eintzig und allein Ursache daran seyd: so müßt ihr mir erlauben, daß ich euch meine Meynung frey entdecke. Jch verlange nicht, etwas euch unangenehmes zu schreiben, allein ich werde auf- richtig und offenhertzig gegen euch seyn müssen. Die Sache selbst erfodert dieses.
Vergönnet mir zuförderst, euch zu melden, daß ich eure Schwester und nicht eure Dienst- Magd bin. Es schickt sich deswegen eben so wenig für mich, die bittern und schimpflichen Complimente, die ihr mir bey einer Gelegenheit sagen lasset, dabey ihr nichts zu befehlen habt, zu ertragen und ungeahndet zu lassen; als es sich für euch schickt, euch dergleichen zu unterfangen.
Setzet den Fall, daß ich den Mann heyrathe- te, der euch misfallig ist, und daß ich keinen höflichen und liebreichen Gemahl an ihm hätte: werdet ihr dadurch berechtiget, ein unhöflicher und liebloser Bruder zu seyn? Warum wolt ihr mir dieses Unglück zum voraus empfinden lassen, wenn es ja mein Schicksaal ist, daß ich es künftig empfinden soll? Gewiß der Mann müste ein Unmensch seyn, der seiner Frau schlim- mer begegnen könte, als ihr seit einiger Zeit eurer Schwester begegnet habt.
Befraget euch selbst, ob ihr euch würdet unter- standen haben, eurer Schwester Arabella das zu bieten, wenn ihr die Person, welche ihr has- set, angestanden hätte? Jch wolte euch sonst wol den Rath geben, euer Betragen nicht darnach ein- zurichten, was ihr meynt, das ich leiden kan,
son-
U 2
der Clariſſa.
eintzig und allein Urſache daran ſeyd: ſo muͤßt ihr mir erlauben, daß ich euch meine Meynung frey entdecke. Jch verlange nicht, etwas euch unangenehmes zu ſchreiben, allein ich werde auf- richtig und offenhertzig gegen euch ſeyn muͤſſen. Die Sache ſelbſt erfodert dieſes.
Vergoͤnnet mir zufoͤrderſt, euch zu melden, daß ich eure Schweſter und nicht eure Dienſt- Magd bin. Es ſchickt ſich deswegen eben ſo wenig fuͤr mich, die bittern und ſchimpflichen Complimente, die ihr mir bey einer Gelegenheit ſagen laſſet, dabey ihr nichts zu befehlen habt, zu ertragen und ungeahndet zu laſſen; als es ſich fuͤr euch ſchickt, euch dergleichen zu unterfangen.
Setzet den Fall, daß ich den Mann heyrathe- te, der euch misfallig iſt, und daß ich keinen hoͤflichen und liebreichen Gemahl an ihm haͤtte: werdet ihr dadurch berechtiget, ein unhoͤflicher und liebloſer Bruder zu ſeyn? Warum wolt ihr mir dieſes Ungluͤck zum voraus empfinden laſſen, wenn es ja mein Schickſaal iſt, daß ich es kuͤnftig empfinden ſoll? Gewiß der Mann muͤſte ein Unmenſch ſeyn, der ſeiner Frau ſchlim- mer begegnen koͤnte, als ihr ſeit einiger Zeit eurer Schweſter begegnet habt.
