Fehler an sich hat billig gefallen sollte. Jch halte es für möglich, daß meine Verfolger mich dahin bringen, daß er mir künftig noch besser gefällt: sonderlich nachdem ich mich unserer letztern Unter- redung zu seinem Vortheil erinnern kann, und ich von der andern Seite täglich neue Proben der Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will es frey gestehen, (weil Sie doch nichts was ich sage für gar zu deutlich und offenhertzig halten können) daß ich ihn jetzt allen Manns-Personen, die ich je- mahls gesehen habe, vorziehen würde, wenn ich ihn nur für tugendhaft halten könnte.
Das ist denn doch nur eine bedungene Nei- gung! werden Sie sagen. Jch hoffe auch nicht, daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch nie verliebt gewesen, darum werden Sie besser als ich entscheiden können, ob ich jetzt verliebt zu nen- nen sey. Bin ich aber jetzt verliebt, so scheint mir die Liebe nicht eine so unüberwindliche Macht zu haben, als man ihr gemeiniglich zuschreibet; oder man muß ihr erst mehr Freyheit gelassen haben als ich, wenn sie unüberwindlich wird. Denn ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los sagen könnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges- mahl dabey schlagen sollte.
Allein den Schertz bey Seite gesetzt: hätten ja meine unglücklichen und bedrängten Umstände mich zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben oder verleitet, und wäre aus dieser Neigung eud- lich gar eine Liebe geworden: so hätten Sie doch
Jhre
der Clariſſa.
Fehler an ſich hat billig gefallen ſollte. Jch halte es fuͤr moͤglich, daß meine Verfolger mich dahin bringen, daß er mir kuͤnftig noch beſſer gefaͤllt: ſonderlich nachdem ich mich unſerer letztern Unter- redung zu ſeinem Vortheil erinnern kann, und ich von der andern Seite taͤglich neue Proben der Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will es frey geſtehen, (weil Sie doch nichts was ich ſage fuͤr gar zu deutlich und offenhertzig halten koͤnnen) daß ich ihn jetzt allen Manns-Perſonen, die ich je- mahls geſehen habe, vorziehen wuͤrde, wenn ich ihn nur fuͤr tugendhaft halten koͤnnte.
Das iſt denn doch nur eine bedungene Nei- gung! werden Sie ſagen. Jch hoffe auch nicht, daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch nie verliebt geweſen, darum werden Sie beſſer als ich entſcheiden koͤnnen, ob ich jetzt verliebt zu nen- nen ſey. Bin ich aber jetzt verliebt, ſo ſcheint mir die Liebe nicht eine ſo unuͤberwindliche Macht zu haben, als man ihr gemeiniglich zuſchreibet; oder man muß ihr erſt mehr Freyheit gelaſſen haben als ich, wenn ſie unuͤberwindlich wird. Denn ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los ſagen koͤnnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges- mahl dabey ſchlagen ſollte.
Allein den Schertz bey Seite geſetzt: haͤtten ja meine ungluͤcklichen und bedraͤngtẽ Umſtaͤnde mich zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben oder verleitet, und waͤre aus dieſer Neigung eud- lich gar eine Liebe geworden: ſo haͤtten Sie doch
Jhre
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der Clariſſa.
Fehler an ſich hat billig gefallen ſollte. Jch halte
es fuͤr moͤglich, daß meine Verfolger mich dahin
bringen, daß er mir kuͤnftig noch beſſer gefaͤllt:
ſonderlich nachdem ich mich unſerer letztern Unter-
redung zu ſeinem Vortheil erinnern kann, und
ich von der andern Seite taͤglich neue Proben der
Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will
es frey geſtehen, (weil Sie doch nichts was ich ſage
fuͤr gar zu deutlich und offenhertzig halten koͤnnen)
daß ich ihn jetzt allen Manns-Perſonen, die ich je-
mahls geſehen habe, vorziehen wuͤrde, wenn ich ihn
nur fuͤr tugendhaft halten koͤnnte.
Das iſt denn doch nur eine bedungene Nei-
gung! werden Sie ſagen. Jch hoffe auch nicht,
daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch
nie verliebt geweſen, darum werden Sie beſſer als
ich entſcheiden koͤnnen, ob ich jetzt verliebt zu nen-
nen ſey. Bin ich aber jetzt verliebt, ſo ſcheint mir
die Liebe nicht eine ſo unuͤberwindliche Macht zu
haben, als man ihr gemeiniglich zuſchreibet; oder
man muß ihr erſt mehr Freyheit gelaſſen haben als
ich, wenn ſie unuͤberwindlich wird. Denn
ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen
Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los
ſagen koͤnnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges-
mahl dabey ſchlagen ſollte.
Allein den Schertz bey Seite geſetzt: haͤtten ja
meine ungluͤcklichen und bedraͤngtẽ Umſtaͤnde mich
zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben
oder verleitet, und waͤre aus dieſer Neigung eud-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/479>, abgerufen am 23.11.2024.
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