verhärten schiene. Sie suchte mich darüber lächer- lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach in Herrn Lovelacen verliebt hätte. Sie wunder- te sich, daß die witzige, die kluge, die gehorsah- me die gott - - - see - - - lige Clärchen, (das letzte Beywort konnte sie so spöttisch ziehen) sich in einen so liederlichen Bösewicht so sterblich verliebt hät- te, daß ihre Eltern sie einsperren müßten, damit sie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch doch wol fragen, Schwester, wie ihr jetzt eure Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet? wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr nä- het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu der Liebe? Jch fürchte ich fürchte, mein kleines liebes Ding, die Liebe st bey dir wie Aharons Stab, und verschlinget das übrige alles. Jst es nicht so? sagt es mir doch.
Jch antwortete: es sey für mich eine doppelte Kränckung daß ich einem Manne, dem ich kei- nen Danck schuldig seyn wollte, meine Sicherheit vor dem Zorn meines Vaters zu dancken hätte. Jch suchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu entschuldigen; und das that ich mit solchem Eifer, als ihre Verdienste es erforderten. Mit gleicher Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden Schmähungen, damit sie mich in Absicht auf Herrn Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner Stunden anlangt, so sagte ich, es würde sich beßer für sie geschickt haben, mit einer unglückli- chen Schwester Mittleiden zu haben, als über sie
zu
der Clariſſa.
verhaͤrten ſchiene. Sie ſuchte mich daruͤber laͤcher- lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach in Herrn Lovelacen verliebt haͤtte. Sie wunder- te ſich, daß die witzige, die kluge, die gehorſah- me die gott ‒ ‒ ‒ ſee ‒ ‒ ‒ lige Claͤrchen, (das letzte Beywort konnte ſie ſo ſpoͤttiſch ziehen) ſich in einen ſo liederlichen Boͤſewicht ſo ſterblich verliebt haͤt- te, daß ihre Eltern ſie einſperren muͤßten, damit ſie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch doch wol fragen, Schweſter, wie ihr jetzt eure Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet? wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ- het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines liebes Ding, die Liebe ſt bey dir wie Aharons Stab, und verſchlinget das uͤbrige alles. Jſt es nicht ſo? ſagt es mir doch.
Jch antwortete: es ſey fuͤr mich eine doppelte Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei- nen Danck ſchuldig ſeyn wollte, meine Sicherheit vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte. Jch ſuchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu entſchuldigen; und das that ich mit ſolchem Eifer, als ihre Verdienſte es erforderten. Mit gleicher Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden Schmaͤhungen, damit ſie mich in Abſicht auf Herrn Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner Stunden anlangt, ſo ſagte ich, es wuͤrde ſich beßer fuͤr ſie geſchickt haben, mit einer ungluͤckli- chen Schweſter Mittleiden zu haben, als uͤber ſie
zu
<TEI><text><body><divn="2"><p><pbfacs="#f0499"n="479"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/>
verhaͤrten ſchiene. Sie ſuchte mich daruͤber laͤcher-<lb/>
lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach<lb/>
in Herrn <hirendition="#fr">Lovelacen</hi> verliebt haͤtte. Sie wunder-<lb/>
te ſich, daß die <hirendition="#fr">witzige,</hi> die <hirendition="#fr">kluge,</hi> die <hirendition="#fr">gehorſah-<lb/>
me</hi> die <hirendition="#fr">gott ‒‒‒ſee ‒‒‒ lige Claͤrchen,</hi> (das letzte<lb/>
Beywort konnte ſie ſo ſpoͤttiſch ziehen) ſich in einen<lb/>ſo liederlichen Boͤſewicht ſo ſterblich verliebt haͤt-<lb/>
te, daß ihre Eltern ſie einſperren muͤßten, damit<lb/>ſie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch<lb/>
doch wol fragen, Schweſter, wie ihr jetzt eure<lb/>
Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet?<lb/>
wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ-<lb/>
het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum<lb/>
Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu<lb/>
der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines<lb/>
liebes Ding, die Liebe ſt bey dir wie Aharons Stab,<lb/>
und verſchlinget das uͤbrige alles. Jſt es nicht<lb/>ſo? ſagt es mir doch.</p><lb/><p>Jch antwortete: es ſey fuͤr mich eine doppelte<lb/>
Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei-<lb/>
nen Danck ſchuldig ſeyn wollte, meine Sicherheit<lb/>
vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte.<lb/>
Jch ſuchte hierauf die ehrliche Frau <hirendition="#fr">Norton</hi> zu<lb/>
entſchuldigen; und das that ich mit ſolchem Eifer,<lb/>
als ihre Verdienſte es erforderten. Mit gleicher<lb/>
Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden<lb/>
Schmaͤhungen, damit ſie mich in Abſicht auf Herrn<lb/><hirendition="#fr">Lsvelace</hi> belegte. Was die Eintheilung meiner<lb/>
Stunden anlangt, ſo ſagte ich, es wuͤrde ſich<lb/>
beßer fuͤr ſie geſchickt haben, mit einer ungluͤckli-<lb/>
chen Schweſter Mittleiden zu haben, als uͤber ſie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zu</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[479/0499]
der Clariſſa.
verhaͤrten ſchiene. Sie ſuchte mich daruͤber laͤcher-
lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach
in Herrn Lovelacen verliebt haͤtte. Sie wunder-
te ſich, daß die witzige, die kluge, die gehorſah-
me die gott ‒ ‒ ‒ ſee ‒ ‒ ‒ lige Claͤrchen, (das letzte
Beywort konnte ſie ſo ſpoͤttiſch ziehen) ſich in einen
ſo liederlichen Boͤſewicht ſo ſterblich verliebt haͤt-
te, daß ihre Eltern ſie einſperren muͤßten, damit
ſie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch
doch wol fragen, Schweſter, wie ihr jetzt eure
Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet?
wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ-
het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum
Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu
der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines
liebes Ding, die Liebe ſt bey dir wie Aharons Stab,
und verſchlinget das uͤbrige alles. Jſt es nicht
ſo? ſagt es mir doch.
Jch antwortete: es ſey fuͤr mich eine doppelte
Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei-
nen Danck ſchuldig ſeyn wollte, meine Sicherheit
vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte.
Jch ſuchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu
entſchuldigen; und das that ich mit ſolchem Eifer,
als ihre Verdienſte es erforderten. Mit gleicher
Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden
Schmaͤhungen, damit ſie mich in Abſicht auf Herrn
Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner
Stunden anlangt, ſo ſagte ich, es wuͤrde ſich
beßer fuͤr ſie geſchickt haben, mit einer ungluͤckli-
chen Schweſter Mittleiden zu haben, als uͤber ſie
zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/499>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.