Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
such untersagen solte. Jch fragte sie: was ich
für Recht hätte mir dergleichen in meines Vaters
Hause anzumassen, sonderlich da ich so fremd ge-
gen ihn wäre, daß (sie beyde nur ausgenommen)
er mehr ein Gast aller im gantzen Hause, als mein
Gast zu seyn schien? dagegen versetzten sie mir:
es wäre zwischen uns beyden eine künstliche
und abgeredete Verstellung: wir verstünden ein-
ander besser, als wir haben wollten, daß es andere
glaubten. Endlich liessen sie auf einmahl ihren
Leidenschaften so den Zügel daß an statt weg zu-
gehen, wenn er kam, wie sie vorhin gethan hat-
ten, sie nunmehr ihm Recht mit willen in den
Weg kamen, um sich an Jhm zu reiben (*)
Herr Lovelace verschmertzte dieses nicht gern,
wie sie leicht dencken können; doch that er wei-
ter nichts, als das er sich mit vieler Empfind-
lichkeit darüber gegen mich beklagte. Sein
Ausdruck war, meines Bruders Verfahren
würde er unmöglich ertragen können, wenn es
nicht um meinetwillen geschähe.

Es that mir Leid, daß er hiedurch seiner eig-
nen Meinung nach ein Verdienst und Recht gegen
mich bekam, und dieses um so viel mehr, weil ei-
nige Beleidigungen, die er ertrug, sich gar nicht
entschuldigen liessen. Jch antwortete ihm: ich sey
vest entschlossen, es mit meinem Bruder nicht zu
verderben, wenn ich es irgend vermeiden könte,

seine
(*) Die Ursachen hievon wird man in dem 13.
Brief sehen.
C 2

der Clariſſa.
ſuch unterſagen ſolte. Jch fragte ſie: was ich
fuͤr Recht haͤtte mir dergleichen in meines Vaters
Hauſe anzumaſſen, ſonderlich da ich ſo fremd ge-
gen ihn waͤre, daß (ſie beyde nur ausgenommen)
er mehr ein Gaſt aller im gantzen Hauſe, als mein
Gaſt zu ſeyn ſchien? dagegen verſetzten ſie mir:
es waͤre zwiſchen uns beyden eine kuͤnſtliche
und abgeredete Verſtellung: wir verſtuͤnden ein-
ander beſſer, als wir haben wollten, daß es andere
glaubten. Endlich lieſſen ſie auf einmahl ihren
Leidenſchaften ſo den Zuͤgel daß an ſtatt weg zu-
gehen, wenn er kam, wie ſie vorhin gethan hat-
ten, ſie nunmehr ihm Recht mit willen in den
Weg kamen, um ſich an Jhm zu reiben (*)
Herr Lovelace verſchmertzte dieſes nicht gern,
wie ſie leicht dencken koͤnnen; doch that er wei-
ter nichts, als das er ſich mit vieler Empfind-
lichkeit daruͤber gegen mich beklagte. Sein
Ausdruck war, meines Bruders Verfahren
wuͤrde er unmoͤglich ertragen koͤnnen, wenn es
nicht um meinetwillen geſchaͤhe.

Es that mir Leid, daß er hiedurch ſeiner eig-
nen Meinung nach ein Verdienſt und Recht gegen
mich bekam, und dieſes um ſo viel mehr, weil ei-
nige Beleidigungen, die er ertrug, ſich gar nicht
entſchuldigen lieſſen. Jch antwortete ihm: ich ſey
veſt entſchloſſen, es mit meinem Bruder nicht zu
verderben, wenn ich es irgend vermeiden koͤnte,

