Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
zu frohlocken, insonderheit da ich ein grosses Theil
meines Unglücks ihren schlaafflosen Nächten zu-
zuschreiben hätte.

Ueber diesen Stich ward sie aus der Maaßen
verdrießlich und unwillig. Sie erinnerte mich, ich
sollte bedencken, wie gütig die Meinigen und mei-
ne Mutter insonderheit mir begegnet hätten, ehe es
auf das äusserste gekommen wäre Jch hätte ein
solches Gemüth gezeiget, als man nie bey mir ge-
sucht hätte. Wenn sie mich für eine solche Fechte-
rin gehalten hätten, so würde es niem and gewaget
haben, sich mit mir einzulassen. Nun wäre es
aber einmahl für allemahl so weit gekommen, daß
man nicht wider zurück könnte. Es sey jetzt bloß
ein Streit des Gehorsahms und des Eigenwil-
lens
über die Frage, ob der Eltern Willen den
Einfällen einer hartnäckigen Tochter vor oder nach-
gehen sollte. Jch müßte biegen oder brechen. Das
ist das Ende vom Liede, mein Kind.

Jch sagte: Jch wünschte, daß die Sache mir er-
laubte munter zu seyn, und ihre lustigen Reden
mit eben so lustigen Reden zu beantworten. Wenn
Herr Solmes allen und ihr insonderheit so wohl
gefiele, so dächte ich, er könnte ja eben so gut mein
Bruder
als mein Mann werden!

O GOtt! Kind! das ist wol so munter geschertzt,
als ich immer habe schertzen können. Nun fange
ich an, gute Hoffnung von dir zu haben. Kannst
du dencken, daß ich meiner Schwester einen so de-
müthigen Anbeter rauben will? Hätte er sich zu-
erst um mich beworben, so wäre noch etwas von

der

Die Geſchichte
zu frohlocken, inſonderheit da ich ein groſſes Theil
meines Ungluͤcks ihren ſchlaaffloſen Naͤchten zu-
zuſchreiben haͤtte.

Ueber dieſen Stich ward ſie aus der Maaßen
verdrießlich und unwillig. Sie erinnerte mich, ich
ſollte bedencken, wie guͤtig die Meinigen und mei-
ne Mutter inſonderheit mir begegnet haͤtten, ehe eſ
auf das aͤuſſerſte gekommen waͤre Jch haͤtte ein
ſolches Gemuͤth gezeiget, als man nie bey mir ge-
ſucht haͤtte. Wenn ſie mich fuͤr eine ſolche Fechte-
rin gehalten haͤtten, ſo wuͤrde es niem and gewaget
haben, ſich mit mir einzulaſſen. Nun waͤre es
aber einmahl fuͤr allemahl ſo weit gekommen, daß
man nicht wider zuruͤck koͤnnte. Es ſey jetzt bloß
ein Streit des Gehorſahms und des Eigenwil-
lens
uͤber die Frage, ob der Eltern Willen den
Einfaͤllen einer hartnaͤckigen Tochter vor oder nach-
gehen ſollte. Jch muͤßte biegen oder brechen. Das
iſt das Ende vom Liede, mein Kind.

Jch ſagte: Jch wuͤnſchte, daß die Sache mir er-
laubte munter zu ſeyn, und ihre luſtigen Reden
mit eben ſo luſtigen Reden zu beantworten. Wenn
Herr Solmes allen und ihr inſonderheit ſo wohl
gefiele, ſo daͤchte ich, er koͤnnte ja eben ſo gut mein
Bruder
als mein Mann werden!

O GOtt! Kind! das iſt wol ſo munter geſchertzt,
als ich immer habe ſchertzen koͤnnen. Nun fange
ich an, gute Hoffnung von dir zu haben. Kannſt
du dencken, daß ich meiner Schweſter einen ſo de-
muͤthigen Anbeter rauben will? Haͤtte er ſich zu-
erſt um mich beworben, ſo waͤre noch etwas von

