gen das allerhöchste Wesen gebraucht wird. Man kan in solchem Verstande die Liebe etwas göttliches nennen. Allein in diesem besondern, engen, eigennützigen Verstande hat es für meine Ohren einen unerträglichen Klang. Schreiben Sie deswegen in andern Stücken so frey als Sie wollen, so werde ich Sie um Jhrer Vertraulich- keit willen nur desto mehr lieben: allein wegen der Ehre unseres Geschlechts wünschete ich, daß nur diese Beschuldigung Jhrer Feder oder Jhren Lippen nicht so leicht entfahren möchte, wenn ich auch nicht die beschuldigte Person wäre. Denn das audere Geschlecht würde darüber doppelt frohlocken können, daß ein Frauenzimmer von Jhrer Artigkeit, ein Frauenzimmer, das alle Manns-Personen so hertzlich verachtet, als Sie haben wollen, daß man es von Jhnen glauben soll, an einer Freundin verliebte Zuneigung mit einem kleinen Hohn-Gelächter entdecket.
Jch kön[t]e noch mehr Anmerckungen über den Jnhalt Jhrer beyden letzten Briefe machen, wenn mein Gemüth etwas freyer wäre. Zu diesen we- nigen war ich allzu sehr gereitzt, und ich konte mich nicht enthalten, die Dinge etwas zu ahn- den, die mich dazu reitzten.
Jch werde Sie in dem nächsten Briefe von dem weiteren Betragen der meinigen benachrich- tigen.
Der
der Clariſſa.
gen das allerhoͤchſte Weſen gebraucht wird. Man kan in ſolchem Verſtande die Liebe etwas goͤttliches nennen. Allein in dieſem beſondern, engen, eigennuͤtzigen Verſtande hat es fuͤr meine Ohren einen unertraͤglichen Klang. Schreiben Sie deswegen in andern Stuͤcken ſo frey als Sie wollen, ſo werde ich Sie um Jhrer Vertraulich- keit willen nur deſto mehr lieben: allein wegen der Ehre unſeres Geſchlechts wuͤnſchete ich, daß nur dieſe Beſchuldigung Jhrer Feder oder Jhren Lippen nicht ſo leicht entfahren moͤchte, wenn ich auch nicht die beſchuldigte Perſon waͤre. Denn das audere Geſchlecht wuͤrde daruͤber doppelt frohlocken koͤnnen, daß ein Frauenzimmer von Jhrer Artigkeit, ein Frauenzimmer, das alle Manns-Perſonen ſo hertzlich verachtet, als Sie haben wollen, daß man es von Jhnen glauben ſoll, an einer Freundin verliebte Zuneigung mit einem kleinen Hohn-Gelaͤchter entdecket.
Jch koͤn[t]e noch mehr Anmerckungen uͤber den Jnhalt Jhrer beyden letzten Briefe machen, wenn mein Gemuͤth etwas freyer waͤre. Zu dieſen we- nigen war ich allzu ſehr gereitzt, und ich konte mich nicht enthalten, die Dinge etwas zu ahn- den, die mich dazu reitzten.
Jch werde Sie in dem naͤchſten Briefe von dem weiteren Betragen der meinigen benachrich- tigen.
Der
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der Clariſſa.
gen das allerhoͤchſte Weſen gebraucht wird.
Man kan in ſolchem Verſtande die Liebe etwas
goͤttliches nennen. Allein in dieſem beſondern,
engen, eigennuͤtzigen Verſtande hat es fuͤr meine
Ohren einen unertraͤglichen Klang. Schreiben
Sie deswegen in andern Stuͤcken ſo frey als Sie
wollen, ſo werde ich Sie um Jhrer Vertraulich-
keit willen nur deſto mehr lieben: allein wegen
der Ehre unſeres Geſchlechts wuͤnſchete ich, daß
nur dieſe Beſchuldigung Jhrer Feder oder Jhren
Lippen nicht ſo leicht entfahren moͤchte, wenn ich
auch nicht die beſchuldigte Perſon waͤre. Denn
das audere Geſchlecht wuͤrde daruͤber doppelt
frohlocken koͤnnen, daß ein Frauenzimmer von
Jhrer Artigkeit, ein Frauenzimmer, das alle
Manns-Perſonen ſo hertzlich verachtet, als Sie
haben wollen, daß man es von Jhnen glauben
ſoll, an einer Freundin verliebte Zuneigung
mit einem kleinen Hohn-Gelaͤchter entdecket.
Jch koͤnte noch mehr Anmerckungen uͤber den
Jnhalt Jhrer beyden letzten Briefe machen, wenn
mein Gemuͤth etwas freyer waͤre. Zu dieſen we-
nigen war ich allzu ſehr gereitzt, und ich konte
mich nicht enthalten, die Dinge etwas zu ahn-
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Jch werde Sie in dem naͤchſten Briefe von
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/323>, abgerufen am 16.02.2025.
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