gen wollten, sehr unangenehme Eigenschafften haben müsse.
Kaum hatte ich ausgeredet, so schwor mein Bruder in Gegenwart meines Vaters, der ihm weder durch Worte noch durch ein ernstliches Ge- sicht Einhalt that, daß er sich niemahls mit dem liederlichen Kerl aussöhnen wollte, und er könnte mich nicht für seine Schwester erkennen, wenn ich einem, der sie insgesammt so sehr beleidiget hätte, die geringste Hoffnuug machte.
Einem Menschen, setzte meine Schwester mit einem Gesichte welches vor zurück gehaltenem Zorn bersten wollte, hinzu, Einem Menschen, der beynahe meines Bruders Mörder ge- worden wäre! Sie hat ohnehin ein ungestaltes und plumpes Gesicht; falls Sie mir anders die- sen Ausdruck von meiner Schwester zu gebrau- chen, erlauben. Doch Sie vergeben mir diese Frey- heit eher, als ich mir selbst: allein ist wol ein Wurm der sich nicht krümmet, wenn er zertreten wird?
Mein Vater sagte hierauf mit heftigen Geber- den und Stimme, (Sie wissen, er hat eine fürch- terliche Stimme, wenn er zornig ist) man habe gegen mich allzu viel Nachsicht bewiesen, da man mir erlaubt, bald diesem bald jenem Herrn ab- schlägige Antwort zu geben. Die Reihe sey nun einmahl an ihm, Gehorsam zu fodern.
Dis ist wahr! sagte meine Mutter: ich hoffe, daß ein Kind, dem wir so viel Liebe erwiesen ha- ben, uns nicht wiedersprechen werde.
Um
Die Geſchichte
gen wollten, ſehr unangenehme Eigenſchafften haben muͤſſe.
Kaum hatte ich ausgeredet, ſo ſchwor mein Bruder in Gegenwart meines Vaters, der ihm weder durch Worte noch durch ein ernſtliches Ge- ſicht Einhalt that, daß er ſich niemahls mit dem liederlichen Kerl ausſoͤhnen wollte, und er koͤnnte mich nicht fuͤr ſeine Schweſter erkennen, wenn ich einem, der ſie insgeſammt ſo ſehr beleidiget haͤtte, die geringſte Hoffnuug machte.
Einem Menſchen, ſetzte meine Schweſter mit einem Geſichte welches vor zuruͤck gehaltenem Zorn berſten wollte, hinzu, Einem Menſchen, der beynahe meines Bruders Moͤrder ge- worden waͤre! Sie hat ohnehin ein ungeſtaltes und plumpes Geſicht; falls Sie mir anders die- ſen Ausdruck von meiner Schweſter zu gebrau- chen, erlauben. Doch Sie vergeben mir dieſe Frey- heit eher, als ich mir ſelbſt: allein iſt wol ein Wurm der ſich nicht kruͤmmet, wenn er zertreten wird?
Mein Vater ſagte hierauf mit heftigen Geber- den und Stimme, (Sie wiſſen, er hat eine fuͤrch- terliche Stimme, wenn er zornig iſt) man habe gegen mich allzu viel Nachſicht bewieſen, da man mir erlaubt, bald dieſem bald jenem Herrn ab- ſchlaͤgige Antwort zu geben. Die Reihe ſey nun einmahl an ihm, Gehorſam zu fodern.
Dis iſt wahr! ſagte meine Mutter: ich hoffe, daß ein Kind, dem wir ſo viel Liebe erwieſen ha- ben, uns nicht wiederſprechen werde.
Um
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Die Geſchichte
gen wollten, ſehr unangenehme Eigenſchafften
haben muͤſſe.
Kaum hatte ich ausgeredet, ſo ſchwor mein
Bruder in Gegenwart meines Vaters, der ihm
weder durch Worte noch durch ein ernſtliches Ge-
ſicht Einhalt that, daß er ſich niemahls mit dem
liederlichen Kerl ausſoͤhnen wollte, und er koͤnnte
mich nicht fuͤr ſeine Schweſter erkennen, wenn ich
einem, der ſie insgeſammt ſo ſehr beleidiget haͤtte,
die geringſte Hoffnuug machte.
Einem Menſchen, ſetzte meine Schweſter
mit einem Geſichte welches vor zuruͤck gehaltenem
Zorn berſten wollte, hinzu, Einem Menſchen,
der beynahe meines Bruders Moͤrder ge-
worden waͤre! Sie hat ohnehin ein ungeſtaltes
und plumpes Geſicht; falls Sie mir anders die-
ſen Ausdruck von meiner Schweſter zu gebrau-
chen, erlauben. Doch Sie vergeben mir dieſe Frey-
heit eher, als ich mir ſelbſt: allein iſt wol ein Wurm
der ſich nicht kruͤmmet, wenn er zertreten wird?
Mein Vater ſagte hierauf mit heftigen Geber-
den und Stimme, (Sie wiſſen, er hat eine fuͤrch-
terliche Stimme, wenn er zornig iſt) man habe
gegen mich allzu viel Nachſicht bewieſen, da man
mir erlaubt, bald dieſem bald jenem Herrn ab-
ſchlaͤgige Antwort zu geben. Die Reihe ſey nun
einmahl an ihm, Gehorſam zu fodern.
Dis iſt wahr! ſagte meine Mutter: ich hoffe,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/86>, abgerufen am 27.11.2024.
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