zu fühlen: die Hochgeborne Hure nahm mich da- mals ein, deren Untreu ich an allen Frauenzim- mern rächen will, die ich in meine Macht be- komme. Meine Nemesis ist schon in mehr als einem Lande wenigstens durch eine Hecatombe solcher Opfer verehret worden. Wenn ich aber überdencke, was ich damals war, und was ich jetzt bin, so muß ich bekennen, daß ich vorhin nie verliebt gewesen bin.
Was war denn das, fragst du mich, daß ich fast von Verstande kam, als ich mich von jener betrogen fand? Wohlan, ich will es dir sagen, so gut ich es mich erinnern kan. Es war - - ja was? ich kan kaum sagen was es war. Mich dünckt, es war ein heftiger Trieb zur Neuigkeit. Die verworrenen Poeten, die in ihren Beschrei- bungen Gottheit und Menschheit zusammen setzen, hatten eben so viel Theil daran, als das Frauen- zimmer: sie feureten meine Einbildungs-Kraft an, und ich wollte durchaus der Schöpfer einer Göttin werden. Jch muste die Flügel probieren, die mir kaum gewachsen waren, und mich in Son- net, Elegy, Madrigal und so weiter versuchen. Jch muste eben so wohl meine Cynthia, meine Stella, meine Sacharissa haben, als der beste unter ihnen: ich muste meinen Cupido mit Pfei- len, mit Flammen, und der Teufel weiß womit noch mehr bewafnen. Jch muste die Schönheit schaf- fen, und ihr befehlen da zu seyn, wo sie sonst nie- mand finden konte. Wie oft war ich verlegen, die Göttin zu finden, die meine Lieder anbeten
soll-
Die Geſchichte
zu fuͤhlen: die Hochgeborne Hure nahm mich da- mals ein, deren Untreu ich an allen Frauenzim- mern raͤchen will, die ich in meine Macht be- komme. Meine Nemeſis iſt ſchon in mehr als einem Lande wenigſtens durch eine Hecatombe ſolcher Opfer verehret worden. Wenn ich aber uͤberdencke, was ich damals war, und was ich jetzt bin, ſo muß ich bekennen, daß ich vorhin nie verliebt geweſen bin.
Was war denn das, fragſt du mich, daß ich faſt von Verſtande kam, als ich mich von jener betrogen fand? Wohlan, ich will es dir ſagen, ſo gut ich es mich erinnern kan. Es war ‒ ‒ ja was? ich kan kaum ſagen was es war. Mich duͤnckt, es war ein heftiger Trieb zur Neuigkeit. Die verworrenen Poeten, die in ihren Beſchrei- bungen Gottheit und Menſchheit zuſammen ſetzen, hatten eben ſo viel Theil daran, als das Frauen- zimmer: ſie feureten meine Einbildungs-Kraft an, und ich wollte durchaus der Schoͤpfer einer Goͤttin werden. Jch muſte die Fluͤgel probieren, die mir kaum gewachſen waren, und mich in Son- net, Elegy, Madrigal und ſo weiter verſuchen. Jch muſte eben ſo wohl meine Cynthia, meine Stella, meine Sachariſſa haben, als der beſte unter ihnen: ich muſte meinen Cupido mit Pfei- len, mit Flammen, und der Teufel weiß womit noch mehr bewafnen. Jch muſte die Schoͤnheit ſchaf- fen, und ihr befehlen da zu ſeyn, wo ſie ſonſt nie- mand finden konte. Wie oft war ich verlegen, die Goͤttin zu finden, die meine Lieder anbeten
ſoll-
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Die Geſchichte
zu fuͤhlen: die Hochgeborne Hure nahm mich da-
mals ein, deren Untreu ich an allen Frauenzim-
mern raͤchen will, die ich in meine Macht be-
komme. Meine Nemeſis iſt ſchon in mehr als
einem Lande wenigſtens durch eine Hecatombe
ſolcher Opfer verehret worden. Wenn ich aber
uͤberdencke, was ich damals war, und was ich
jetzt bin, ſo muß ich bekennen, daß ich vorhin
nie verliebt geweſen bin.
Was war denn das, fragſt du mich, daß ich
faſt von Verſtande kam, als ich mich von jener
betrogen fand? Wohlan, ich will es dir ſagen,
ſo gut ich es mich erinnern kan. Es war ‒ ‒
ja was? ich kan kaum ſagen was es war. Mich
duͤnckt, es war ein heftiger Trieb zur Neuigkeit.
Die verworrenen Poeten, die in ihren Beſchrei-
bungen Gottheit und Menſchheit zuſammen ſetzen,
hatten eben ſo viel Theil daran, als das Frauen-
zimmer: ſie feureten meine Einbildungs-Kraft an,
und ich wollte durchaus der Schoͤpfer einer
Goͤttin werden. Jch muſte die Fluͤgel probieren,
die mir kaum gewachſen waren, und mich in Son-
net, Elegy, Madrigal und ſo weiter verſuchen.
Jch muſte eben ſo wohl meine Cynthia, meine
Stella, meine Sachariſſa haben, als der beſte
unter ihnen: ich muſte meinen Cupido mit Pfei-
len, mit Flammen, und der Teufel weiß womit noch
mehr bewafnen. Jch muſte die Schoͤnheit ſchaf-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/346>, abgerufen am 25.11.2024.
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