"ob Sie gleich eben so wenig als Jhre Schwe- "ster von Geburt keine Lady waren, und nicht "gleiche Vorzüge des Herkommens hatten, als "Jhre Mutter! Wenn Sie meinen, daß Sie "beneidet werden, so müssen sie ja diesen Neid "nicht noch mehr erwecken, und ihm gleichsam "die Zähne schärffen. Sie sehen, daß ich un- "partheyisch schreibe, und Sie ohne Verände- "rung liebe.
"Sie haben uns dadurch nur mehr vereini, "get, daß Sie uns Jhre Geschicklichkeit haben "mercken lassen, niemandes zu schonen, und doch "alle zum Mitleiden zu bewegen, ohne daß wir "Sie im geringsten haben bewegen können. "Wir sind nun gezwungen, so vest zusammen "zu halten, als wir in den alten Büchern den "Phalanx der Griechen beschrieben finden. Jh- "rer Frau Mutter Schwester verbietet Jhnen "aus eben der Ursache, nicht zu antworten, die "mich zwinget, keine Gelegenheit zum Briefwech- "sel zu geben. Wir alle scheuen uns davor, "Sie zu sehen: denn wir sind versichert, daß "Sie nur mit uns spielen und Jhre Lust daran "haben werden, wenn Sie uns ein wenig hin- "ter das Licht führen. Jhre Mutter scheuet sich "so vor Jhnen, daß sie sich ein paarmahl einge- "schlossen hat, als sie meinete, Sie kämen und "wollten sie wider ihren Willen sprechen: denn "sie wüste zum voraus, daß sie Sie nicht spre- "chen dürfte, wie und wenn es Jhnen beliebte,
"und
Zweyter Theil. K
der Clariſſa.
„ob Sie gleich eben ſo wenig als Jhre Schwe- „ſter von Geburt keine Lady waren, und nicht „gleiche Vorzuͤge des Herkommens hatten, als „Jhre Mutter! Wenn Sie meinen, daß Sie „beneidet werden, ſo muͤſſen ſie ja dieſen Neid „nicht noch mehr erwecken, und ihm gleichſam „die Zaͤhne ſchaͤrffen. Sie ſehen, daß ich un- „partheyiſch ſchreibe, und Sie ohne Veraͤnde- „rung liebe.
„Sie haben uns dadurch nur mehr vereini, „get, daß Sie uns Jhre Geſchicklichkeit haben „mercken laſſen, niemandes zu ſchonen, und doch „alle zum Mitleiden zu bewegen, ohne daß wir „Sie im geringſten haben bewegen koͤnnen. „Wir ſind nun gezwungen, ſo veſt zuſammen „zu halten, als wir in den alten Buͤchern den „Phalanx der Griechen beſchrieben finden. Jh- „rer Frau Mutter Schweſter verbietet Jhnen „aus eben der Urſache, nicht zu antworten, die „mich zwinget, keine Gelegenheit zum Briefwech- „ſel zu geben. Wir alle ſcheuen uns davor, „Sie zu ſehen: denn wir ſind verſichert, daß „Sie nur mit uns ſpielen und Jhre Luſt daran „haben werden, wenn Sie uns ein wenig hin- „ter das Licht fuͤhren. Jhre Mutter ſcheuet ſich „ſo vor Jhnen, daß ſie ſich ein paarmahl einge- „ſchloſſen hat, als ſie meinete, Sie kaͤmen und „wollten ſie wider ihren Willen ſprechen: denn „ſie wuͤſte zum voraus, daß ſie Sie nicht ſpre- „chen duͤrfte, wie und wenn es Jhnen beliebte,
„und
Zweyter Theil. K
