theil der Welt kann auch mit in Betrachtung gezogen werden, allein es bleibt nur eine Ne- ben-Betrachtung.
Jch habe ihm zum Ruhm nachgesagt, daß er seine Fehler gern erkennet. Allein ich habe ost von diesem Lobe einen grossen Abzug machen müs- sen, weil ich befürchte, daß diese Bereitwilligkeit und Ausrichtigkeit aus zweyen Quellen herzuleiten ist, die ihm zu schlechtem Ruhm gereichen. Viel- leicht haben seine Untugenden sich der Herrschaft über ihn so bemeistert, daß er sich nicht mehr unter- steht, sie zu bestreiten: vielleicht giebt er auch aus Verschlagenheit einen Theil seines guten Nah- mens verlohren, um den andern Theil dadurch zu retten, weil er auch den nicht verdienet. Denn durch Erkänntniß seiner Fehler kann er mancher Nach- rede den Mund verstopfen, die er zu beantworten nicht im Stande ist; und er erhält dadurch den Ruhm der Aufrichtigkeit, weil er keinen andern Ruhm erhalten kann. Vielleicht käme noch mehr Böses von ihm heraus, wenn er auf Beweiß drin- gen wolte. Dieses ist zwar ein sehr stenger und ta- delsüchtiger Verdacht: allein es kann nicht alles falsch seyn, was seine feinde von ihm sagen.
Jch will bald weiter fort fahren.
Wir haben ihn oft für einen Menschen von munterm Verstande allein ohne viel Nachdencken und tieffe Absichten angesehen: allein zu anderer Zeit kam er uns so unergründlich vor, als irgend ein Mensch von der Welt seyn kann. Wenn wir
bey
Die Geſchichte
theil der Welt kann auch mit in Betrachtung gezogen werden, allein es bleibt nur eine Ne- ben-Betrachtung.
Jch habe ihm zum Ruhm nachgeſagt, daß er ſeine Fehler gern erkennet. Allein ich habe oſt von dieſem Lobe einen groſſen Abzug machen muͤſ- ſen, weil ich befuͤrchte, daß dieſe Bereitwilligkeit und Auſrichtigkeit aus zweyen Quellen herzuleiten iſt, die ihm zu ſchlechtem Ruhm gereichen. Viel- leicht haben ſeine Untugenden ſich der Herrſchaft uͤber ihn ſo bemeiſtert, daß er ſich nicht mehr unter- ſteht, ſie zu beſtreiten: vielleicht giebt er auch aus Verſchlagenheit einen Theil ſeines guten Nah- mens verlohren, um den andern Theil dadurch zu retten, weil er auch den nicht verdienet. Denn durch Erkaͤnntniß ſeiner Fehler kann er mancher Nach- rede den Mund verſtopfen, die er zu beantworten nicht im Stande iſt; und er erhaͤlt dadurch den Ruhm der Aufrichtigkeit, weil er keinen andern Ruhm erhalten kann. Vielleicht kaͤme noch mehr Boͤſes von ihm heraus, wenn er auf Beweiß drin- gen wolte. Dieſes iſt zwar ein ſehr ſtenger und ta- delſuͤchtiger Verdacht: allein es kann nicht alles falſch ſeyn, was ſeine feinde von ihm ſagen.
Jch will bald weiter fort fahren.
Wir haben ihn oft fuͤr einen Menſchen von munterm Verſtande allein ohne viel Nachdencken und tieffe Abſichten angeſehen: allein zu anderer Zeit kam er uns ſo unergruͤndlich vor, als irgend ein Menſch von der Welt ſeyn kann. Wenn wir
bey
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[454/0474]
Die Geſchichte
theil der Welt kann auch mit in Betrachtung
gezogen werden, allein es bleibt nur eine Ne-
ben-Betrachtung.
Jch habe ihm zum Ruhm nachgeſagt, daß er
ſeine Fehler gern erkennet. Allein ich habe oſt
von dieſem Lobe einen groſſen Abzug machen muͤſ-
ſen, weil ich befuͤrchte, daß dieſe Bereitwilligkeit
und Auſrichtigkeit aus zweyen Quellen herzuleiten
iſt, die ihm zu ſchlechtem Ruhm gereichen. Viel-
leicht haben ſeine Untugenden ſich der Herrſchaft
uͤber ihn ſo bemeiſtert, daß er ſich nicht mehr unter-
ſteht, ſie zu beſtreiten: vielleicht giebt er auch aus
Verſchlagenheit einen Theil ſeines guten Nah-
mens verlohren, um den andern Theil dadurch zu
retten, weil er auch den nicht verdienet. Denn durch
Erkaͤnntniß ſeiner Fehler kann er mancher Nach-
rede den Mund verſtopfen, die er zu beantworten
nicht im Stande iſt; und er erhaͤlt dadurch den
Ruhm der Aufrichtigkeit, weil er keinen andern
Ruhm erhalten kann. Vielleicht kaͤme noch mehr
Boͤſes von ihm heraus, wenn er auf Beweiß drin-
gen wolte. Dieſes iſt zwar ein ſehr ſtenger und ta-
delſuͤchtiger Verdacht: allein es kann nicht alles
falſch ſeyn, was ſeine feinde von ihm ſagen.
Jch will bald weiter fort fahren.
Wir haben ihn oft fuͤr einen Menſchen von
munterm Verſtande allein ohne viel Nachdencken
und tieffe Abſichten angeſehen: allein zu anderer
Zeit kam er uns ſo unergruͤndlich vor, als irgend
ein Menſch von der Welt ſeyn kann. Wenn wir
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/474>, abgerufen am 23.11.2024.
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