"wollen, nicht die Vorzüge hat, die ein Gemüth "von so zärtlichen und verwehnten Geschmack an "einem Freyer suchen möchte. Allein der Mann "ist doch wahrhaftig besser, als ein Bösewicht: "ein Bösewicht, der sich noch dazu mit ihrem "eigenen Bruder geschlagen hat. So würden "die Eltern dencken, wenn auch dieser letzte Um- "stand nicht dazu käme: und es wäre wunderlich "wenn die Eltern es nicht besser verstehen solten, "als die Tochter."
Freylich, dachte ich bey mir selbst, das solten sie thun, weil sie mehr Erfahrung haben: wenn nur nicht bisweilen einige kleine und schmutzige Absich- ten sie mit Vorurtheilen für einen Freyer einneh- men, da sie es ihren Töchtern verdencken, daß sie ihrer Meinung nach Vorurtheile zum Vortheil des andern haben: und wenn nur kein alter, krie- chender, verschimmelter Onckle Anton in den Fa- milien wäre, der die Vorurtheile der Eltern noch stärcker macht, wie er es bey meiner Mutter zu machen pflegt. Der elende, kriechende Geist! der sich nicht einreden noch überführen läst! Was hat so ein alter vermuckter Hagestoltz mit Eltern von den Pflichten der Kinder aus dem vierten Gebot zu schwatzen, da er gar keinen Begriff von den Pflichten hat, welche die Eltern hinwie- derum ihren Kindern schuldig sind? allein Jhre Frau Mutter hat durch ihre träge Geduld (ich kan sie mit keinem andern Namen benennen) alle drey Brüder verdorben.
Du
Die Geſchichte
„wollen, nicht die Vorzuͤge hat, die ein Gemuͤth „von ſo zaͤrtlichen und verwehnten Geſchmack an „einem Freyer ſuchen moͤchte. Allein der Mann „iſt doch wahrhaftig beſſer, als ein Boͤſewicht: „ein Boͤſewicht, der ſich noch dazu mit ihrem „eigenen Bruder geſchlagen hat. So wuͤrden „die Eltern dencken, wenn auch dieſer letzte Um- „ſtand nicht dazu kaͤme: und es waͤre wunderlich „wenn die Eltern es nicht beſſer verſtehen ſolten, „als die Tochter.„
Freylich, dachte ich bey mir ſelbſt, das ſolten ſie thun, weil ſie mehr Erfahrung haben: wenn nur nicht bisweilen einige kleine und ſchmutzige Abſich- ten ſie mit Vorurtheilen fuͤr einen Freyer einneh- men, da ſie es ihren Toͤchtern verdencken, daß ſie ihrer Meinung nach Vorurtheile zum Vortheil des andern haben: und wenn nur kein alter, krie- chender, verſchimmelter Onckle Anton in den Fa- milien waͤre, der die Vorurtheile der Eltern noch ſtaͤrcker macht, wie er es bey meiner Mutter zu machen pflegt. Der elende, kriechende Geiſt! der ſich nicht einreden noch uͤberfuͤhren laͤſt! Was hat ſo ein alter vermuckter Hageſtoltz mit Eltern von den Pflichten der Kinder aus dem vierten Gebot zu ſchwatzen, da er gar keinen Begriff von den Pflichten hat, welche die Eltern hinwie- derum ihren Kindern ſchuldig ſind? allein Jhre Frau Mutter hat durch ihre traͤge Geduld (ich kan ſie mit keinem andern Namen benennen) alle drey Bruͤder verdorben.
Du
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Die Geſchichte
„wollen, nicht die Vorzuͤge hat, die ein Gemuͤth
„von ſo zaͤrtlichen und verwehnten Geſchmack an
„einem Freyer ſuchen moͤchte. Allein der Mann
„iſt doch wahrhaftig beſſer, als ein Boͤſewicht:
„ein Boͤſewicht, der ſich noch dazu mit ihrem
„eigenen Bruder geſchlagen hat. So wuͤrden
„die Eltern dencken, wenn auch dieſer letzte Um-
„ſtand nicht dazu kaͤme: und es waͤre wunderlich
„wenn die Eltern es nicht beſſer verſtehen ſolten,
„als die Tochter.„
Freylich, dachte ich bey mir ſelbſt, das ſolten ſie
thun, weil ſie mehr Erfahrung haben: wenn nur
nicht bisweilen einige kleine und ſchmutzige Abſich-
ten ſie mit Vorurtheilen fuͤr einen Freyer einneh-
men, da ſie es ihren Toͤchtern verdencken, daß ſie
ihrer Meinung nach Vorurtheile zum Vortheil
des andern haben: und wenn nur kein alter, krie-
chender, verſchimmelter Onckle Anton in den Fa-
milien waͤre, der die Vorurtheile der Eltern noch
ſtaͤrcker macht, wie er es bey meiner Mutter zu
machen pflegt. Der elende, kriechende Geiſt!
der ſich nicht einreden noch uͤberfuͤhren laͤſt! Was
hat ſo ein alter vermuckter Hageſtoltz mit Eltern
von den Pflichten der Kinder aus dem vierten
Gebot zu ſchwatzen, da er gar keinen Begriff
von den Pflichten hat, welche die Eltern hinwie-
derum ihren Kindern ſchuldig ſind? allein Jhre
Frau Mutter hat durch ihre traͤge Geduld (ich
kan ſie mit keinem andern Namen benennen) alle
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/310>, abgerufen am 22.11.2024.
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