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><p><pbfacs="#f0151"n="145"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/>„ob Sie gleich eben ſo wenig als Jhre Schwe-<lb/>„ſter von Geburt keine <hirendition="#fr">Lady</hi> waren, und nicht<lb/>„gleiche Vorzuͤge des Herkommens hatten, als<lb/>„Jhre Mutter! Wenn Sie meinen, daß Sie<lb/>„beneidet werden, ſo muͤſſen ſie ja dieſen Neid<lb/>„nicht noch mehr erwecken, und ihm gleichſam<lb/>„die Zaͤhne ſchaͤrffen. Sie ſehen, daß ich un-<lb/>„partheyiſch ſchreibe, und Sie ohne Veraͤnde-<lb/>„rung liebe.</p><lb/><p>„Sie haben uns dadurch nur mehr vereini,<lb/>„get, daß Sie uns Jhre Geſchicklichkeit haben<lb/>„mercken laſſen, niemandes zu ſchonen, und doch<lb/>„alle zum Mitleiden zu bewegen, ohne daß wir<lb/>„Sie im geringſten haben bewegen koͤnnen.<lb/>„Wir ſind nun gezwungen, ſo veſt zuſammen<lb/>„zu halten, als wir in den alten Buͤchern den<lb/>„Phalanx der Griechen beſchrieben finden. Jh-<lb/>„rer Frau Mutter Schweſter verbietet Jhnen<lb/>„aus eben der Urſache, nicht zu antworten, die<lb/>„mich zwinget, keine Gelegenheit zum Briefwech-<lb/>„ſel zu geben. Wir alle ſcheuen uns davor,<lb/>„Sie zu ſehen: denn wir ſind verſichert, daß<lb/>„Sie nur mit uns ſpielen und Jhre Luſt daran<lb/>„haben werden, wenn Sie uns ein wenig hin-<lb/>„ter das Licht fuͤhren. Jhre Mutter ſcheuet ſich<lb/>„ſo vor Jhnen, daß ſie ſich ein paarmahl einge-<lb/>„ſchloſſen hat, als ſie meinete, Sie kaͤmen und<lb/>„wollten ſie wider ihren Willen ſprechen: denn<lb/>„ſie wuͤſte zum voraus, daß ſie Sie nicht ſpre-<lb/>„chen duͤrfte, wie und wenn es Jhnen beliebte,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> K</fw><fwplace="bottom"type="catch">„und</fw><lb/></p></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[145/0151]
der Clariſſa.
„ob Sie gleich eben ſo wenig als Jhre Schwe-
„ſter von Geburt keine Lady waren, und nicht
„gleiche Vorzuͤge des Herkommens hatten, als
„Jhre Mutter! Wenn Sie meinen, daß Sie
„beneidet werden, ſo muͤſſen ſie ja dieſen Neid
„nicht noch mehr erwecken, und ihm gleichſam
„die Zaͤhne ſchaͤrffen. Sie ſehen, daß ich un-
„partheyiſch ſchreibe, und Sie ohne Veraͤnde-
„rung liebe.
„Sie haben uns dadurch nur mehr vereini,
„get, daß Sie uns Jhre Geſchicklichkeit haben
„mercken laſſen, niemandes zu ſchonen, und doch
„alle zum Mitleiden zu bewegen, ohne daß wir
„Sie im geringſten haben bewegen koͤnnen.
„Wir ſind nun gezwungen, ſo veſt zuſammen
„zu halten, als wir in den alten Buͤchern den
„Phalanx der Griechen beſchrieben finden. Jh-
„rer Frau Mutter Schweſter verbietet Jhnen
„aus eben der Urſache, nicht zu antworten, die
„mich zwinget, keine Gelegenheit zum Briefwech-
„ſel zu geben. Wir alle ſcheuen uns davor,
„Sie zu ſehen: denn wir ſind verſichert, daß
„Sie nur mit uns ſpielen und Jhre Luſt daran
„haben werden, wenn Sie uns ein wenig hin-
„ter das Licht fuͤhren. Jhre Mutter ſcheuet ſich
„ſo vor Jhnen, daß ſie ſich ein paarmahl einge-
„ſchloſſen hat, als ſie meinete, Sie kaͤmen und
„wollten ſie wider ihren Willen ſprechen: denn
„ſie wuͤſte zum voraus, daß ſie Sie nicht ſpre-
„chen duͤrfte, wie und wenn es Jhnen beliebte,
„und
Zweyter Theil. K
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/151>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.