Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
als möglich vorstellen? Mein Hertz empöret sich
gegen den Mann, wann ich ihn auch von der
besten Seite ansehe. Welcher Vater ausser mei-
nem wird eine Chestiftung machen, wenn er keine
Zuneigung hoffen kann? ja wenn aus dem Ge-
gentheil gar kein Geheimniß gemacht wird, ohne
daß nur ein Schatten einer Veränderung zu spü-
ren ist. Allein wenn ich auf den Grund der Sa-
che sehe, so thut das alles mein Vater nicht. O
mein grausamer Bruder! der macht, daß man
Gewaltthätigkeiten gegen mich gebraucht, unter
denen er nicht die geringste Gedult behalten wür-
de, wenn er an meiner Stelle wäre.

Meine Schwester sagte: Frau Hervey sie se-
hen das Mädchen wird in seinen Gedancken im-
mer grösser. Es scheut keinen Menschen mehr.
Jch bitte sie, geben sie ihr doch zu verstehen, was
sie zu erwarten hat. Es ist nichts bey ihr aus-
zurichten. Jch bitte sie, machen sie ihr doch ihr
Urtheil bekant.

Meine Base ging weinend an das Fenster, und
hatte meine Schwester an der Hand. Sie sagte
zwar sanfte, allein doch so, daß ich alle Worte ver-
nehmen konnten zu ihr: ich kann nicht, Fräulein
Harlowe: ich kann es gewiß nicht thun. Das
was man ihr zumuthet ist sehr hart. Sie ist
doch ein unvergleichliches Kind. Es ist Schade,
daß es schon so weit gekommen ist: allein man
muß Herrn Solmes sagen, daß er abläßt.

Meine Schwester wisperte ihr so laut sie konn-
te in die Ohren haben sie sich auch durch die kleine

Syrene

Die Geſchichte
als moͤglich vorſtellen? Mein Hertz empoͤret ſich
gegen den Mann, wann ich ihn auch von der
beſten Seite anſehe. Welcher Vater auſſer mei-
nem wird eine Cheſtiftung machen, wenn er keine
Zuneigung hoffen kann? ja wenn aus dem Ge-
gentheil gar kein Geheimniß gemacht wird, ohne
daß nur ein Schatten einer Veraͤnderung zu ſpuͤ-
ren iſt. Allein wenn ich auf den Grund der Sa-
che ſehe, ſo thut das alles mein Vater nicht. O
mein grauſamer Bruder! der macht, daß man
Gewaltthaͤtigkeiten gegen mich gebraucht, unter
denen er nicht die geringſte Gedult behalten wuͤr-
de, wenn er an meiner Stelle waͤre.

Meine Schweſter ſagte: Frau Hervey ſie ſe-
hen das Maͤdchen wird in ſeinen Gedancken im-
mer groͤſſer. Es ſcheut keinen Menſchen mehr.
Jch bitte ſie, geben ſie ihr doch zu verſtehen, was
ſie zu erwarten hat. Es iſt nichts bey ihr aus-
zurichten. Jch bitte ſie, machen ſie ihr doch ihr
Urtheil bekant.

Meine Baſe ging weinend an das Fenſter, und
hatte meine Schweſter an der Hand. Sie ſagte
zwar ſanfte, allein doch ſo, daß ich alle Worte ver-
nehmen konnten zu ihr: ich kann nicht, Fraͤulein
Harlowe: ich kann es gewiß nicht thun. Das
was man ihr zumuthet iſt ſehr hart. Sie iſt
doch ein unvergleichliches Kind. Es iſt Schade,
daß es ſchon ſo weit gekommen iſt: allein man
muß Herrn Solmes ſagen, daß er ablaͤßt.

Meine Schweſter wiſperte ihr ſo laut ſie konn-
te in die Ohren haben ſie ſich auch durch die kleine

