"was Kinder sind: sie haben selbst keine gehabt,) "daß man ein Kind verlohren geben müsse, das "in Heyraths-Sachen seinen Eltern nicht folget.
"Jch befehle dir, laß diesen Brief in nieman- "des Händen kommen. Verbrenne ihn. Es "ist gar zu viel vom Mutter-Hertzen darin, ob- "gleich die Tochter so wenig kindlichen Gehorsam "übet. Schreibe keinen neuen Brief an mich: "denn ich kan doch nichts zu deiner Erleichte- "rung thun; alles, was dazu gereichen kan, ste- "het in deiner eigenen Gewalt.
Nun will ich meine betrübte Erzählung fortse- tzen. Sie werden glauben, daß mir dieser Brief wenig Hoffnung übrig gelassen hat, unmittelbar von meinem Vater etwas zu erhalten. Jch hielt es aber dennoch für meine Schuldigkeit, an ihn zu schreiben, wenn es auch nur deswegen seyn sol- te, damit ich mir künftig nicht vorzuwerfen hät- te, daß ein Mittel zu meiner Aussöhnung ver- säumet wäre. Jch schrieb demnach also an ihn:
"Jch unterstünde mich nicht meinem Vater zu "widersprechen, ich bäte nur um Erbarmen und "Verschonen in diesem eintzigen Stücke, von wel- "chem alle meine jetzige und vielleicht meine künf- "tige Glückseeligkeit abhinge. Jch ersuche ihn, "daß er sein Kind nicht wegen einer unüberwind- "lichen Abneigung verstossen möge; und daß er "mich nicht wegen gewisser sehr entfernten Ab- "sichten, die noch auf manche ungewisse Fälle "ankämen, aufopfern wolte. Jch beklage mich dar-
über,
Die Geſchichte
„was Kinder ſind: ſie haben ſelbſt keine gehabt,) „daß man ein Kind verlohren geben muͤſſe, das „in Heyraths-Sachen ſeinen Eltern nicht folget.
„Jch befehle dir, laß dieſen Brief in nieman- „des Haͤnden kommen. Verbrenne ihn. Es „iſt gar zu viel vom Mutter-Hertzen darin, ob- „gleich die Tochter ſo wenig kindlichen Gehorſam „uͤbet. Schreibe keinen neuen Brief an mich: „denn ich kan doch nichts zu deiner Erleichte- „rung thun; alles, was dazu gereichen kan, ſte- „het in deiner eigenen Gewalt.
Nun will ich meine betruͤbte Erzaͤhlung fortſe- tzen. Sie werden glauben, daß mir dieſer Brief wenig Hoffnung uͤbrig gelaſſen hat, unmittelbar von meinem Vater etwas zu erhalten. Jch hielt es aber dennoch fuͤr meine Schuldigkeit, an ihn zu ſchreiben, wenn es auch nur deswegen ſeyn ſol- te, damit ich mir kuͤnftig nicht vorzuwerfen haͤt- te, daß ein Mittel zu meiner Ausſoͤhnung ver- ſaͤumet waͤre. Jch ſchrieb demnach alſo an ihn:
„Jch unterſtuͤnde mich nicht meinem Vater zu „widerſprechen, ich baͤte nur um Erbarmen und „Verſchonen in dieſem eintzigen Stuͤcke, von wel- „chem alle meine jetzige und vielleicht meine kuͤnf- „tige Gluͤckſeeligkeit abhinge. Jch erſuche ihn, „daß er ſein Kind nicht wegen einer unuͤberwind- „lichen Abneigung verſtoſſen moͤge; und daß er „mich nicht wegen gewiſſer ſehr entfernten Ab- „ſichten, die noch auf manche ungewiſſe Faͤlle „ankaͤmen, aufopfern wolte. Jch beklage mich dar-
uͤber,
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Die Geſchichte
„was Kinder ſind: ſie haben ſelbſt keine gehabt,)
„daß man ein Kind verlohren geben muͤſſe, das
„in Heyraths-Sachen ſeinen Eltern nicht folget.
„Jch befehle dir, laß dieſen Brief in nieman-
„des Haͤnden kommen. Verbrenne ihn. Es
„iſt gar zu viel vom Mutter-Hertzen darin, ob-
„gleich die Tochter ſo wenig kindlichen Gehorſam
„uͤbet. Schreibe keinen neuen Brief an mich:
„denn ich kan doch nichts zu deiner Erleichte-
„rung thun; alles, was dazu gereichen kan, ſte-
„het in deiner eigenen Gewalt.
Nun will ich meine betruͤbte Erzaͤhlung fortſe-
tzen. Sie werden glauben, daß mir dieſer Brief
wenig Hoffnung uͤbrig gelaſſen hat, unmittelbar
von meinem Vater etwas zu erhalten. Jch hielt
es aber dennoch fuͤr meine Schuldigkeit, an ihn
zu ſchreiben, wenn es auch nur deswegen ſeyn ſol-
te, damit ich mir kuͤnftig nicht vorzuwerfen haͤt-
te, daß ein Mittel zu meiner Ausſoͤhnung ver-
ſaͤumet waͤre. Jch ſchrieb demnach alſo an
ihn:
„Jch unterſtuͤnde mich nicht meinem Vater zu
„widerſprechen, ich baͤte nur um Erbarmen und
„Verſchonen in dieſem eintzigen Stuͤcke, von wel-
„chem alle meine jetzige und vielleicht meine kuͤnf-
„tige Gluͤckſeeligkeit abhinge. Jch erſuche ihn,
„daß er ſein Kind nicht wegen einer unuͤberwind-
„lichen Abneigung verſtoſſen moͤge; und daß er
„mich nicht wegen gewiſſer ſehr entfernten Ab-
„ſichten, die noch auf manche ungewiſſe Faͤlle
„ankaͤmen, aufopfern wolte. Jch beklage mich dar-
uͤber,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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