen Sie noch diese eintzige Bitte von

mir

Die Geſchichte
Gedancken ſagen darf/ ſo weiß ich nicht/
warum ein Mann nicht ſo gut ſeyn ſollte
als der andere: und warum ein tugend-
hafter Mann nicht ſo gut iſt/ als ein Boͤ-
ſewicht.

„Gut! Eliſabeth,„ (ſagte ich ſeufzend) „alle
„deine unverſchaͤmten Reden ſind vergebens. Jch
„ſehe aber wohl, daß ich dazu beſtimmet bin,
„ungluͤcklich gemacht zu werden. Jch will es
„noch einmahl wagen, zu bitten.„

Jch war des naſeweiſen Maͤdchens eben ſo
uͤberdruͤßig, als meiner ſelbſt. Jch ging daher
in mein Cloſet/ und ſchrieb, ungeachtet des Ver-
bots, ein paar Zeilen an meinen Onckle Har-
lowe/
um ihn zu bitten, daß er einen Aufſchub
meiner Abreiſe auswuͤrcken moͤchte. Jch habe
dabey den Zweck, meine verſprochene Unterre-
dung mit Herrn Lovelace aufzuſchieben, wenn
mein Onckle etwas ausrichten kan. Denn mein
Hertz giebt es mir je mehr und mehr, daß ich
ihn nicht ſprechen ſoll. Jch weiß nicht, woher
meine Furcht ruͤhret.

Auf die Ueberſchrifft des Brieffes ſetzte ich
die Worte: Jch bitte ſie/ wuͤrdigen ſie die-
ſen Brief einer Durchleſung.
Der Brief
ſelbſt lautete alſo:

Theureſter Onckle

„Nehmen Sie noch dieſe eintzige Bitte von

mir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p>
            <pb facs="#f0194" n="188"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/> <hi rendition="#fr">Gedancken &#x017F;agen darf/ &#x017F;o weiß ich nicht/<lb/>
warum ein Mann nicht &#x017F;o gut &#x017F;eyn &#x017F;ollte<lb/>
als der andere: und warum ein tugend-<lb/>
hafter Mann nicht &#x017F;o gut i&#x017F;t/ als ein Bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ewicht.</hi> </p><lb/>
          <p>&#x201E;Gut! Eli&#x017F;abeth,&#x201E; (&#x017F;agte ich &#x017F;eufzend) &#x201E;alle<lb/>
&#x201E;deine unver&#x017F;cha&#x0364;mten Reden &#x017F;ind vergebens. Jch<lb/>
&#x201E;&#x017F;ehe aber wohl, daß ich dazu be&#x017F;timmet bin,<lb/>
&#x201E;unglu&#x0364;cklich gemacht zu werden. Jch will es<lb/>
&#x201E;noch einmahl wagen, zu bitten.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Jch war des na&#x017F;ewei&#x017F;en Ma&#x0364;dchens eben &#x017F;o<lb/>
u&#x0364;berdru&#x0364;ßig, als meiner &#x017F;elb&#x017F;t. Jch ging daher<lb/>
in mein <hi rendition="#fr">Clo&#x017F;et/</hi> und &#x017F;chrieb, ungeachtet des Ver-<lb/>
bots, ein paar Zeilen an meinen Onckle <hi rendition="#fr">Har-<lb/>
lowe/</hi> um ihn zu bitten, daß er einen Auf&#x017F;chub<lb/>
meiner Abrei&#x017F;e auswu&#x0364;rcken mo&#x0364;chte. Jch habe<lb/>
dabey den Zweck, meine ver&#x017F;prochene Unterre-<lb/>
dung mit Herrn <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> aufzu&#x017F;chieben, wenn<lb/>
mein Onckle etwas ausrichten kan. Denn mein<lb/>
Hertz giebt es mir je mehr und mehr, daß ich<lb/>
ihn nicht &#x017F;prechen &#x017F;oll. Jch weiß nicht, woher<lb/>
meine Furcht ru&#x0364;hret.</p><lb/>
          <p>Auf die Ueber&#x017F;chrifft des Brieffes &#x017F;etzte ich<lb/>
die Worte: <hi rendition="#fr">Jch bitte &#x017F;ie/ wu&#x0364;rdigen &#x017F;ie die-<lb/>
&#x017F;en Brief einer Durchle&#x017F;ung.</hi> Der Brief<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t lautete al&#x017F;o:</p><lb/>
          <floatingText>
            <body>
              <salute> <hi rendition="#c">&#x201E;<hi rendition="#fr">Theure&#x017F;ter Onckle</hi></hi> </salute><lb/>
              <dateline> <hi rendition="#et">Dien&#x017F;tag Nachmittags.</hi> </dateline><lb/>
              <p>&#x201E;Nehmen Sie noch die&#x017F;e eintzige Bitte von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0194] Die Geſchichte Gedancken ſagen darf/ ſo weiß ich nicht/ warum ein Mann nicht ſo gut ſeyn ſollte als der andere: und warum ein tugend- hafter Mann nicht ſo gut iſt/ als ein Boͤ- ſewicht. „Gut! Eliſabeth,„ (ſagte ich ſeufzend) „alle „deine unverſchaͤmten Reden ſind vergebens. Jch „ſehe aber wohl, daß ich dazu beſtimmet bin, „ungluͤcklich gemacht zu werden. Jch will es „noch einmahl wagen, zu bitten.„ Jch war des naſeweiſen Maͤdchens eben ſo uͤberdruͤßig, als meiner ſelbſt. Jch ging daher in mein Cloſet/ und ſchrieb, ungeachtet des Ver- bots, ein paar Zeilen an meinen Onckle Har- lowe/ um ihn zu bitten, daß er einen Aufſchub meiner Abreiſe auswuͤrcken moͤchte. Jch habe dabey den Zweck, meine verſprochene Unterre- dung mit Herrn Lovelace aufzuſchieben, wenn mein Onckle etwas ausrichten kan. Denn mein Hertz giebt es mir je mehr und mehr, daß ich ihn nicht ſprechen ſoll. Jch weiß nicht, woher meine Furcht ruͤhret. Auf die Ueberſchrifft des Brieffes ſetzte ich die Worte: Jch bitte ſie/ wuͤrdigen ſie die- ſen Brief einer Durchleſung. Der Brief ſelbſt lautete alſo: „Theureſter Onckle Dienſtag Nachmittags. „Nehmen Sie noch dieſe eintzige Bitte von mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/194
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/194>, abgerufen am 27.11.2024.