Syrene
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0532" n="512"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
als mo&#x0364;glich vor&#x017F;tellen? Mein Hertz empo&#x0364;ret &#x017F;ich<lb/>
gegen den Mann, wann ich ihn auch von der<lb/>
be&#x017F;ten Seite an&#x017F;ehe. Welcher Vater au&#x017F;&#x017F;er mei-<lb/>
nem wird eine Che&#x017F;tiftung machen, wenn er keine<lb/>
Zuneigung hoffen kann? ja wenn aus dem Ge-<lb/>
gentheil gar kein Geheimniß gemacht wird, ohne<lb/>
daß nur ein Schatten einer Vera&#x0364;nderung zu &#x017F;pu&#x0364;-<lb/>
ren i&#x017F;t. Allein wenn ich auf den Grund der Sa-<lb/>
che &#x017F;ehe, &#x017F;o thut das alles mein Vater nicht. O<lb/>
mein grau&#x017F;amer Bruder! der macht, daß man<lb/>
Gewalttha&#x0364;tigkeiten gegen mich gebraucht, unter<lb/>
denen er nicht die gering&#x017F;te Gedult behalten wu&#x0364;r-<lb/>
de, wenn er an meiner Stelle wa&#x0364;re.</p><lb/>
        <p>Meine Schwe&#x017F;ter &#x017F;agte: Frau <hi rendition="#fr">Hervey</hi> &#x017F;ie &#x017F;e-<lb/>
hen das Ma&#x0364;dchen wird in &#x017F;einen Gedancken im-<lb/>
mer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er. Es &#x017F;cheut keinen Men&#x017F;chen mehr.<lb/>
Jch bitte &#x017F;ie, geben &#x017F;ie ihr doch zu ver&#x017F;tehen, was<lb/>
&#x017F;ie zu erwarten hat. Es i&#x017F;t nichts bey ihr aus-<lb/>
zurichten. Jch bitte &#x017F;ie, machen &#x017F;ie ihr doch ihr<lb/>
Urtheil bekant.</p><lb/>
        <p>Meine Ba&#x017F;e ging weinend an das Fen&#x017F;ter, und<lb/>
hatte meine Schwe&#x017F;ter an der Hand. Sie &#x017F;agte<lb/>
zwar &#x017F;anfte, allein doch &#x017F;o, daß ich alle Worte ver-<lb/>
nehmen konnten zu ihr: ich kann nicht, Fra&#x0364;ulein<lb/><hi rendition="#fr">Harlowe:</hi> ich kann es gewiß nicht thun. Das<lb/>
was man ihr zumuthet i&#x017F;t &#x017F;ehr hart. Sie i&#x017F;t<lb/>
doch ein unvergleichliches Kind. Es i&#x017F;t Schade,<lb/>
daß es &#x017F;chon &#x017F;o weit gekommen i&#x017F;t: allein man<lb/>
muß Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> &#x017F;agen, daß er abla&#x0364;ßt.</p><lb/>
        <p>Meine Schwe&#x017F;ter wi&#x017F;perte ihr &#x017F;o laut &#x017F;ie konn-<lb/>
te in die Ohren haben &#x017F;ie &#x017F;ich auch durch die kleine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Syrene</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0532] Die Geſchichte als moͤglich vorſtellen? Mein Hertz empoͤret ſich gegen den Mann, wann ich ihn auch von der beſten Seite anſehe. Welcher Vater auſſer mei- nem wird eine Cheſtiftung machen, wenn er keine Zuneigung hoffen kann? ja wenn aus dem Ge- gentheil gar kein Geheimniß gemacht wird, ohne daß nur ein Schatten einer Veraͤnderung zu ſpuͤ- ren iſt. Allein wenn ich auf den Grund der Sa- che ſehe, ſo thut das alles mein Vater nicht. O mein grauſamer Bruder! der macht, daß man Gewaltthaͤtigkeiten gegen mich gebraucht, unter denen er nicht die geringſte Gedult behalten wuͤr- de, wenn er an meiner Stelle waͤre. Meine Schweſter ſagte: Frau Hervey ſie ſe- hen das Maͤdchen wird in ſeinen Gedancken im- mer groͤſſer. Es ſcheut keinen Menſchen mehr. Jch bitte ſie, geben ſie ihr doch zu verſtehen, was ſie zu erwarten hat. Es iſt nichts bey ihr aus- zurichten. Jch bitte ſie, machen ſie ihr doch ihr Urtheil bekant. Meine Baſe ging weinend an das Fenſter, und hatte meine Schweſter an der Hand. Sie ſagte zwar ſanfte, allein doch ſo, daß ich alle Worte ver- nehmen konnten zu ihr: ich kann nicht, Fraͤulein Harlowe: ich kann es gewiß nicht thun. Das was man ihr zumuthet iſt ſehr hart. Sie iſt doch ein unvergleichliches Kind. Es iſt Schade, daß es ſchon ſo weit gekommen iſt: allein man muß Herrn Solmes ſagen, daß er ablaͤßt. Meine Schweſter wiſperte ihr ſo laut ſie konn- te in die Ohren haben ſie ſich auch durch die kleine Syrene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/532
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/532>, abgerufen am 22.11.2024.