Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Es kan seyn Clärchen. Jch will abenr doch
lächeln.

Wenn sie von ihm abgehen? (sagte meine
Base) So sehe ich doch woran wir sind. Jch
will hinunter gehen: soll ich ihnen nachfolgen,
Fräulein Harlowe? Jch will ihren Herrn Va-
ter zu bewegen suchen, daß meine Schwester
selbst herauf kommen darf. Vielleicht gedeyhet
die Sache alsdenn zu einem besseren Ende.

Meine Schwester sagte: seyn sie gewiß versi-
chert, es wird nichts daraus kommen, als daß sie
und meine Mutter beyderseits mit verschiedenem
Erfolg weinen: meine Mutter wird besänftigt
und mit einem zerbrochenen Hertzen herunter
kommen; und ihr liebes Kind wird sich nur mehr
verhärten, weil es seiner Mutter Hertz hat verun-
ruhigen können. Das war eben die Ursache,
deswegen das Mädchen auf seine Stube ver-
bannet ist.

Sie redete noch mehr dergleichen, als sie die
Treppe hinunter ging.



Der vier und viertzigste Brief.
von
Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein
Howe.

Mein Hertz schlug mir vor Hoffnung und
Furcht, daß ich meine Mutter sehen sollte,
und vor Bekümmerniß, daß ich ihr so viel Un-
ruhe verursachet hatte. Beydes war überflüßig: sie

durfte
Die Geſchichte

Es kan ſeyn Claͤrchen. Jch will abẽr doch
laͤcheln.

Wenn ſie von ihm abgehen? (ſagte meine
Baſe) So ſehe ich doch woran wir ſind. Jch
will hinunter gehen: ſoll ich ihnen nachfolgen,
Fraͤulein Harlowe? Jch will ihren Herrn Va-
ter zu bewegen ſuchen, daß meine Schweſter
ſelbſt herauf kommen darf. Vielleicht gedeyhet
die Sache alsdenn zu einem beſſeren Ende.

Meine Schweſter ſagte: ſeyn ſie gewiß verſi-
chert, es wird nichts daraus kommen, als daß ſie
und meine Mutter beyderſeits mit verſchiedenem
Erfolg weinen: meine Mutter wird beſaͤnftigt
und mit einem zerbrochenen Hertzen herunter
kommen; und ihr liebes Kind wird ſich nur mehr
verhaͤrten, weil es ſeiner Mutter Hertz hat verun-
ruhigen koͤnnen. Das war eben die Urſache,
deswegen das Maͤdchen auf ſeine Stube ver-
bannet iſt.

Sie redete noch mehr dergleichen, als ſie die
Treppe hinunter ging.



Der vier und viertzigſte Brief.
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.

Mein Hertz ſchlug mir vor Hoffnung und
Furcht, daß ich meine Mutter ſehen ſollte,
und vor Bekuͤmmerniß, daß ich ihr ſo viel Un-
ruhe verurſachet hatte. Beydes war uͤberfluͤßig: ſie

durfte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0528" n="508"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Es kan &#x017F;eyn <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen.</hi> Jch will abe&#x0303;r doch<lb/>
la&#x0364;cheln.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Wenn &#x017F;ie von ihm abgehen?</hi> (&#x017F;agte meine<lb/>
Ba&#x017F;e) So &#x017F;ehe ich doch woran wir &#x017F;ind. Jch<lb/>
will hinunter gehen: &#x017F;oll ich ihnen nachfolgen,<lb/>
Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Harlowe?</hi> Jch will ihren Herrn Va-<lb/>
ter zu bewegen &#x017F;uchen, daß meine Schwe&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t herauf kommen darf. Vielleicht gedeyhet<lb/>
die Sache alsdenn zu einem be&#x017F;&#x017F;eren Ende.</p><lb/>
        <p>Meine Schwe&#x017F;ter &#x017F;agte: &#x017F;eyn &#x017F;ie gewiß ver&#x017F;i-<lb/>
chert, es wird nichts daraus kommen, als daß &#x017F;ie<lb/>
und meine Mutter beyder&#x017F;eits mit ver&#x017F;chiedenem<lb/>
Erfolg weinen: meine Mutter wird be&#x017F;a&#x0364;nftigt<lb/>
und mit einem zerbrochenen Hertzen herunter<lb/>
kommen; und ihr liebes Kind wird &#x017F;ich nur mehr<lb/>
verha&#x0364;rten, weil es &#x017F;einer Mutter Hertz hat verun-<lb/>
ruhigen ko&#x0364;nnen. Das war eben die Ur&#x017F;ache,<lb/>
deswegen das Ma&#x0364;dchen auf &#x017F;eine Stube ver-<lb/>
bannet i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Sie redete noch mehr dergleichen, als &#x017F;ie die<lb/>
Treppe hinunter ging.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="2">
        <head><hi rendition="#fr">Der vier und viertzig&#x017F;te Brief.</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe an Fra&#x0364;ulein</hi><lb/>
H<hi rendition="#fr">owe.</hi></head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">M</hi>ein Hertz &#x017F;chlug mir vor Hoffnung und<lb/>
Furcht, daß ich meine Mutter &#x017F;ehen &#x017F;ollte,<lb/>
und vor Beku&#x0364;mmerniß, daß ich ihr &#x017F;o viel Un-<lb/>
ruhe verur&#x017F;achet hatte. Beydes war u&#x0364;berflu&#x0364;ßig: &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">durfte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[508/0528] Die Geſchichte Es kan ſeyn Claͤrchen. Jch will abẽr doch laͤcheln. Wenn ſie von ihm abgehen? (ſagte meine Baſe) So ſehe ich doch woran wir ſind. Jch will hinunter gehen: ſoll ich ihnen nachfolgen, Fraͤulein Harlowe? Jch will ihren Herrn Va- ter zu bewegen ſuchen, daß meine Schweſter ſelbſt herauf kommen darf. Vielleicht gedeyhet die Sache alsdenn zu einem beſſeren Ende. Meine Schweſter ſagte: ſeyn ſie gewiß verſi- chert, es wird nichts daraus kommen, als daß ſie und meine Mutter beyderſeits mit verſchiedenem Erfolg weinen: meine Mutter wird beſaͤnftigt und mit einem zerbrochenen Hertzen herunter kommen; und ihr liebes Kind wird ſich nur mehr verhaͤrten, weil es ſeiner Mutter Hertz hat verun- ruhigen koͤnnen. Das war eben die Urſache, deswegen das Maͤdchen auf ſeine Stube ver- bannet iſt. Sie redete noch mehr dergleichen, als ſie die Treppe hinunter ging. Der vier und viertzigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. Mein Hertz ſchlug mir vor Hoffnung und Furcht, daß ich meine Mutter ſehen ſollte, und vor Bekuͤmmerniß, daß ich ihr ſo viel Un- ruhe verurſachet hatte. Beydes war uͤberfluͤßig: ſie durfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/528
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/528>, abgerufen am 22.11.2024.