Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Jch glaubte immer sein Stoltz sey kein solcher
Fehler, aus dem ein Schertz gemacht werden
könte. Bey Leuten von Stande und Mittein
ist der Stoltz ein allzu thörichtes und bäurisches
Laster. Wenn sie Ehre verdienen so werden sie
sie gewiß haben auch ohne daß sie die Welt darum
mahnen. Wer durch seine hochmüthige Geber-
den und Betragen Ehrerbietung zu erlangeu sucht,
der scheint ein Mistrauen in seine Verdienste zu
setzen, und zu gestehen, daß seine übrigen Hand-
lungen ihm keine Ehrerbietung erwerben werden.
Ueber den vornehmen Stand und Rang mögen
die hochmüthig seyn, denen diese Vorzüge neu
sind: sie werden aber dadurch bey andern ver-
ächtlich werden, und die Nachrede von Bauren-
Stoltz hören müssen, damit sie sich ihres Glückes
nicht allzusehr überheben.

Jst es zu entschuldigen, daß dieser Herr hoch-
müthig und vornehm thun will, der es desto we-
niger nöthig hätte, weil er noch so viel Artigkeit
in Gestalt und Bildung hat, und so viel gelernt
haben soll. Seine eigenen Gesichts-Züge be-
straffen ihn. Wie sehr ist er ohne Entschuldi-
gung! Was macht ihn stoltz? gewiß nicht seine
guten Thaten, auf die man allein sich mit Recht
etwas einbilden kan. Sind es seine äussern
Vorzüge? Müssen nicht andere von den innern
Vorzügen einer Person schlechte Gedancken be-
kommen, die ihren Hochmuth auf eine Sache
von so kurtzer Dauer gründet? Einige Leute mö-
gen vielleicht in Sorgen stehen, daß andere auf

sie
der Clariſſa.

Jch glaubte immer ſein Stoltz ſey kein ſolcher
Fehler, aus dem ein Schertz gemacht werden
koͤnte. Bey Leuten von Stande und Mittein
iſt der Stoltz ein allzu thoͤrichtes und baͤuriſches
Laſter. Wenn ſie Ehre verdienen ſo werden ſie
ſie gewiß haben auch ohne daß ſie die Welt darum
mahnen. Wer durch ſeine hochmuͤthige Geber-
den und Betragen Ehrerbietung zu erlangeu ſucht,
der ſcheint ein Mistrauen in ſeine Verdienſte zu
ſetzen, und zu geſtehen, daß ſeine uͤbrigen Hand-
lungen ihm keine Ehrerbietung erwerben werden.
Ueber den vornehmen Stand und Rang moͤgen
die hochmuͤthig ſeyn, denen dieſe Vorzuͤge neu
ſind: ſie werden aber dadurch bey andern ver-
aͤchtlich werden, und die Nachrede von Bauren-
Stoltz hoͤren muͤſſen, damit ſie ſich ihres Gluͤckes
nicht allzuſehr uͤberheben.

Jſt es zu entſchuldigen, daß dieſer Herr hoch-
muͤthig und vornehm thun will, der es deſto we-
niger noͤthig haͤtte, weil er noch ſo viel Artigkeit
in Geſtalt und Bildung hat, und ſo viel gelernt
haben ſoll. Seine eigenen Geſichts-Zuͤge be-
ſtraffen ihn. Wie ſehr iſt er ohne Entſchuldi-
gung! Was macht ihn ſtoltz? gewiß nicht ſeine
guten Thaten, auf die man allein ſich mit Recht
etwas einbilden kan. Sind es ſeine aͤuſſern
Vorzuͤge? Muͤſſen nicht andere von den innern
Vorzuͤgen einer Perſon ſchlechte Gedancken be-
kommen, die ihren Hochmuth auf eine Sache
von ſo kurtzer Dauer gruͤndet? Einige Leute moͤ-
gen vielleicht in Sorgen ſtehen, daß andere auf

