Umstände macht? Suchte er nicht selbst dem an- dern das Leben zu nehmen, wenn er es nur hätte thun können? Würde er ihm wol das Leben ge- schenckt haben, wenn es in seiner Macht gestan- den hätte? Der angreisfende Theil hat kein Recht sich zu beschweren. Von eurer rechten ge- legenen Stunde ein Wort! Wenn doch nur der Himmel gewollt hätte, daß sich jemand für eine andere Person zur rechten gelegenen Stunde ge- zeiget hätte! Jch bin nicht Schuld daran, Ara- belle, wenn die Freyer nicht zur rechten gelegenen Stunde kommen wollen.
Hätten Sie mehr Muth beweisen können, als ich bewieß? Jch fürchtete mich schon, daß sie mich ihre Hand würde fühlen lassen: denn sie hielt sie in die Höhe, und kam so auf mich zu. Die Bos- heit machte sie stumm; und sie lief die Treppe halb herunter, und denn wieder herauf. Jhr er- stes Wort, als sie wider sprechen konnte, war: GOtt verleyhe mir Geduld.
Unten! (sagte ich) Jhr seht Arabelle, wie ungedultig ihr über die Antwort werdet, die ihr mir abgenöthigt habt. Wollt ihr mir so aufrich- tig vergeben, und mich wider eine Schwester an euch finden lassen, als es mir leyd thut, wenn ihr mit einigem Recht dencket, daß meine Ant- wort sich für keine Schwester schickte?
Sie stürmete nur heftiger auf mich zu, weil sie meine Gelassenheit für einen Spott ansahe. Sie sagte, sie wollte allen im Hause erzählen, wie ich des gottlosen Lovelaces Parthey wider meinen Bruder genommen hätte.
Jch
Die Geſchichte
Umſtaͤnde macht? Suchte er nicht ſelbſt dem an- dern das Leben zu nehmen, wenn er es nur haͤtte thun koͤnnen? Wuͤrde er ihm wol das Leben ge- ſchenckt haben, wenn es in ſeiner Macht geſtan- den haͤtte? Der angreiſfende Theil hat kein Recht ſich zu beſchweren. Von eurer rechten ge- legenen Stunde ein Wort! Wenn doch nur der Himmel gewollt haͤtte, daß ſich jemand fuͤr eine andere Perſon zur rechten gelegenen Stunde ge- zeiget haͤtte! Jch bin nicht Schuld daran, Ara- belle, wenn die Freyer nicht zur rechten gelegenen Stunde kommen wollen.
Haͤtten Sie mehr Muth beweiſen koͤnnen, als ich bewieß? Jch fuͤrchtete mich ſchon, daß ſie mich ihre Hand wuͤrde fuͤhlen laſſen: denn ſie hielt ſie in die Hoͤhe, und kam ſo auf mich zu. Die Bos- heit machte ſie ſtumm; und ſie lief die Treppe halb herunter, und denn wieder herauf. Jhr er- ſtes Wort, als ſie wider ſprechen konnte, war: GOtt verleyhe mir Geduld.
Unten! (ſagte ich) Jhr ſeht Arabelle, wie ungedultig ihr uͤber die Antwort werdet, die ihr mir abgenoͤthigt habt. Wollt ihr mir ſo aufrich- tig vergeben, und mich wider eine Schweſter an euch finden laſſen, als es mir leyd thut, wenn ihr mit einigem Recht dencket, daß meine Ant- wort ſich fuͤr keine Schweſter ſchickte?
Sie ſtuͤrmete nur heftiger auf mich zu, weil ſie meine Gelaſſenheit fuͤr einen Spott anſahe. Sie ſagte, ſie wollte allen im Hauſe erzaͤhlen, wie ich des gottloſen Lovelaces Parthey wider meinen Bruder genommen haͤtte.
Jch
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Die Geſchichte
Umſtaͤnde macht? Suchte er nicht ſelbſt dem an-
dern das Leben zu nehmen, wenn er es nur haͤtte
thun koͤnnen? Wuͤrde er ihm wol das Leben ge-
ſchenckt haben, wenn es in ſeiner Macht geſtan-
den haͤtte? Der angreiſfende Theil hat kein
Recht ſich zu beſchweren. Von eurer rechten ge-
legenen Stunde ein Wort! Wenn doch nur der
Himmel gewollt haͤtte, daß ſich jemand fuͤr eine
andere Perſon zur rechten gelegenen Stunde ge-
zeiget haͤtte! Jch bin nicht Schuld daran, Ara-
belle, wenn die Freyer nicht zur rechten gelegenen
Stunde kommen wollen.
Haͤtten Sie mehr Muth beweiſen koͤnnen, als
ich bewieß? Jch fuͤrchtete mich ſchon, daß ſie mich
ihre Hand wuͤrde fuͤhlen laſſen: denn ſie hielt ſie
in die Hoͤhe, und kam ſo auf mich zu. Die Bos-
heit machte ſie ſtumm; und ſie lief die Treppe
halb herunter, und denn wieder herauf. Jhr er-
ſtes Wort, als ſie wider ſprechen konnte, war:
GOtt verleyhe mir Geduld.
Unten! (ſagte ich) Jhr ſeht Arabelle, wie
ungedultig ihr uͤber die Antwort werdet, die ihr
mir abgenoͤthigt habt. Wollt ihr mir ſo aufrich-
tig vergeben, und mich wider eine Schweſter an
euch finden laſſen, als es mir leyd thut, wenn
ihr mit einigem Recht dencket, daß meine Ant-
wort ſich fuͤr keine Schweſter ſchickte?
Sie ſtuͤrmete nur heftiger auf mich zu, weil ſie
meine Gelaſſenheit fuͤr einen Spott anſahe. Sie
ſagte, ſie wollte allen im Hauſe erzaͤhlen, wie ich
des gottloſen Lovelaces Parthey wider meinen
Bruder genommen haͤtte.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/502>, abgerufen am 16.02.2025.
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