"spenstigkeit und Ungehorsam genährt und groß "geworden ist. (Hier fiel ein kleiner Neben- Streit vor, den ich auslasse, weil er Jhre Sa- che nicht betrift.) Ueberlege einmahl, ob die- "se Personen glücklicher sind, als andere, die aus "Absichten oder aus Gehorsam geheyrathet ha- "ben; oder ob sie nur eben so glücklich sind? "denn wenn man etwas nach vernünftigen Ab- "sichten oder aus Gehorsam thut, so empfindet "man dabey eine Zufriedenheit, die nicht ab, son- "dern zunimmt, wenn man auch die Sache nach- "her überleget. Vernünftige Absichten und Ge- "horsam werden nicht leicht unbelohnt bleiben. "Die Liebe hingegen ist ein Nichts! (Jch dach- te bey mir selbst, das ist wenigstens in ei- ner Absicht zuviel geredet. Die Liebe ist so geschäftig wie ein Affe/ und so muth- willig als ein Junge in der Schule) Sie "ist eine Hitze, die bald verfliegt; und kommt "mir vor wie ein allzustarck gespanneter Bogen, "der bald wieder so wird wie er von Natur "war."
"Sie gründet sich gemeiniglich auf lauter sol- "che Vorzüge, die nirgends als in dem Gehirn "der Verliebten zu finden sind, und die ihr Be- "sitzer selbst nicht kannte, bis sie ihm von der "andern Parthey zuerkannt wurden. Zwey oder "drey Monathe sind genug, beyden Theilen die "Augen zu öfnen: und denn hat einer in des "andern Augen nicht mehr Vorzüge, als er vor-
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der Clariſſa.
„ſpenſtigkeit und Ungehorſam genaͤhrt und groß „geworden iſt. (Hier fiel ein kleiner Neben- Streit vor, den ich auslaſſe, weil er Jhre Sa- che nicht betrift.) Ueberlege einmahl, ob die- „ſe Perſonen gluͤcklicher ſind, als andere, die aus „Abſichten oder aus Gehorſam geheyrathet ha- „ben; oder ob ſie nur eben ſo gluͤcklich ſind? „denn wenn man etwas nach vernuͤnftigen Ab- „ſichten oder aus Gehorſam thut, ſo empfindet „man dabey eine Zufriedenheit, die nicht ab, ſon- „dern zunimmt, wenn man auch die Sache nach- „her uͤberleget. Vernuͤnftige Abſichten und Ge- „horſam werden nicht leicht unbelohnt bleiben. „Die Liebe hingegen iſt ein Nichts! (Jch dach- te bey mir ſelbſt, das iſt wenigſtens in ei- ner Abſicht zuviel geredet. Die Liebe iſt ſo geſchaͤftig wie ein Affe/ und ſo muth- willig als ein Junge in der Schule) Sie „iſt eine Hitze, die bald verfliegt; und kommt „mir vor wie ein allzuſtarck geſpanneter Bogen, „der bald wieder ſo wird wie er von Natur „war.„
„Sie gruͤndet ſich gemeiniglich auf lauter ſol- „che Vorzuͤge, die nirgends als in dem Gehirn „der Verliebten zu finden ſind, und die ihr Be- „ſitzer ſelbſt nicht kannte, bis ſie ihm von der „andern Parthey zuerkannt wurden. Zwey oder „drey Monathe ſind genug, beyden Theilen die „Augen zu oͤfnen: und denn hat einer in des „andern Augen nicht mehr Vorzuͤge, als er vor-
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der Clariſſa.
„ſpenſtigkeit und Ungehorſam genaͤhrt und groß
„geworden iſt. (Hier fiel ein kleiner Neben-
Streit vor, den ich auslaſſe, weil er Jhre Sa-
che nicht betrift.) Ueberlege einmahl, ob die-
„ſe Perſonen gluͤcklicher ſind, als andere, die aus
„Abſichten oder aus Gehorſam geheyrathet ha-
„ben; oder ob ſie nur eben ſo gluͤcklich ſind?
„denn wenn man etwas nach vernuͤnftigen Ab-
„ſichten oder aus Gehorſam thut, ſo empfindet
„man dabey eine Zufriedenheit, die nicht ab, ſon-
„dern zunimmt, wenn man auch die Sache nach-
„her uͤberleget. Vernuͤnftige Abſichten und Ge-
„horſam werden nicht leicht unbelohnt bleiben.
„Die Liebe hingegen iſt ein Nichts! (Jch dach-
te bey mir ſelbſt, das iſt wenigſtens in ei-
ner Abſicht zuviel geredet. Die Liebe
iſt ſo geſchaͤftig wie ein Affe/ und ſo muth-
willig als ein Junge in der Schule) Sie
„iſt eine Hitze, die bald verfliegt; und kommt
„mir vor wie ein allzuſtarck geſpanneter Bogen,
„der bald wieder ſo wird wie er von Natur
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„Sie gruͤndet ſich gemeiniglich auf lauter ſol-
„che Vorzuͤge, die nirgends als in dem Gehirn
„der Verliebten zu finden ſind, und die ihr Be-
„ſitzer ſelbſt nicht kannte, bis ſie ihm von der
„andern Parthey zuerkannt wurden. Zwey oder
„drey Monathe ſind genug, beyden Theilen die
„Augen zu oͤfnen: und denn hat einer in des
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/125>, abgerufen am 16.02.2025.
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