"würde: man habe ihre Gestalt stets für an- "ständig gehalten; wobey ich ihr sagte, daß Anständigkeit nicht so viel in der Gestalt als Schönheit verlieren könnte, und bleiben würde, wenn jene längst verwelcket wäre. Hierauf kehrte sie sich wieder zum Spiegel, "und be- "merckte, daß ihre Gesichts-Züge und ihre Au- "gen nicht eben die schlimmsten wären, (ich er- innere mich, daß sie eben damahls ungewöhnlich hell waren) "kurtz: Es wäre nichts zu tadeln, "obgleich auch nichts sehr reitzendes an ihr zu fin- "den wäre. Sie war zweifelhafft: ist was an "mir auszusetzen Clärgen?
Vergeben Sie mir, mein Hertz, ich habe nie vorhin so umständlich alle Kleinigkeiten geschrie- ben, auch selbst nicht an Sie. Jetzt würde ich eben so wenig eine so freye Beschreibung von der Aufführung meiner Schwester machen, wann Sie sich nicht gegen meinen Bruder rühmte, daß Herr Lovelace niemahls das Glück gehabt habe, ihr zu gefallen. Ueber dieses befehlen Sie, daß ich auch Kleinigkeiten in meine Beschreibung mit ein- fliessen lassen soll, und vergönnen mir nicht die Miene und die Art zu verschweigen, womit eine Sache die Nachdencken erwecken kan gesprochen ist: und in der That ist Jhre Anmerckung richtig, daß die Mienen unsere Gemüths-Fassung öffters besser ausdrucken, als die Worte selbst.
Jch wünschte ihr Glück zu ihrer Hoffnung. Sie nahm meinen Glückwunsch an, und schien mit sich selbst sehr wohl vergnügt zu seyn.
Der
der Clariſſa.
„wuͤrde: man habe ihre Geſtalt ſtets fuͤr an- „ſtaͤndig gehalten; wobey ich ihr ſagte, daß Anſtaͤndigkeit nicht ſo viel in der Geſtalt als Schoͤnheit verlieren koͤnnte, und bleiben wuͤrde, wenn jene laͤngſt verwelcket waͤre. Hierauf kehrte ſie ſich wieder zum Spiegel, „und be- „merckte, daß ihre Geſichts-Zuͤge und ihre Au- „gen nicht eben die ſchlimmſten waͤren, (ich er- innere mich, daß ſie eben damahls ungewoͤhnlich hell waren) „kurtz: Es waͤre nichts zu tadeln, „obgleich auch nichts ſehr reitzendes an ihr zu fin- „den waͤre. Sie war zweifelhafft: iſt was an „mir auszuſetzen Claͤrgen?
Vergeben Sie mir, mein Hertz, ich habe nie vorhin ſo umſtaͤndlich alle Kleinigkeiten geſchrie- ben, auch ſelbſt nicht an Sie. Jetzt wuͤrde ich eben ſo wenig eine ſo freye Beſchreibung von der Auffuͤhrung meiner Schweſter machen, wañ Sie ſich nicht gegen meinen Bruder ruͤhmte, daß Herr Lovelace niemahls das Gluͤck gehabt habe, ihr zu gefallen. Ueber dieſes befehlen Sie, daß ich auch Kleinigkeiten in meine Beſchreibung mit ein- flieſſen laſſen ſoll, und vergoͤnnen mir nicht die Miene und die Art zu verſchweigen, womit eine Sache die Nachdencken erwecken kan geſprochen iſt: und in der That iſt Jhre Anmerckung richtig, daß die Mienen unſere Gemuͤths-Faſſung oͤffters beſſer ausdrucken, als die Worte ſelbſt.
Jch wuͤnſchte ihr Gluͤck zu ihrer Hoffnung. Sie nahm meinen Gluͤckwunſch an, und ſchien mit ſich ſelbſt ſehr wohl vergnuͤgt zu ſeyn.
Der
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der Clariſſa.
„wuͤrde: man habe ihre Geſtalt ſtets fuͤr an-
„ſtaͤndig gehalten; wobey ich ihr ſagte, daß
Anſtaͤndigkeit nicht ſo viel in der Geſtalt als
Schoͤnheit verlieren koͤnnte, und bleiben wuͤrde,
wenn jene laͤngſt verwelcket waͤre. Hierauf
kehrte ſie ſich wieder zum Spiegel, „und be-
„merckte, daß ihre Geſichts-Zuͤge und ihre Au-
„gen nicht eben die ſchlimmſten waͤren, (ich er-
innere mich, daß ſie eben damahls ungewoͤhnlich
hell waren) „kurtz: Es waͤre nichts zu tadeln,
„obgleich auch nichts ſehr reitzendes an ihr zu fin-
„den waͤre. Sie war zweifelhafft: iſt was an
„mir auszuſetzen Claͤrgen?
Vergeben Sie mir, mein Hertz, ich habe nie
vorhin ſo umſtaͤndlich alle Kleinigkeiten geſchrie-
ben, auch ſelbſt nicht an Sie. Jetzt wuͤrde ich
eben ſo wenig eine ſo freye Beſchreibung von der
Auffuͤhrung meiner Schweſter machen, wañ Sie
ſich nicht gegen meinen Bruder ruͤhmte, daß Herr
Lovelace niemahls das Gluͤck gehabt habe, ihr
zu gefallen. Ueber dieſes befehlen Sie, daß ich
auch Kleinigkeiten in meine Beſchreibung mit ein-
flieſſen laſſen ſoll, und vergoͤnnen mir nicht die
Miene und die Art zu verſchweigen, womit eine
Sache die Nachdencken erwecken kan geſprochen
iſt: und in der That iſt Jhre Anmerckung richtig,
daß die Mienen unſere Gemuͤths-Faſſung oͤffters
beſſer ausdrucken, als die Worte ſelbſt.
Jch wuͤnſchte ihr Gluͤck zu ihrer Hoffnung.
Sie nahm meinen Gluͤckwunſch an, und ſchien
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/31>, abgerufen am 17.02.2025.
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