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0500" n="480"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
zu frohlocken, in&#x017F;onderheit da ich ein gro&#x017F;&#x017F;es Theil<lb/>
meines Unglu&#x0364;cks ihren &#x017F;chlaafflo&#x017F;en Na&#x0364;chten zu-<lb/>
zu&#x017F;chreiben ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Ueber die&#x017F;en Stich ward &#x017F;ie aus der Maaßen<lb/>
verdrießlich und unwillig. Sie erinnerte mich, ich<lb/>
&#x017F;ollte bedencken, wie gu&#x0364;tig die Meinigen und mei-<lb/>
ne Mutter in&#x017F;onderheit mir begegnet ha&#x0364;tten, ehe e&#x017F;<lb/>
auf das a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te gekommen wa&#x0364;re Jch ha&#x0364;tte ein<lb/>
&#x017F;olches Gemu&#x0364;th gezeiget, als man nie bey mir ge-<lb/>
&#x017F;ucht ha&#x0364;tte. Wenn &#x017F;ie mich fu&#x0364;r eine &#x017F;olche Fechte-<lb/>
rin gehalten ha&#x0364;tten, &#x017F;o wu&#x0364;rde es niem and gewaget<lb/>
haben, &#x017F;ich mit mir einzula&#x017F;&#x017F;en. Nun wa&#x0364;re es<lb/>
aber einmahl fu&#x0364;r allemahl &#x017F;o weit gekommen, daß<lb/>
man nicht wider zuru&#x0364;ck ko&#x0364;nnte. Es &#x017F;ey jetzt bloß<lb/>
ein Streit des <hi rendition="#fr">Gehor&#x017F;ahms</hi> und des <hi rendition="#fr">Eigenwil-<lb/>
lens</hi> u&#x0364;ber die Frage, ob der Eltern Willen den<lb/>
Einfa&#x0364;llen einer hartna&#x0364;ckigen Tochter vor oder nach-<lb/>
gehen &#x017F;ollte. Jch mu&#x0364;ßte biegen oder brechen. Das<lb/>
i&#x017F;t das Ende vom Liede, mein Kind.</p><lb/>
        <p>Jch &#x017F;agte: Jch wu&#x0364;n&#x017F;chte, daß die Sache mir er-<lb/>
laubte munter zu &#x017F;eyn, und ihre lu&#x017F;tigen Reden<lb/>
mit eben &#x017F;o lu&#x017F;tigen Reden zu beantworten. Wenn<lb/>
Herr <hi rendition="#fr">Solmes</hi> allen und ihr in&#x017F;onderheit &#x017F;o wohl<lb/>
gefiele, &#x017F;o da&#x0364;chte ich, er ko&#x0364;nnte ja eben &#x017F;o gut <hi rendition="#fr">mein<lb/>
Bruder</hi> als mein Mann werden!</p><lb/>
        <p>O GOtt! Kind! das i&#x017F;t wol &#x017F;o munter ge&#x017F;chertzt,<lb/>
als ich immer habe &#x017F;chertzen ko&#x0364;nnen. Nun fange<lb/>
ich an, gute Hoffnung von dir zu haben. Kann&#x017F;t<lb/>
du dencken, daß ich meiner Schwe&#x017F;ter einen &#x017F;o de-<lb/>
mu&#x0364;thigen Anbeter rauben will? Ha&#x0364;tte er &#x017F;ich zu-<lb/>
er&#x017F;t um mich beworben, &#x017F;o wa&#x0364;re noch etwas von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[480/0500] Die Geſchichte zu frohlocken, inſonderheit da ich ein groſſes Theil meines Ungluͤcks ihren ſchlaaffloſen Naͤchten zu- zuſchreiben haͤtte. Ueber dieſen Stich ward ſie aus der Maaßen verdrießlich und unwillig. Sie erinnerte mich, ich ſollte bedencken, wie guͤtig die Meinigen und mei- ne Mutter inſonderheit mir begegnet haͤtten, ehe eſ auf das aͤuſſerſte gekommen waͤre Jch haͤtte ein ſolches Gemuͤth gezeiget, als man nie bey mir ge- ſucht haͤtte. Wenn ſie mich fuͤr eine ſolche Fechte- rin gehalten haͤtten, ſo wuͤrde es niem and gewaget haben, ſich mit mir einzulaſſen. Nun waͤre es aber einmahl fuͤr allemahl ſo weit gekommen, daß man nicht wider zuruͤck koͤnnte. Es ſey jetzt bloß ein Streit des Gehorſahms und des Eigenwil- lens uͤber die Frage, ob der Eltern Willen den Einfaͤllen einer hartnaͤckigen Tochter vor oder nach- gehen ſollte. Jch muͤßte biegen oder brechen. Das iſt das Ende vom Liede, mein Kind. Jch ſagte: Jch wuͤnſchte, daß die Sache mir er- laubte munter zu ſeyn, und ihre luſtigen Reden mit eben ſo luſtigen Reden zu beantworten. Wenn Herr Solmes allen und ihr inſonderheit ſo wohl gefiele, ſo daͤchte ich, er koͤnnte ja eben ſo gut mein Bruder als mein Mann werden! O GOtt! Kind! das iſt wol ſo munter geſchertzt, als ich immer habe ſchertzen koͤnnen. Nun fange ich an, gute Hoffnung von dir zu haben. Kannſt du dencken, daß ich meiner Schweſter einen ſo de- muͤthigen Anbeter rauben will? Haͤtte er ſich zu- erſt um mich beworben, ſo waͤre noch etwas von der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/500
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/500>, abgerufen am 25.11.2024.