ſeine
(*) Die Urſachen hievon wird man in dem 13.
Brief ſehen.
C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="35"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;uch unter&#x017F;agen &#x017F;olte. Jch fragte &#x017F;ie: was ich<lb/>
fu&#x0364;r Recht ha&#x0364;tte mir dergleichen in meines Vaters<lb/>
Hau&#x017F;e anzuma&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;onderlich da ich &#x017F;o fremd ge-<lb/>
gen ihn wa&#x0364;re, daß (&#x017F;ie beyde nur ausgenommen)<lb/>
er mehr ein Ga&#x017F;t aller im gantzen Hau&#x017F;e, als mein<lb/>
Ga&#x017F;t zu &#x017F;eyn &#x017F;chien? dagegen ver&#x017F;etzten &#x017F;ie mir:<lb/>
es wa&#x0364;re zwi&#x017F;chen uns beyden eine ku&#x0364;n&#x017F;tliche<lb/>
und abgeredete Ver&#x017F;tellung: wir ver&#x017F;tu&#x0364;nden ein-<lb/>
ander be&#x017F;&#x017F;er, als wir haben wollten, daß es andere<lb/>
glaubten. Endlich lie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie auf einmahl ihren<lb/>
Leiden&#x017F;chaften &#x017F;o den Zu&#x0364;gel daß an &#x017F;tatt weg zu-<lb/>
gehen, wenn er kam, wie &#x017F;ie vorhin gethan hat-<lb/>
ten, &#x017F;ie nunmehr ihm Recht mit willen in den<lb/>
Weg kamen, um &#x017F;ich an Jhm zu reiben <note place="foot" n="(*)">Die Ur&#x017F;achen hievon wird man in dem 13.<lb/>
Brief &#x017F;ehen.</note><lb/>
Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> ver&#x017F;chmertzte die&#x017F;es nicht gern,<lb/>
wie &#x017F;ie leicht dencken ko&#x0364;nnen; doch that er wei-<lb/>
ter nichts, als das er &#x017F;ich mit vieler Empfind-<lb/>
lichkeit daru&#x0364;ber gegen mich beklagte. Sein<lb/>
Ausdruck war, meines Bruders Verfahren<lb/>
wu&#x0364;rde er unmo&#x0364;glich ertragen ko&#x0364;nnen, wenn es<lb/>
nicht um meinetwillen ge&#x017F;cha&#x0364;he.</p><lb/>
          <p>Es that mir Leid, daß er hiedurch &#x017F;einer eig-<lb/>
nen Meinung nach ein Verdien&#x017F;t und Recht gegen<lb/>
mich bekam, und die&#x017F;es um &#x017F;o viel mehr, weil ei-<lb/>
nige Beleidigungen, die er ertrug, &#x017F;ich gar nicht<lb/>
ent&#x017F;chuldigen lie&#x017F;&#x017F;en. Jch antwortete ihm: ich &#x017F;ey<lb/>
ve&#x017F;t ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, es mit meinem Bruder nicht zu<lb/>
verderben, wenn ich es irgend vermeiden ko&#x0364;nte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eine</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0055] der Clariſſa. ſuch unterſagen ſolte. Jch fragte ſie: was ich fuͤr Recht haͤtte mir dergleichen in meines Vaters Hauſe anzumaſſen, ſonderlich da ich ſo fremd ge- gen ihn waͤre, daß (ſie beyde nur ausgenommen) er mehr ein Gaſt aller im gantzen Hauſe, als mein Gaſt zu ſeyn ſchien? dagegen verſetzten ſie mir: es waͤre zwiſchen uns beyden eine kuͤnſtliche und abgeredete Verſtellung: wir verſtuͤnden ein- ander beſſer, als wir haben wollten, daß es andere glaubten. Endlich lieſſen ſie auf einmahl ihren Leidenſchaften ſo den Zuͤgel daß an ſtatt weg zu- gehen, wenn er kam, wie ſie vorhin gethan hat- ten, ſie nunmehr ihm Recht mit willen in den Weg kamen, um ſich an Jhm zu reiben (*) Herr Lovelace verſchmertzte dieſes nicht gern, wie ſie leicht dencken koͤnnen; doch that er wei- ter nichts, als das er ſich mit vieler Empfind- lichkeit daruͤber gegen mich beklagte. Sein Ausdruck war, meines Bruders Verfahren wuͤrde er unmoͤglich ertragen koͤnnen, wenn es nicht um meinetwillen geſchaͤhe. Es that mir Leid, daß er hiedurch ſeiner eig- nen Meinung nach ein Verdienſt und Recht gegen mich bekam, und dieſes um ſo viel mehr, weil ei- nige Beleidigungen, die er ertrug, ſich gar nicht entſchuldigen lieſſen. Jch antwortete ihm: ich ſey veſt entſchloſſen, es mit meinem Bruder nicht zu verderben, wenn ich es irgend vermeiden koͤnte, ſeine (*) Die Urſachen hievon wird man in dem 13. Brief ſehen. C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/55
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/55>, abgerufen am 23.11.2024.