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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.
gegen mich einen solchen Mit-Buhler aufzustel-
len. Du wirst sagen, daß ich unsinnig bin. Jch
glaube es selbst.

Jch will verdammet seyn/ wenn ich
mein Kind nicht liebe.

Wie könte ich sonst die Beschimpfungen ihrer
unversöhnlichen Familie ertragen? Wie könte ich
sonst als ein Dieb, nicht um ihres hochmüthigen
Vaters Haus, nein um seinen Thier-Garten und
Garten-Mauer herumschleichen? und doch noch
eine halbe Viertel-Stunde von ihr entfernt seyn,
ohne Hoffnung nur ihren Schatten zu erblicken?
Wie könte ich sonst so vergnügt seyn, und mei-
ne Mühe für reichlich belohnt halten, wenn ich vier
fünf oder sechs Mitternächte durch unwegsame Ge-
genden herumgestreift bin, und Donen und Hecken
überstiegen habe, und endlich einige kalte Zeilen
finde? Zeilen deren Jnhalt ich schon zum voraus
weiß, nemlich, daß sie den verächtlichsten Ab-
schaum ihrer verächtlichen Famile höher schätzt als
mich, und gar nicht schreiben würde, wenn es
nicht geschähe, um mich zu ermahnen, daß ich
feindseelige Beschimpfungen erdulden soll, durch
deren Erduldung ich aufhöre ein Kerl zu seyn.
Dabey muß ich, um in der Nähe zu seyn, in ei-
ner verwünschten Bierschencke wohnen, und mich
so auskleiden, daß die Nachbarn glauben, ich hätte
mich ordentlich da eingemiethet. Die Bewirthung
ist ohngefähr so gut, als ich sie auf meiner Reise
durch Westphalen genossen habe. Das beste ist
noch, daß nicht ihre Verachtung oder Herrschsucht

son-

der Clariſſa.
gegen mich einen ſolchen Mit-Buhler aufzuſtel-
len. Du wirſt ſagen, daß ich unſinnig bin. Jch
glaube es ſelbſt.

Jch will verdammet ſeyn/ wenn ich
mein Kind nicht liebe.

Wie koͤnte ich ſonſt die Beſchimpfungen ihrer
unverſoͤhnlichen Familie ertragen? Wie koͤnte ich
ſonſt als ein Dieb, nicht um ihres hochmuͤthigen
Vaters Haus, nein um ſeinen Thier-Garten und
Garten-Mauer herumſchleichen? und doch noch
eine halbe Viertel-Stunde von ihr entfernt ſeyn,
ohne Hoffnung nur ihren Schatten zu erblicken?
Wie koͤnte ich ſonſt ſo vergnuͤgt ſeyn, und mei-
ne Muͤhe fuͤr reichlich belohnt halten, wenn ich vier
fuͤnf oder ſechs Mitternaͤchte durch unwegſame Ge-
genden herumgeſtreift bin, und Donen und Hecken
uͤberſtiegen habe, und endlich einige kalte Zeilen
finde? Zeilen deren Jnhalt ich ſchon zum voraus
weiß, nemlich, daß ſie den veraͤchtlichſten Ab-
ſchaum ihrer veraͤchtlichen Famile hoͤher ſchaͤtzt als
mich, und gar nicht ſchreiben wuͤrde, wenn es
nicht geſchaͤhe, um mich zu ermahnen, daß ich
feindſeelige Beſchimpfungen erdulden ſoll, durch
deren Erduldung ich aufhoͤre ein Kerl zu ſeyn.
Dabey muß ich, um in der Naͤhe zu ſeyn, in ei-
ner verwuͤnſchten Bierſchencke wohnen, und mich
ſo auskleiden, daß die Nachbarn glauben, ich haͤtte
mich ordentlich da eingemiethet. Die Bewirthung
iſt ohngefaͤhr ſo gut, als ich ſie auf meiner Reiſe
durch Weſtphalen genoſſen habe. Das beſte iſt
noch, daß nicht ihre Verachtung oder Herrſchſucht

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[335/0355] der Clariſſa. gegen mich einen ſolchen Mit-Buhler aufzuſtel- len. Du wirſt ſagen, daß ich unſinnig bin. Jch glaube es ſelbſt. Jch will verdammet ſeyn/ wenn ich mein Kind nicht liebe. Wie koͤnte ich ſonſt die Beſchimpfungen ihrer unverſoͤhnlichen Familie ertragen? Wie koͤnte ich ſonſt als ein Dieb, nicht um ihres hochmuͤthigen Vaters Haus, nein um ſeinen Thier-Garten und Garten-Mauer herumſchleichen? und doch noch eine halbe Viertel-Stunde von ihr entfernt ſeyn, ohne Hoffnung nur ihren Schatten zu erblicken? Wie koͤnte ich ſonſt ſo vergnuͤgt ſeyn, und mei- ne Muͤhe fuͤr reichlich belohnt halten, wenn ich vier fuͤnf oder ſechs Mitternaͤchte durch unwegſame Ge- genden herumgeſtreift bin, und Donen und Hecken uͤberſtiegen habe, und endlich einige kalte Zeilen finde? Zeilen deren Jnhalt ich ſchon zum voraus weiß, nemlich, daß ſie den veraͤchtlichſten Ab- ſchaum ihrer veraͤchtlichen Famile hoͤher ſchaͤtzt als mich, und gar nicht ſchreiben wuͤrde, wenn es nicht geſchaͤhe, um mich zu ermahnen, daß ich feindſeelige Beſchimpfungen erdulden ſoll, durch deren Erduldung ich aufhoͤre ein Kerl zu ſeyn. Dabey muß ich, um in der Naͤhe zu ſeyn, in ei- ner verwuͤnſchten Bierſchencke wohnen, und mich ſo auskleiden, daß die Nachbarn glauben, ich haͤtte mich ordentlich da eingemiethet. Die Bewirthung iſt ohngefaͤhr ſo gut, als ich ſie auf meiner Reiſe durch Weſtphalen genoſſen habe. Das beſte iſt noch, daß nicht ihre Verachtung oder Herrſchſucht ſon-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/355>, abgerufen am 23.11.2024.