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0339" n="319"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Jch glaubte immer &#x017F;ein Stoltz &#x017F;ey kein &#x017F;olcher<lb/>
Fehler, aus dem ein Schertz gemacht werden<lb/>
ko&#x0364;nte. Bey Leuten von Stande und Mittein<lb/>
i&#x017F;t der Stoltz ein allzu tho&#x0364;richtes und ba&#x0364;uri&#x017F;ches<lb/>
La&#x017F;ter. Wenn &#x017F;ie Ehre <hi rendition="#fr">verdienen</hi> &#x017F;o werden &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ie gewiß haben auch ohne daß &#x017F;ie die Welt darum<lb/>
mahnen. Wer durch &#x017F;eine hochmu&#x0364;thige Geber-<lb/>
den und Betragen Ehrerbietung zu erlangeu &#x017F;ucht,<lb/>
der &#x017F;cheint ein Mistrauen in &#x017F;eine Verdien&#x017F;te zu<lb/>
&#x017F;etzen, und zu ge&#x017F;tehen, daß &#x017F;eine u&#x0364;brigen Hand-<lb/>
lungen ihm keine Ehrerbietung erwerben werden.<lb/>
Ueber den vornehmen Stand und Rang mo&#x0364;gen<lb/>
die hochmu&#x0364;thig &#x017F;eyn, denen die&#x017F;e Vorzu&#x0364;ge neu<lb/>
&#x017F;ind: &#x017F;ie werden aber dadurch bey andern ver-<lb/>
a&#x0364;chtlich werden, und die Nachrede von Bauren-<lb/>
Stoltz ho&#x0364;ren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, damit &#x017F;ie &#x017F;ich ihres Glu&#x0364;ckes<lb/>
nicht allzu&#x017F;ehr u&#x0364;berheben.</p><lb/>
          <p>J&#x017F;t es zu ent&#x017F;chuldigen, daß die&#x017F;er Herr hoch-<lb/>
mu&#x0364;thig und vornehm thun will, der es de&#x017F;to we-<lb/>
niger no&#x0364;thig ha&#x0364;tte, weil er noch &#x017F;o viel Artigkeit<lb/>
in Ge&#x017F;talt und Bildung hat, und &#x017F;o viel gelernt<lb/>
haben &#x017F;oll. Seine eigenen Ge&#x017F;ichts-Zu&#x0364;ge be-<lb/>
&#x017F;traffen ihn. Wie &#x017F;ehr i&#x017F;t er ohne Ent&#x017F;chuldi-<lb/>
gung! Was macht ihn &#x017F;toltz? gewiß nicht &#x017F;eine<lb/>
guten Thaten, auf die man allein &#x017F;ich mit Recht<lb/>
etwas einbilden kan. Sind es &#x017F;eine a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Vorzu&#x0364;ge? Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nicht andere von den innern<lb/>
Vorzu&#x0364;gen einer Per&#x017F;on &#x017F;chlechte Gedancken be-<lb/>
kommen, die ihren Hochmuth auf eine Sache<lb/>
von &#x017F;o kurtzer Dauer gru&#x0364;ndet? Einige Leute mo&#x0364;-<lb/>
gen vielleicht in Sorgen &#x017F;tehen, daß andere auf<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0339] der Clariſſa. Jch glaubte immer ſein Stoltz ſey kein ſolcher Fehler, aus dem ein Schertz gemacht werden koͤnte. Bey Leuten von Stande und Mittein iſt der Stoltz ein allzu thoͤrichtes und baͤuriſches Laſter. Wenn ſie Ehre verdienen ſo werden ſie ſie gewiß haben auch ohne daß ſie die Welt darum mahnen. Wer durch ſeine hochmuͤthige Geber- den und Betragen Ehrerbietung zu erlangeu ſucht, der ſcheint ein Mistrauen in ſeine Verdienſte zu ſetzen, und zu geſtehen, daß ſeine uͤbrigen Hand- lungen ihm keine Ehrerbietung erwerben werden. Ueber den vornehmen Stand und Rang moͤgen die hochmuͤthig ſeyn, denen dieſe Vorzuͤge neu ſind: ſie werden aber dadurch bey andern ver- aͤchtlich werden, und die Nachrede von Bauren- Stoltz hoͤren muͤſſen, damit ſie ſich ihres Gluͤckes nicht allzuſehr uͤberheben. Jſt es zu entſchuldigen, daß dieſer Herr hoch- muͤthig und vornehm thun will, der es deſto we- niger noͤthig haͤtte, weil er noch ſo viel Artigkeit in Geſtalt und Bildung hat, und ſo viel gelernt haben ſoll. Seine eigenen Geſichts-Zuͤge be- ſtraffen ihn. Wie ſehr iſt er ohne Entſchuldi- gung! Was macht ihn ſtoltz? gewiß nicht ſeine guten Thaten, auf die man allein ſich mit Recht etwas einbilden kan. Sind es ſeine aͤuſſern Vorzuͤge? Muͤſſen nicht andere von den innern Vorzuͤgen einer Perſon ſchlechte Gedancken be- kommen, die ihren Hochmuth auf eine Sache von ſo kurtzer Dauer gruͤndet? Einige Leute moͤ- gen vielleicht in Sorgen ſtehen, daß andere auf ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/339
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/339>, abgerufen am 25.08.2024.