Meine Mutter sagte darauf zu Elisabeth: ant- wortet ihr, sie wüßte schon unter welchen Bedin- gungen sie zu uns kommen dürfte. Unter andern Bedingungen verlangte ich sie nicht zu sprechen.
Sie brachte mir diese Antwort. Jch wollte Schreiben. Allein ich zitterte so, daß ich nicht schrei- ben konnte: und wenn auch meine Finger hätten schreiben können, so wußte ich doch nicht, was ich schreiben sollte. Endlich brachte mir Elisabeth folgende Zeilen von meinem Vater.
Ungehorsame und unartige Clarissa,
Jch sehe daß du durch keine Herablassung zu bewegen bist. Deine Mutter soll und ich will dich nicht sprechen. Mache dich aber dem ohnge- achtet bereit, Gehorsahm zu leisten. Du weißt unsern Willen. Dein Onckle Anton, dein Bru- der und deine Schwester, und deine Vertraute die Norton, sollen dabey seyn, wenn du in der Ca- pelle auf Antons Gute und in der Stille getrauet wirst. Wenn Herr Solmes dich zu uns beglei- tet, und du in einer Gemüths-Fassung bist, wie wir sie wünschen, so vergeben wir das vielleicht sie- ner Frau, was wir unserer unartigen Tochter nie- mahls vergeben können. Da alles in der Stille geschehen soll, so kann für Kleidung und andere Nothwendigkeiten nachher gesorget werden. Ma- che dich also fertig, im Anfang der künftigen Wo- che nach meines Bruders Gut zu reisen. Wir wollen dich nicht sehen, bis alles vorbey ist: und wir haben deswegen eine kürtzere Zeit angesetzt,
damit
Die Geſchichte
Meine Mutter ſagte darauf zu Eliſabeth: ant- wortet ihr, ſie wuͤßte ſchon unter welchen Bedin- gungen ſie zu uns kommen duͤrfte. Unter andern Bedingungen verlangte ich ſie nicht zu ſprechen.
Sie brachte mir dieſe Antwort. Jch wollte Schreiben. Allein ich zitterte ſo, daß ich nicht ſchrei- ben konnte: und wenn auch meine Finger haͤtten ſchreiben koͤnnen, ſo wußte ich doch nicht, was ich ſchreiben ſollte. Endlich brachte mir Eliſabeth folgende Zeilen von meinem Vater.
Ungehorſame und unartige Clariſſa,
Jch ſehe daß du durch keine Herablaſſung zu bewegen biſt. Deine Mutter ſoll und ich will dich nicht ſprechen. Mache dich aber dem ohnge- achtet bereit, Gehorſahm zu leiſten. Du weißt unſern Willen. Dein Onckle Anton, dein Bru- der und deine Schweſter, und deine Vertraute die Norton, ſollen dabey ſeyn, wenn du in der Ca- pelle auf Antons Gute und in der Stille getrauet wirſt. Wenn Herr Solmes dich zu uns beglei- tet, und du in einer Gemuͤths-Faſſung biſt, wie wir ſie wuͤnſchen, ſo vergeben wir das vielleicht ſie- ner Frau, was wir unſerer unartigen Tochter nie- mahls vergeben koͤnnen. Da alles in der Stille geſchehen ſoll, ſo kann fuͤr Kleidung und andere Nothwendigkeiten nachher geſorget werden. Ma- che dich alſo fertig, im Anfang der kuͤnftigen Wo- che nach meines Bruders Gut zu reiſen. Wir wollen dich nicht ſehen, bis alles vorbey iſt: und wir haben deswegen eine kuͤrtzere Zeit angeſetzt,
damit
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Die Geſchichte
Meine Mutter ſagte darauf zu Eliſabeth: ant-
wortet ihr, ſie wuͤßte ſchon unter welchen Bedin-
gungen ſie zu uns kommen duͤrfte. Unter andern
Bedingungen verlangte ich ſie nicht zu ſprechen.
Sie brachte mir dieſe Antwort. Jch wollte
Schreiben. Allein ich zitterte ſo, daß ich nicht ſchrei-
ben konnte: und wenn auch meine Finger haͤtten
ſchreiben koͤnnen, ſo wußte ich doch nicht, was ich
ſchreiben ſollte. Endlich brachte mir Eliſabeth
folgende Zeilen von meinem Vater.
Ungehorſame und unartige Clariſſa,
Jch ſehe daß du durch keine Herablaſſung zu
bewegen biſt. Deine Mutter ſoll und ich will
dich nicht ſprechen. Mache dich aber dem ohnge-
achtet bereit, Gehorſahm zu leiſten. Du weißt
unſern Willen. Dein Onckle Anton, dein Bru-
der und deine Schweſter, und deine Vertraute die
Norton, ſollen dabey ſeyn, wenn du in der Ca-
pelle auf Antons Gute und in der Stille getrauet
wirſt. Wenn Herr Solmes dich zu uns beglei-
tet, und du in einer Gemuͤths-Faſſung biſt, wie
wir ſie wuͤnſchen, ſo vergeben wir das vielleicht ſie-
ner Frau, was wir unſerer unartigen Tochter nie-
mahls vergeben koͤnnen. Da alles in der Stille
geſchehen ſoll, ſo kann fuͤr Kleidung und andere
Nothwendigkeiten nachher geſorget werden. Ma-
che dich alſo fertig, im Anfang der kuͤnftigen Wo-
che nach meines Bruders Gut zu reiſen. Wir
wollen dich nicht ſehen, bis alles vorbey iſt: und
wir haben deswegen eine kuͤrtzere Zeit angeſetzt,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/494>, abgerufen am 23.11.2024.
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