[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.Die Geschichte suchen ihm gefällig zu seyn. Allein wo ist einEhemann, der das nicht fodert? sonderlich, wenn er sich nicht schmeicheln kann, daß ihn die Frau in dem unverheyratheten Stande geliebet und allen übrigen Freyern vorgezogen hat. Wie viel leich- ter muß ihr aber seyn, einem Mann den sie selbst gewählt hat, wenn er auch mannigmahl un- billige Dinge fodern sollte, Gehorsahm zu leisten, als einem solchen, den sie gewiß nicht würde ge- nommen haben, wenn sie es hätte ändern können? Manns-Leute haben das Trauungs-Formular aufgesetzt, und den Gehorsahm als eine Pflicht der Frauens-Leute mit hinein gerückt. Mich dünckt daher, wenn eine Frau verständig handeln will, so muß sie ihre Pflichten nicht übertreten, es mag ihr auch dieses Stück derselben so lächerlich und unge- reimt vorkommen als es will: damit es dem Man- ne, der doch in seiner eigenen Sache Richter ist, nicht einfallen möge, andere Pflichten auch auf die leichte Schulter zu nehmen, an denen ihr mehr ge- legen ist. Jn der That aber glaube ich, daß uns kein vor dem Altar gethanes Gelübde geringe scheinen muß. Was müßte das aber für ein Unmensch seyn, und
Die Geſchichte ſuchen ihm gefaͤllig zu ſeyn. Allein wo iſt einEhemann, der das nicht fodert? ſonderlich, wenn er ſich nicht ſchmeicheln kann, daß ihn die Frau in dem unverheyratheten Stande geliebet und allen uͤbrigen Freyern vorgezogen hat. Wie viel leich- ter muß ihr aber ſeyn, einem Mann den ſie ſelbſt gewaͤhlt hat, wenn er auch mannigmahl un- billige Dinge fodern ſollte, Gehorſahm zu leiſten, als einem ſolchen, den ſie gewiß nicht wuͤrde ge- nommen haben, wenn ſie es haͤtte aͤndern koͤnnen? Manns-Leute haben das Trauungs-Formular aufgeſetzt, und den Gehorſahm als eine Pflicht der Frauens-Leute mit hinein geruͤckt. Mich duͤnckt daher, wenn eine Frau verſtaͤndig handeln will, ſo muß ſie ihre Pflichten nicht uͤbertreten, es mag ihr auch dieſes Stuͤck derſelben ſo laͤcherlich und unge- reimt vorkommen als es will: damit es dem Man- ne, der doch in ſeiner eigenen Sache Richter iſt, nicht einfallen moͤge, andere Pflichten auch auf die leichte Schulter zu nehmen, an denen ihr mehr ge- legen iſt. Jn der That aber glaube ich, daß uns kein vor dem Altar gethanes Geluͤbde geringe ſcheinen muß. Was muͤßte das aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn, und
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0470" n="450"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/> ſuchen ihm gefaͤllig zu ſeyn. Allein wo iſt ein<lb/> Ehemann, der das nicht fodert? ſonderlich, wenn<lb/> er ſich nicht ſchmeicheln kann, daß ihn die Frau in<lb/> dem unverheyratheten Stande geliebet und allen<lb/> uͤbrigen Freyern vorgezogen hat. Wie viel leich-<lb/> ter muß ihr aber ſeyn, einem Mann den ſie<lb/> ſelbſt gewaͤhlt hat, wenn er auch mannigmahl un-<lb/> billige Dinge fodern ſollte, Gehorſahm zu leiſten,<lb/> als einem ſolchen, den ſie gewiß nicht wuͤrde ge-<lb/> nommen haben, wenn ſie es haͤtte aͤndern koͤnnen?<lb/> Manns-Leute haben das Trauungs-Formular<lb/> aufgeſetzt, und <hi rendition="#fr">den Gehorſahm</hi> als eine Pflicht<lb/> der Frauens-Leute mit hinein geruͤckt. Mich duͤnckt<lb/> daher, wenn eine Frau verſtaͤndig handeln will, ſo<lb/> muß ſie ihre Pflichten nicht uͤbertreten, es mag ihr<lb/> auch dieſes Stuͤck derſelben ſo laͤcherlich und unge-<lb/> reimt vorkommen als es will: damit es dem Man-<lb/> ne, der doch in ſeiner eigenen Sache Richter iſt,<lb/> nicht einfallen moͤge, andere Pflichten auch auf die<lb/> leichte Schulter zu nehmen, an denen ihr mehr ge-<lb/> legen iſt. Jn der That aber glaube ich, daß uns<lb/> kein vor dem Altar gethanes Geluͤbde geringe<lb/> ſcheinen muß.</p><lb/> <p>Was muͤßte das aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn,<lb/> der einer Frau hart begegnen koͤnnte, die nach die-<lb/> ſen Grundſaͤtzen handelt? Wird <hi rendition="#fr">Lovelaces</hi> Frau<lb/> die eintzige ungluͤckliche Perſon in der Welt ſeyn,<lb/> der er undanckbahr und unhoͤflich begegnen kann?<lb/> Man leugnet nicht, daß er ein braver Mann ſey,<lb/> der Hertz im Leibe hat: wo iſt aber ein Mann der<lb/> beydes Hertz und Verſtand gehabt hat, gantz boͤſe<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [450/0470]
Die Geſchichte
ſuchen ihm gefaͤllig zu ſeyn. Allein wo iſt ein
Ehemann, der das nicht fodert? ſonderlich, wenn
er ſich nicht ſchmeicheln kann, daß ihn die Frau in
dem unverheyratheten Stande geliebet und allen
uͤbrigen Freyern vorgezogen hat. Wie viel leich-
ter muß ihr aber ſeyn, einem Mann den ſie
ſelbſt gewaͤhlt hat, wenn er auch mannigmahl un-
billige Dinge fodern ſollte, Gehorſahm zu leiſten,
als einem ſolchen, den ſie gewiß nicht wuͤrde ge-
nommen haben, wenn ſie es haͤtte aͤndern koͤnnen?
Manns-Leute haben das Trauungs-Formular
aufgeſetzt, und den Gehorſahm als eine Pflicht
der Frauens-Leute mit hinein geruͤckt. Mich duͤnckt
daher, wenn eine Frau verſtaͤndig handeln will, ſo
muß ſie ihre Pflichten nicht uͤbertreten, es mag ihr
auch dieſes Stuͤck derſelben ſo laͤcherlich und unge-
reimt vorkommen als es will: damit es dem Man-
ne, der doch in ſeiner eigenen Sache Richter iſt,
nicht einfallen moͤge, andere Pflichten auch auf die
leichte Schulter zu nehmen, an denen ihr mehr ge-
legen iſt. Jn der That aber glaube ich, daß uns
kein vor dem Altar gethanes Geluͤbde geringe
ſcheinen muß.
Was muͤßte das aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn,
der einer Frau hart begegnen koͤnnte, die nach die-
ſen Grundſaͤtzen handelt? Wird Lovelaces Frau
die eintzige ungluͤckliche Perſon in der Welt ſeyn,
der er undanckbahr und unhoͤflich begegnen kann?
Man leugnet nicht, daß er ein braver Mann ſey,
der Hertz im Leibe hat: wo iſt aber ein Mann der
beydes Hertz und Verſtand gehabt hat, gantz boͤſe
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |