Jhr möget es nach eurer Weisheit für artig oder für unartig erklären, so will ich doch meine Meynung von euch und von eurer Aufführung in Absicht auf Herrn Lovelace frey schreiben. Jhr seyd ein verliebtes albernes Mädchen bey aller eurer Weisheit. Das beweiset eur Brief in mehr denn zwantzig Stellen. Niemand glaubt euch, wenn ihr das alte Lied anstimmet, daß ihr unverheyrathet bleiben wolt. Das ist nur eine Ausflucht, die ihr erfindet, um eurer Pflicht und dem Gehorsam gegen Eltern aus dem Wege zu gehen, die so gütig gegen euch gewesen sind, als Eltern in der Welt seyn können. Nun geniessen sie den Danck für ihre Gütigkeit.
Wir alle haben ehemals geglaubt, daß ihr ein sanftes und liebreiches Hertz hättet. Aber woher kam es? Niemand hatte euch widerspro- chen, alles ging nach eurem Kopf. So bald ihr aber erfahret, daß man sich euren Wünschen wi- dersetzt, wenn ihr euch an einen liederlichen Kerl hengen wolt, so zeiget ihr euch in eurer wahren Gestald. Der Vorwand ist: ihr könt keine Liebe zu Herrn Solmes fassen. Schwester, Schwester, ich muß euch die Ursache entdecken: Herr Lovelace hat eur verliebtes Hertz gefesselt, ein Bösewicht, den wir alle mit Recht hassen, und an dessen Händen noch eures Bruders Blut klebet. Den Kerl wolt ihr zu einem Verwanten von uns machen. Woltet ihr doch das wol thun?
Jch
der Clariſſa.
Die Antwort auf dieſen Brief.
Jhr moͤget es nach eurer Weisheit fuͤr artig oder fuͤr unartig erklaͤren, ſo will ich doch meine Meynung von euch und von eurer Auffuͤhrung in Abſicht auf Herrn Lovelace frey ſchreiben. Jhr ſeyd ein verliebtes albernes Maͤdchen bey aller eurer Weisheit. Das beweiſet eur Brief in mehr denn zwantzig Stellen. Niemand glaubt euch, wenn ihr das alte Lied anſtimmet, daß ihr unverheyrathet bleiben wolt. Das iſt nur eine Ausflucht, die ihr erfindet, um eurer Pflicht und dem Gehorſam gegen Eltern aus dem Wege zu gehen, die ſo guͤtig gegen euch geweſen ſind, als Eltern in der Welt ſeyn koͤnnen. Nun genieſſen ſie den Danck fuͤr ihre Guͤtigkeit.
Wir alle haben ehemals geglaubt, daß ihr ein ſanftes und liebreiches Hertz haͤttet. Aber woher kam es? Niemand hatte euch widerſpro- chen, alles ging nach eurem Kopf. So bald ihr aber erfahret, daß man ſich euren Wuͤnſchen wi- derſetzt, wenn ihr euch an einen liederlichen Kerl hengen wolt, ſo zeiget ihr euch in eurer wahren Geſtald. Der Vorwand iſt: ihr koͤnt keine Liebe zu Herrn Solmes faſſen. Schweſter, Schweſter, ich muß euch die Urſache entdecken: Herr Lovelace hat eur verliebtes Hertz gefeſſelt, ein Boͤſewicht, den wir alle mit Recht haſſen, und an deſſen Haͤnden noch eures Bruders Blut klebet. Den Kerl wolt ihr zu einem Verwanten von uns machen. Woltet ihr doch das wol thun?
Jch
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der Clariſſa.
Die Antwort auf dieſen Brief.
Jhr moͤget es nach eurer Weisheit fuͤr artig
oder fuͤr unartig erklaͤren, ſo will ich doch meine
Meynung von euch und von eurer Auffuͤhrung in
Abſicht auf Herrn Lovelace frey ſchreiben. Jhr
ſeyd ein verliebtes albernes Maͤdchen bey aller
eurer Weisheit. Das beweiſet eur Brief in
mehr denn zwantzig Stellen. Niemand glaubt
euch, wenn ihr das alte Lied anſtimmet, daß ihr
unverheyrathet bleiben wolt. Das iſt nur eine
Ausflucht, die ihr erfindet, um eurer Pflicht und
dem Gehorſam gegen Eltern aus dem Wege zu
gehen, die ſo guͤtig gegen euch geweſen ſind, als
Eltern in der Welt ſeyn koͤnnen. Nun genieſſen
ſie den Danck fuͤr ihre Guͤtigkeit.
Wir alle haben ehemals geglaubt, daß ihr
ein ſanftes und liebreiches Hertz haͤttet. Aber
woher kam es? Niemand hatte euch widerſpro-
chen, alles ging nach eurem Kopf. So bald ihr
aber erfahret, daß man ſich euren Wuͤnſchen wi-
derſetzt, wenn ihr euch an einen liederlichen Kerl
hengen wolt, ſo zeiget ihr euch in eurer wahren
Geſtald. Der Vorwand iſt: ihr koͤnt keine
Liebe zu Herrn Solmes faſſen. Schweſter,
Schweſter, ich muß euch die Urſache entdecken:
Herr Lovelace hat eur verliebtes Hertz gefeſſelt,
ein Boͤſewicht, den wir alle mit Recht haſſen,
und an deſſen Haͤnden noch eures Bruders Blut
klebet. Den Kerl wolt ihr zu einem Verwanten
von uns machen. Woltet ihr doch das wol
thun?
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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