Hierbey wußte sie zu erzählen, "daß er man- "chen artigen Spaß, der ihr entfallen wäre, "wohl bemercket, und sehr bewundert hätte. Es "sey zwar einem offenen und freyen Hertzen als sie "habe, sehr beschwerlich zurück zu halten: allein "sie könnte ihrer Base nicht verheelen, daß sie "niemals vergessen würde, was sie ihrem Ge- "schlecht, und was sie sich selbst schuldig sey, "wenn auch wieder Herr Lovelaces Aufführung "eben so wenig einzuwenden wäre als wieder sei- "ne Gestalt, und wenn er auch künftig seine Bit- "te noch so eifrig anbrächte."
Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch war noch immer verreiset. Sie fassete auf Anra- then meiner Base Hervey den Schluß, bey dem nächsten Besuch gantz ernsthaft und zurückhaltend zu thun, wenn er nicht besonders Gelegenheit such- te, mit ihr näher bekannt zu werden.
Meine Schwester hatte die Sache nicht wohl überlegt. Der Erfolg wieß, daß dieses nicht der rechte Weg war, den man um einer blossen Un- terlassung willen mit einem so klugen Mann als Herr Lovelace hätte gehen sollen. Ja auch gegen einen andern hätte man nicht so verfahren sollen; denn wenn die Liebe nicht so tief gewurzelt ist, daß sie bey der besten Gelegenheit, die man dazu giebt, eine Liebes-Erklärung hervor bringt, so hat man wenig Ursach zu hoffen, daß sie gleichsam durch den tödtenden Wind der Empfindlichkeit und Rache wachsen werde. Ueber dieses ist meine ar- me Schwester von Natur nicht allzu aufgeraumt:
ich
der Clariſſa.
Hierbey wußte ſie zu erzaͤhlen, „daß er man- „chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre, „wohl bemercket, und ſehr bewundert haͤtte. Es „ſey zwar einem offenen und freyen Hertzen als ſie „habe, ſehr beſchwerlich zuruͤck zu halten: allein „ſie koͤnnte ihrer Baſe nicht verheelen, daß ſie „niemals vergeſſen wuͤrde, was ſie ihrem Ge- „ſchlecht, und was ſie ſich ſelbſt ſchuldig ſey, „wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung „eben ſo wenig einzuwenden waͤre als wieder ſei- „ne Geſtalt, und wenn er auch kuͤnftig ſeine Bit- „te noch ſo eifrig anbraͤchte.„
Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch war noch immer verreiſet. Sie faſſete auf Anra- then meiner Baſe Hervey den Schluß, bey dem naͤchſten Beſuch gantz ernſthaft und zuruͤckhaltend zu thun, wenn er nicht beſonders Gelegenheit ſuch- te, mit ihr naͤher bekannt zu werden.
Meine Schweſter hatte die Sache nicht wohl uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieſes nicht der rechte Weg war, den man um einer bloſſen Un- terlaſſung willen mit einem ſo klugen Mann als Herr Lovelace haͤtte gehen ſollen. Ja auch gegen einen andern haͤtte man nicht ſo verfahren ſollen; denn wenn die Liebe nicht ſo tief gewurzelt iſt, daß ſie bey der beſten Gelegenheit, die man dazu giebt, eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, ſo hat man wenig Urſach zu hoffen, daß ſie gleichſam durch den toͤdtenden Wind der Empfindlichkeit und Rache wachſen werde. Ueber dieſes iſt meine ar- me Schweſter von Natur nicht allzu aufgeraumt:
ich
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[15/0035]
der Clariſſa.
Hierbey wußte ſie zu erzaͤhlen, „daß er man-
„chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre,
„wohl bemercket, und ſehr bewundert haͤtte. Es
„ſey zwar einem offenen und freyen Hertzen als ſie
„habe, ſehr beſchwerlich zuruͤck zu halten: allein
„ſie koͤnnte ihrer Baſe nicht verheelen, daß ſie
„niemals vergeſſen wuͤrde, was ſie ihrem Ge-
„ſchlecht, und was ſie ſich ſelbſt ſchuldig ſey,
„wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung
„eben ſo wenig einzuwenden waͤre als wieder ſei-
„ne Geſtalt, und wenn er auch kuͤnftig ſeine Bit-
„te noch ſo eifrig anbraͤchte.„
Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch
war noch immer verreiſet. Sie faſſete auf Anra-
then meiner Baſe Hervey den Schluß, bey dem
naͤchſten Beſuch gantz ernſthaft und zuruͤckhaltend
zu thun, wenn er nicht beſonders Gelegenheit ſuch-
te, mit ihr naͤher bekannt zu werden.
Meine Schweſter hatte die Sache nicht wohl
uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieſes nicht der
rechte Weg war, den man um einer bloſſen Un-
terlaſſung willen mit einem ſo klugen Mann als
Herr Lovelace haͤtte gehen ſollen. Ja auch gegen
einen andern haͤtte man nicht ſo verfahren ſollen;
denn wenn die Liebe nicht ſo tief gewurzelt iſt, daß
ſie bey der beſten Gelegenheit, die man dazu giebt,
eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, ſo hat man
wenig Urſach zu hoffen, daß ſie gleichſam durch
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Rache wachſen werde. Ueber dieſes iſt meine ar-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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