Befraget euch ſelbſt, ob ihr euch wuͤrdet unter- ſtanden haben, eurer Schweſter Arabella das zu bieten, wenn ihr die Perſon, welche ihr haſ- ſet, angeſtanden haͤtte? Jch wolte euch ſonſt wol den Rath geben, euer Betragen nicht darnach ein- zurichten, was ihr meynt, das ich leiden kan,
ſon-
U 2
<TEI><text><body><divn="2"><divn="2"><floatingText><body><p><pbfacs="#f0327"n="307"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/>
eintzig und allein Urſache daran ſeyd: ſo muͤßt<lb/>
ihr mir erlauben, daß ich euch meine Meynung<lb/>
frey entdecke. Jch verlange nicht, etwas euch<lb/>
unangenehmes zu ſchreiben, allein ich werde auf-<lb/>
richtig und offenhertzig gegen euch ſeyn muͤſſen.<lb/>
Die Sache ſelbſt erfodert dieſes.</p><lb/><p>Vergoͤnnet mir zufoͤrderſt, euch zu melden,<lb/>
daß ich eure Schweſter und nicht eure Dienſt-<lb/>
Magd bin. Es ſchickt ſich deswegen eben ſo<lb/>
wenig fuͤr mich, die bittern und ſchimpflichen<lb/>
Complimente, die ihr mir bey einer Gelegenheit<lb/>ſagen laſſet, dabey ihr nichts zu befehlen habt, zu<lb/>
ertragen und ungeahndet zu laſſen; als es ſich<lb/>
fuͤr euch ſchickt, euch dergleichen zu unterfangen.</p><lb/><p>Setzet den Fall, daß ich den Mann heyrathe-<lb/>
te, der euch misfallig iſt, und daß ich keinen<lb/>
hoͤflichen und liebreichen Gemahl an ihm haͤtte:<lb/>
werdet ihr dadurch berechtiget, ein unhoͤflicher<lb/>
und liebloſer Bruder zu ſeyn? Warum wolt<lb/>
ihr mir dieſes Ungluͤck zum voraus empfinden<lb/>
laſſen, wenn es ja mein Schickſaal iſt, daß ich<lb/>
es kuͤnftig empfinden ſoll? Gewiß der Mann<lb/>
muͤſte ein Unmenſch ſeyn, der ſeiner Frau ſchlim-<lb/>
mer begegnen koͤnte, als ihr ſeit einiger Zeit<lb/>
eurer Schweſter begegnet habt.</p><lb/><p>Befraget euch ſelbſt, ob ihr euch wuͤrdet unter-<lb/>ſtanden haben, eurer Schweſter Arabella das<lb/>
zu bieten, wenn ihr die Perſon, welche ihr haſ-<lb/>ſet, angeſtanden haͤtte? Jch wolte euch ſonſt wol<lb/>
den Rath geben, euer Betragen nicht darnach ein-<lb/>
zurichten, was ihr meynt, das ich leiden kan,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſon-</fw><lb/></p></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[307/0327]
der Clariſſa.
eintzig und allein Urſache daran ſeyd: ſo muͤßt
ihr mir erlauben, daß ich euch meine Meynung
frey entdecke. Jch verlange nicht, etwas euch
unangenehmes zu ſchreiben, allein ich werde auf-
richtig und offenhertzig gegen euch ſeyn muͤſſen.
Die Sache ſelbſt erfodert dieſes.
Vergoͤnnet mir zufoͤrderſt, euch zu melden,
daß ich eure Schweſter und nicht eure Dienſt-
Magd bin. Es ſchickt ſich deswegen eben ſo
wenig fuͤr mich, die bittern und ſchimpflichen
Complimente, die ihr mir bey einer Gelegenheit
ſagen laſſet, dabey ihr nichts zu befehlen habt, zu
ertragen und ungeahndet zu laſſen; als es ſich
fuͤr euch ſchickt, euch dergleichen zu unterfangen.
Setzet den Fall, daß ich den Mann heyrathe-
te, der euch misfallig iſt, und daß ich keinen
hoͤflichen und liebreichen Gemahl an ihm haͤtte:
werdet ihr dadurch berechtiget, ein unhoͤflicher
und liebloſer Bruder zu ſeyn? Warum wolt
ihr mir dieſes Ungluͤck zum voraus empfinden
laſſen, wenn es ja mein Schickſaal iſt, daß ich
es kuͤnftig empfinden ſoll? Gewiß der Mann
muͤſte ein Unmenſch ſeyn, der ſeiner Frau ſchlim-
mer begegnen koͤnte, als ihr ſeit einiger Zeit
eurer Schweſter begegnet habt.
Befraget euch ſelbſt, ob ihr euch wuͤrdet unter-
ſtanden haben, eurer Schweſter Arabella das
zu bieten, wenn ihr die Perſon, welche ihr haſ-
ſet, angeſtanden haͤtte? Jch wolte euch ſonſt wol
den Rath geben, euer Betragen nicht darnach ein-
zurichten, was ihr meynt, das ich leiden kan,
ſon-
U 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/327>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.