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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.

Allein es scheinet, daß ich diese Kunst nachma-
chen muß, wenn ich dieses unvergleichliche Kind
gewinnen will. Warum aber soll ich sie nach-
machen?
Kan ich mich nicht in der That bessern?
Jch habe nur ein eintziges Laster. Habe ich meh-
rere, Kerl? du kennest mein Hertz, wenn es ein
Mensch auf der Welt kennet: du kennest es, wenn
ich mich anders selbst kenne. Allein mein Hertz ist
ein verfluchter Betrüger: es hat seinen Herrn oft
betrogen. Seinen Herrn! Jetzt bin ich nicht
Herr von meinem Hertzen. Jch habe von dem
Augenblick an aufgehört, Herr darüber zu seyn, da
ich diesen Engel gesehen habe; ohngeachtet ich vor-
hin schon so viel von ihr gehört hatte, daß es
schien, die Reuigkeit und das Unerwartete wür-
de mich nicht rühren können. Denn was müste
das für ein Gemüth seyn, das die Tugend nicht bey
andern anbetet, wenn es gleich selbst nicht tugend-
haft ist? Du weist, daß ich mich nur aus Verwech-
selung der Personen an eine, die Arabelle hieß,
machte: der verworrene Kopf, der alte Onckle,
war Schuld daran. Jch kam eben von Reisen,
und er solte mir den Zugang zu einer Göttin ver-
schaffen: allein er führte mich zu einem sehr sterb-
lichen Bilde. Mein Frauenzimmer, war so gü-
tig und so bereitwillig, daß ich nicht wenig Mühe
hatte, mich vor ihrem Ja zu bewahren, ohne es
mit der Familie gantz zu verderben, die mir meine
Göttin geben sollte.

Jch habe damit geprahlt, daß ich sonst ver-
liebt gewesen bin. Jch meinte es selbst, daß
das Liebe wäre. Jch hatte kaum angefangen mich

zu
X 3
der Clariſſa.

Allein es ſcheinet, daß ich dieſe Kunſt nachma-
chen muß, wenn ich dieſes unvergleichliche Kind
gewinnen will. Warum aber ſoll ich ſie nach-
machen?
Kan ich mich nicht in der That beſſern?
Jch habe nur ein eintziges Laſter. Habe ich meh-
rere, Kerl? du kenneſt mein Hertz, wenn es ein
Menſch auf der Welt kennet: du kenneſt es, wenn
ich mich anders ſelbſt kenne. Allein mein Hertz iſt
ein verfluchter Betruͤger: es hat ſeinen Herrn oft
betrogen. Seinen Herrn! Jetzt bin ich nicht
Herr von meinem Hertzen. Jch habe von dem
Augenblick an aufgehoͤrt, Herr daruͤber zu ſeyn, da
ich dieſen Engel geſehen habe; ohngeachtet ich vor-
hin ſchon ſo viel von ihr gehoͤrt hatte, daß es
ſchien, die Reuigkeit und das Unerwartete wuͤr-
de mich nicht ruͤhren koͤnnen. Denn was muͤſte
das fuͤr ein Gemuͤth ſeyn, das die Tugend nicht bey
andern anbetet, wenn es gleich ſelbſt nicht tugend-
haft iſt? Du weiſt, daß ich mich nur aus Verwech-
ſelung der Perſonen an eine, die Arabelle hieß,
machte: der verworrene Kopf, der alte Onckle,
war Schuld daran. Jch kam eben von Reiſen,
und er ſolte mir den Zugang zu einer Goͤttin ver-
ſchaffen: allein er fuͤhrte mich zu einem ſehr ſterb-
lichen Bilde. Mein Frauenzimmer, war ſo guͤ-
tig und ſo bereitwillig, daß ich nicht wenig Muͤhe
hatte, mich vor ihrem Ja zu bewahren, ohne es
mit der Familie gantz zu verderben, die mir meine
Goͤttin geben ſollte.

Jch habe damit geprahlt, daß ich ſonſt ver-
liebt geweſen bin. Jch meinte es ſelbſt, daß
das Liebe waͤre. Jch hatte kaum angefangen mich

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[325/0345] der Clariſſa. Allein es ſcheinet, daß ich dieſe Kunſt nachma- chen muß, wenn ich dieſes unvergleichliche Kind gewinnen will. Warum aber ſoll ich ſie nach- machen? Kan ich mich nicht in der That beſſern? Jch habe nur ein eintziges Laſter. Habe ich meh- rere, Kerl? du kenneſt mein Hertz, wenn es ein Menſch auf der Welt kennet: du kenneſt es, wenn ich mich anders ſelbſt kenne. Allein mein Hertz iſt ein verfluchter Betruͤger: es hat ſeinen Herrn oft betrogen. Seinen Herrn! Jetzt bin ich nicht Herr von meinem Hertzen. Jch habe von dem Augenblick an aufgehoͤrt, Herr daruͤber zu ſeyn, da ich dieſen Engel geſehen habe; ohngeachtet ich vor- hin ſchon ſo viel von ihr gehoͤrt hatte, daß es ſchien, die Reuigkeit und das Unerwartete wuͤr- de mich nicht ruͤhren koͤnnen. Denn was muͤſte das fuͤr ein Gemuͤth ſeyn, das die Tugend nicht bey andern anbetet, wenn es gleich ſelbſt nicht tugend- haft iſt? Du weiſt, daß ich mich nur aus Verwech- ſelung der Perſonen an eine, die Arabelle hieß, machte: der verworrene Kopf, der alte Onckle, war Schuld daran. Jch kam eben von Reiſen, und er ſolte mir den Zugang zu einer Goͤttin ver- ſchaffen: allein er fuͤhrte mich zu einem ſehr ſterb- lichen Bilde. Mein Frauenzimmer, war ſo guͤ- tig und ſo bereitwillig, daß ich nicht wenig Muͤhe hatte, mich vor ihrem Ja zu bewahren, ohne es mit der Familie gantz zu verderben, die mir meine Goͤttin geben ſollte. Jch habe damit geprahlt, daß ich ſonſt ver- liebt geweſen bin. Jch meinte es ſelbſt, daß das Liebe waͤre. Jch hatte kaum angefangen mich zu X 3

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/345>, abgerufen am 25.11.2024.