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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.

Jch könte euch leicht antworten (sagte ich) wie
es diese Beschuldigung verdient. Allein wenn ich
gleich an euch keinen Bruder habe, so sollt ihr doch
stets an mir eine Schwester behalten.

Eine artige Sanftmuth! wispelte meine
Schwester mit verzogenen Lippen, und sahe mei-
nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem
vornehmen Gesicht, seine Liebe zu verdienen:
alsdenn sollte sie mir nicht entstehen.

Nachdem wir uns gesetzt hatten, redete meine
Mutter mit der gewöhnlichen Artigkeit und Vor-
treflichkeit, die alle ihre Reden an sich haben, von
der Liebe zwischen Geschwistern, und verwieß es
meinem Bruder und meiner Schwester glimpflich,
daß sie sich so leicht gegen mich hätten aufbringen
lassen, wobey sie auf eine beynahe listige Weise
für mich Bürge ward, daß ich dem Willen mei-
nes Vaters Folge leisten würde. Mein Vater
sagte: alsdenn würde alles gut seyn: mein
Bruder: denn würden sie sich in mich ver-
lieben:
meine Schwester: sie würden mich so
lieb als jemahls haben:
und meines Vaters
Brüder: denn würden sie recht stoltz auf
mich seyn.
Aller dieser Versprechungen werde
ich mich leider begeben müssen.

So ward ich bewillkommet, als ich von Jh-
nen zurück kam.

Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten,
trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va-
ters Bruder Anton führte ihn zu mir, als einen
Herrn, der sein besonders guter Freund sey. Mein

an-
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der Clariſſa.

Jch koͤnte euch leicht antworten (ſagte ich) wie
es dieſe Beſchuldigung verdient. Allein wenn ich
gleich an euch keinen Bruder habe, ſo ſollt ihr doch
ſtets an mir eine Schweſter behalten.

Eine artige Sanftmuth! wiſpelte meine
Schweſter mit verzogenen Lippen, und ſahe mei-
nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem
vornehmen Geſicht, ſeine Liebe zu verdienen:
alsdenn ſollte ſie mir nicht entſtehen.

Nachdem wir uns geſetzt hatten, redete meine
Mutter mit der gewoͤhnlichen Artigkeit und Vor-
treflichkeit, die alle ihre Reden an ſich haben, von
der Liebe zwiſchen Geſchwiſtern, und verwieß es
meinem Bruder und meiner Schweſter glimpflich,
daß ſie ſich ſo leicht gegen mich haͤtten aufbringen
laſſen, wobey ſie auf eine beynahe liſtige Weiſe
fuͤr mich Buͤrge ward, daß ich dem Willen mei-
nes Vaters Folge leiſten wuͤrde. Mein Vater
ſagte: alsdenn wuͤrde alles gut ſeyn: mein
Bruder: denn wuͤrden ſie ſich in mich ver-
lieben:
meine Schweſter: ſie wuͤrden mich ſo
lieb als jemahls haben:
und meines Vaters
Bruͤder: denn wuͤrden ſie recht ſtoltz auf
mich ſeyn.
Aller dieſer Verſprechungen werde
ich mich leider begeben muͤſſen.

So ward ich bewillkommet, als ich von Jh-
nen zuruͤck kam.

Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten,
trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va-
ters Bruder Anton fuͤhrte ihn zu mir, als einen
Herrn, der ſein beſonders guter Freund ſey. Mein

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[69/0089] der Clariſſa. Jch koͤnte euch leicht antworten (ſagte ich) wie es dieſe Beſchuldigung verdient. Allein wenn ich gleich an euch keinen Bruder habe, ſo ſollt ihr doch ſtets an mir eine Schweſter behalten. Eine artige Sanftmuth! wiſpelte meine Schweſter mit verzogenen Lippen, und ſahe mei- nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem vornehmen Geſicht, ſeine Liebe zu verdienen: alsdenn ſollte ſie mir nicht entſtehen. Nachdem wir uns geſetzt hatten, redete meine Mutter mit der gewoͤhnlichen Artigkeit und Vor- treflichkeit, die alle ihre Reden an ſich haben, von der Liebe zwiſchen Geſchwiſtern, und verwieß es meinem Bruder und meiner Schweſter glimpflich, daß ſie ſich ſo leicht gegen mich haͤtten aufbringen laſſen, wobey ſie auf eine beynahe liſtige Weiſe fuͤr mich Buͤrge ward, daß ich dem Willen mei- nes Vaters Folge leiſten wuͤrde. Mein Vater ſagte: alsdenn wuͤrde alles gut ſeyn: mein Bruder: denn wuͤrden ſie ſich in mich ver- lieben: meine Schweſter: ſie wuͤrden mich ſo lieb als jemahls haben: und meines Vaters Bruͤder: denn wuͤrden ſie recht ſtoltz auf mich ſeyn. Aller dieſer Verſprechungen werde ich mich leider begeben muͤſſen. So ward ich bewillkommet, als ich von Jh- nen zuruͤck kam. Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten, trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va- ters Bruder Anton fuͤhrte ihn zu mir, als einen Herrn, der ſein beſonders guter Freund ſey. Mein an- E 3

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/89>, abgerufen am 23.11.2024.