Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
halten, und sie besuchen, wenn sie es verdieneten.
Wenn aber mein Bruder und meine Schwester
vornehm thäten, so wolte ich sie mercken lassen,
daß ich ihre Schwester und nicht ihre Magd sey.
Wenn sie sich nicht besserten, so wolte ich ihnen
mein Thor zuschliessen, und ihnen zu verstehen
geben, sie möchten sich untereinander die Zeit
vertreiben.

Das muß ich gestehen, daß das enge Hertz Jh-
res Bruders und Jhrer Schwester Ursache finden
muß, Jhnen übel zu begegnen, wenn es sei-
ner Natur gemäß handeln soll. Ohne an die
verschmähete Liebe Jhrer Schwester, und an den
Geitz Jhres Bruders zu gedencken, so muß ihnen
dieses schon eine grosse Kränckung gewesen seyn,
daß sie von einer jüngern Schwester so sehr über-
troffen werden. Wie werden solche Nacht-Fa-
ckeln bey einer solchen Sonne verdunckelt! und
wie kan ihnen dieses erträglich seyn? die Jhrigen
müssen Sie als eine Mis-Geburt in ihrer Fami-
lie ansehen, die sie bewundern aber nicht lieben
können, so sehr sind Sie ihnen aus der Art ge-
schlagen. Der Unterscheid ist unermeßlich. Mit
Verdruß mit Schmertzen der Augen müssen sie
Sie ansehen. Jhre vollkommenen Vorzüge, die
dem vollen Tage gleich sind, setzen jene in allzu-
grossen Schatten. Können wir uns denn wol
darüber verwundern, daß jene die erste die beste
Gelegenheit ergriffen haben, Sie herunter zu
setzen, damit Sie ihnen etwas ähnlicher werden
möchten.

Glau-

Die Geſchichte
halten, und ſie beſuchen, wenn ſie es verdieneten.
Wenn aber mein Bruder und meine Schweſter
vornehm thaͤten, ſo wolte ich ſie mercken laſſen,
daß ich ihre Schweſter und nicht ihre Magd ſey.
Wenn ſie ſich nicht beſſerten, ſo wolte ich ihnen
mein Thor zuſchlieſſen, und ihnen zu verſtehen
geben, ſie moͤchten ſich untereinander die Zeit
vertreiben.

Das muß ich geſtehen, daß das enge Hertz Jh-
res Bruders und Jhrer Schweſter Urſache finden
muß, Jhnen uͤbel zu begegnen, wenn es ſei-
ner Natur gemaͤß handeln ſoll. Ohne an die
verſchmaͤhete Liebe Jhrer Schweſter, und an den
Geitz Jhres Bruders zu gedencken, ſo muß ihnen
dieſes ſchon eine groſſe Kraͤnckung geweſen ſeyn,
daß ſie von einer juͤngern Schweſter ſo ſehr uͤber-
troffen werden. Wie werden ſolche Nacht-Fa-
ckeln bey einer ſolchen Sonne verdunckelt! und
wie kan ihnen dieſes ertraͤglich ſeyn? die Jhrigen
muͤſſen Sie als eine Mis-Geburt in ihrer Fami-
lie anſehen, die ſie bewundern aber nicht lieben
koͤnnen, ſo ſehr ſind Sie ihnen aus der Art ge-
ſchlagen. Der Unterſcheid iſt unermeßlich. Mit
Verdruß mit Schmertzen der Augen muͤſſen ſie
Sie anſehen. Jhre vollkommenen Vorzuͤge, die
dem vollen Tage gleich ſind, ſetzen jene in allzu-
groſſen Schatten. Koͤnnen wir uns denn wol
daruͤber verwundern, daß jene die erſte die beſte
Gelegenheit ergriffen haben, Sie herunter zu
ſetzen, damit Sie ihnen etwas aͤhnlicher werden
moͤchten.

