Ob nun gleich meine Meinung allein diese ist, nicht ungerecht gegen ihn zu seyn so glaube ich doch gern, daß Leute, die seine Absichten wissen, hier- aus schliessen werden, daß ich ihm besonders geneigt bm. Jch muß dieses insonderheit befürchten, wenn eine scharssichtige Zuschauerin ehemahls selbst eine Rührung empfunden hat, und gern darüber froh- locken wollte, daß ihre Freundin eben so wenig rein von dieser Kranckheit sey als sie. Erhabenen Ge- müthern, die eifersüchtig auf ihre Vorzüge sind, (welches an und vor sich keine Unvollkommenheit ist, wenn die Eifersucht auf wahre Vorzüge gerich- tet ist) solchen Gemüthern, sage ich, muß man es nicht verargen, wenn sich ein gewisser edler Neid bey ihnen reget.
Wenn dieser Gedancke eine kleine Rache über, so ist es doch blos eine Rache in dem allergelinde- sten Verstande. Jch liebe Jhre Munterkeit, wie ich Jhnen schon oft gesagt habe. wenn man gleich nicht gantz unempfindlich dabey ist, so wird doch ein wohlgeartetes Gemüth nichts als Danckbar- keit in sich herrschen laßen, so oft es gleichsahm mehr Züge von dem warnenden Freunde als von den spottenden Zuschauer in den Gesicht oder in der Schreib-Art seines Tadlers gewahr wird. Es wird dahinaus lauffen, daß ich vielleicht noch bey diesem Brieffe den Schmertz von Jhren sanften Schlägen empfinde, hingegen in dem folgenden Brieffe und zeit Lebens Jhnen dafür dancke, daß Sie mich errinnert haben.
Auf
der Clariſſa.
Ob nun gleich meine Meinung allein dieſe iſt, nicht ungerecht gegen ihn zu ſeyn ſo glaube ich doch gern, daß Leute, die ſeine Abſichten wiſſen, hier- aus ſchlieſſen werden, daß ich ihm beſonders geneigt bm. Jch muß dieſes inſonderheit befuͤrchten, wenn eine ſcharſſichtige Zuſchauerin ehemahls ſelbſt eine Ruͤhrung empfunden hat, und gern daruͤber froh- locken wollte, daß ihre Freundin eben ſo wenig rein von dieſer Kranckheit ſey als ſie. Erhabenen Ge- muͤthern, die eiferſuͤchtig auf ihre Vorzuͤge ſind, (welches an und vor ſich keine Unvollkommenheit iſt, wenn die Eiferſucht auf wahre Vorzuͤge gerich- tet iſt) ſolchen Gemuͤthern, ſage ich, muß man es nicht verargen, wenn ſich ein gewiſſer edler Neid bey ihnen reget.
Wenn dieſer Gedancke eine kleine Rache uͤber, ſo iſt es doch blos eine Rache in dem allergelinde- ſten Verſtande. Jch liebe Jhre Munterkeit, wie ich Jhnen ſchon oft geſagt habe. wenn man gleich nicht gantz unempfindlich dabey iſt, ſo wird doch ein wohlgeartetes Gemuͤth nichts als Danckbar- keit in ſich herrſchen laßen, ſo oft es gleichſahm mehr Zuͤge von dem warnenden Freunde als von den ſpottenden Zuſchauer in den Geſicht oder in der Schreib-Art ſeines Tadlers gewahr wird. Es wird dahinaus lauffen, daß ich vielleicht noch bey dieſem Brieffe den Schmertz von Jhren ſanften Schlaͤgen empfinde, hingegen in dem folgenden Brieffe und zeit Lebens Jhnen dafuͤr dancke, daß Sie mich errinnert haben.
Auf
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der Clariſſa.
Ob nun gleich meine Meinung allein dieſe iſt,
nicht ungerecht gegen ihn zu ſeyn ſo glaube ich doch
gern, daß Leute, die ſeine Abſichten wiſſen, hier-
aus ſchlieſſen werden, daß ich ihm beſonders geneigt
bm. Jch muß dieſes inſonderheit befuͤrchten, wenn
eine ſcharſſichtige Zuſchauerin ehemahls ſelbſt eine
Ruͤhrung empfunden hat, und gern daruͤber froh-
locken wollte, daß ihre Freundin eben ſo wenig rein
von dieſer Kranckheit ſey als ſie. Erhabenen Ge-
muͤthern, die eiferſuͤchtig auf ihre Vorzuͤge ſind,
(welches an und vor ſich keine Unvollkommenheit
iſt, wenn die Eiferſucht auf wahre Vorzuͤge gerich-
tet iſt) ſolchen Gemuͤthern, ſage ich, muß man es
nicht verargen, wenn ſich ein gewiſſer edler Neid
bey ihnen reget.
Wenn dieſer Gedancke eine kleine Rache uͤber,
ſo iſt es doch blos eine Rache in dem allergelinde-
ſten Verſtande. Jch liebe Jhre Munterkeit, wie
ich Jhnen ſchon oft geſagt habe. wenn man gleich
nicht gantz unempfindlich dabey iſt, ſo wird doch
ein wohlgeartetes Gemuͤth nichts als Danckbar-
keit in ſich herrſchen laßen, ſo oft es gleichſahm mehr
Zuͤge von dem warnenden Freunde als von den
ſpottenden Zuſchauer in den Geſicht oder in der
Schreib-Art ſeines Tadlers gewahr wird. Es
wird dahinaus lauffen, daß ich vielleicht noch bey
dieſem Brieffe den Schmertz von Jhren ſanften
Schlaͤgen empfinde, hingegen in dem folgenden
Brieffe und zeit Lebens Jhnen dafuͤr dancke, daß
Sie mich errinnert haben.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/449>, abgerufen am 24.11.2024.
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