Glau-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="282"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
halten, und &#x017F;ie be&#x017F;uchen, wenn &#x017F;ie es verdieneten.<lb/>
Wenn aber mein Bruder und meine Schwe&#x017F;ter<lb/>
vornehm tha&#x0364;ten, &#x017F;o wolte ich &#x017F;ie mercken la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß ich ihre Schwe&#x017F;ter und nicht ihre Magd &#x017F;ey.<lb/>
Wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nicht be&#x017F;&#x017F;erten, &#x017F;o wolte ich ihnen<lb/>
mein Thor zu&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, und ihnen zu ver&#x017F;tehen<lb/>
geben, &#x017F;ie mo&#x0364;chten &#x017F;ich untereinander die Zeit<lb/>
vertreiben.</p><lb/>
          <p>Das muß ich ge&#x017F;tehen, daß das enge Hertz Jh-<lb/>
res Bruders und Jhrer Schwe&#x017F;ter Ur&#x017F;ache finden<lb/>
muß, Jhnen u&#x0364;bel zu begegnen, wenn es &#x017F;ei-<lb/>
ner Natur gema&#x0364;ß handeln &#x017F;oll. Ohne an die<lb/>
ver&#x017F;chma&#x0364;hete Liebe Jhrer Schwe&#x017F;ter, und an den<lb/>
Geitz Jhres Bruders zu gedencken, &#x017F;o muß ihnen<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;chon eine gro&#x017F;&#x017F;e Kra&#x0364;nckung gewe&#x017F;en &#x017F;eyn,<lb/>
daß &#x017F;ie von einer ju&#x0364;ngern Schwe&#x017F;ter &#x017F;o &#x017F;ehr u&#x0364;ber-<lb/>
troffen werden. Wie werden &#x017F;olche Nacht-Fa-<lb/>
ckeln bey einer &#x017F;olchen Sonne verdunckelt! und<lb/>
wie kan ihnen die&#x017F;es ertra&#x0364;glich &#x017F;eyn? die Jhrigen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie als eine Mis-Geburt in ihrer Fami-<lb/>
lie an&#x017F;ehen, die &#x017F;ie bewundern aber nicht lieben<lb/>
ko&#x0364;nnen, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ind Sie ihnen aus der Art ge-<lb/>
&#x017F;chlagen. Der Unter&#x017F;cheid i&#x017F;t unermeßlich. Mit<lb/>
Verdruß mit Schmertzen der Augen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
Sie an&#x017F;ehen. Jhre vollkommenen Vorzu&#x0364;ge, die<lb/>
dem vollen Tage gleich &#x017F;ind, &#x017F;etzen jene in allzu-<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Schatten. Ko&#x0364;nnen wir uns denn wol<lb/>
daru&#x0364;ber verwundern, daß jene die er&#x017F;te die be&#x017F;te<lb/>
Gelegenheit ergriffen haben, Sie herunter zu<lb/>
&#x017F;etzen, damit Sie ihnen etwas a&#x0364;hnlicher werden<lb/>
mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Glau-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0302] Die Geſchichte halten, und ſie beſuchen, wenn ſie es verdieneten. Wenn aber mein Bruder und meine Schweſter vornehm thaͤten, ſo wolte ich ſie mercken laſſen, daß ich ihre Schweſter und nicht ihre Magd ſey. Wenn ſie ſich nicht beſſerten, ſo wolte ich ihnen mein Thor zuſchlieſſen, und ihnen zu verſtehen geben, ſie moͤchten ſich untereinander die Zeit vertreiben. Das muß ich geſtehen, daß das enge Hertz Jh- res Bruders und Jhrer Schweſter Urſache finden muß, Jhnen uͤbel zu begegnen, wenn es ſei- ner Natur gemaͤß handeln ſoll. Ohne an die verſchmaͤhete Liebe Jhrer Schweſter, und an den Geitz Jhres Bruders zu gedencken, ſo muß ihnen dieſes ſchon eine groſſe Kraͤnckung geweſen ſeyn, daß ſie von einer juͤngern Schweſter ſo ſehr uͤber- troffen werden. Wie werden ſolche Nacht-Fa- ckeln bey einer ſolchen Sonne verdunckelt! und wie kan ihnen dieſes ertraͤglich ſeyn? die Jhrigen muͤſſen Sie als eine Mis-Geburt in ihrer Fami- lie anſehen, die ſie bewundern aber nicht lieben koͤnnen, ſo ſehr ſind Sie ihnen aus der Art ge- ſchlagen. Der Unterſcheid iſt unermeßlich. Mit Verdruß mit Schmertzen der Augen muͤſſen ſie Sie anſehen. Jhre vollkommenen Vorzuͤge, die dem vollen Tage gleich ſind, ſetzen jene in allzu- groſſen Schatten. Koͤnnen wir uns denn wol daruͤber verwundern, daß jene die erſte die beſte Gelegenheit ergriffen haben, Sie herunter zu ſetzen, damit Sie ihnen etwas aͤhnlicher werden moͤchten. Glau-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/302
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/302>, abgerufen am 25.11.2024.