gegen Herrn Lovelace melden ist mir nicht so neu, daß es mich in Verwunderung setzen könte. Sie giebt sich so viel Mühe, andere zu bereden, daß er ihr niemals gefallen hätte, und niemals gefal- len könte, daß man eben hiedurch auf einen Verdacht kommen muß. Niemals erzählt sie ihren Abschied von ihm, und daß sie ihm ab- schlägige Antwort gegeben, ohne die Farbe zu verändern, und ohne einen höhnischen Blick auf mich zu werfen. Die hochmüthige Geberde, die sie annimt, ist mit einen unruhigen Zorn ver- mischet: und beyde Leydenschaften, die aus ihren Augen brechen, scheinen anzuzeigen, daß sie ei- nem Freyer abschlägige Antwort gegeben hat, den sie eines Ja-Worts würdig schätzet. Was hätte sie sonst für Ursach, böse zu werden, oder groß zu thun? Die arme Arabella! Man muß Mit- leiden mit ihr haben. Zuneigung und Abneigung bleiben beyde bey ihr in keinen Schrancken. Jch wollte ihr von Hertzen gönnen daß alle ihre Wün- sche erfüllet wären.
Was meinen ehemaligen Entschluß anlanget, die Verwaltung meines Gutes meinem Vater zu übergeben, so wissen Sie, daß an den Gründen, die mich hiezu bewogen, nichts auszusetzen war. Jhr Rath, das Gegentheil dessen zu thun, was ich gethan habe, gründete sich so viel ich mich er- innern kan, auf Jhre gute Meinung von mir, in- dem Sie glaubten, ich würde von meiner unge- bundenen Freyheit keinen tadelhaften Gebrauch machen: denn keine von uns beyden konte da-
mals
Die Geſchichte
gegen Herrn Lovelace melden iſt mir nicht ſo neu, daß es mich in Verwunderung ſetzen koͤnte. Sie giebt ſich ſo viel Muͤhe, andere zu bereden, daß er ihr niemals gefallen haͤtte, und niemals gefal- len koͤnte, daß man eben hiedurch auf einen Verdacht kommen muß. Niemals erzaͤhlt ſie ihren Abſchied von ihm, und daß ſie ihm ab- ſchlaͤgige Antwort gegeben, ohne die Farbe zu veraͤndern, und ohne einen hoͤhniſchen Blick auf mich zu werfen. Die hochmuͤthige Geberde, die ſie annimt, iſt mit einen unruhigen Zorn ver- miſchet: und beyde Leydenſchaften, die aus ihren Augen brechen, ſcheinen anzuzeigen, daß ſie ei- nem Freyer abſchlaͤgige Antwort gegeben hat, den ſie eines Ja-Worts wuͤrdig ſchaͤtzet. Was haͤtte ſie ſonſt fuͤr Urſach, boͤſe zu werden, oder groß zu thun? Die arme Arabella! Man muß Mit- leiden mit ihr haben. Zuneigung und Abneigung bleiben beyde bey ihr in keinen Schrancken. Jch wollte ihr von Hertzen goͤnnen daß alle ihre Wuͤn- ſche erfuͤllet waͤren.
Was meinen ehemaligen Entſchluß anlanget, die Verwaltung meines Gutes meinem Vater zu uͤbergeben, ſo wiſſen Sie, daß an den Gruͤnden, die mich hiezu bewogen, nichts auszuſetzen war. Jhr Rath, das Gegentheil deſſen zu thun, was ich gethan habe, gruͤndete ſich ſo viel ich mich er- innern kan, auf Jhre gute Meinung von mir, in- dem Sie glaubten, ich wuͤrde von meiner unge- bundenen Freyheit keinen tadelhaften Gebrauch machen: denn keine von uns beyden konte da-
mals
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Die Geſchichte
gegen Herrn Lovelace melden iſt mir nicht ſo neu,
daß es mich in Verwunderung ſetzen koͤnte. Sie
giebt ſich ſo viel Muͤhe, andere zu bereden, daß er
ihr niemals gefallen haͤtte, und niemals gefal-
len koͤnte, daß man eben hiedurch auf einen
Verdacht kommen muß. Niemals erzaͤhlt ſie
ihren Abſchied von ihm, und daß ſie ihm ab-
ſchlaͤgige Antwort gegeben, ohne die Farbe zu
veraͤndern, und ohne einen hoͤhniſchen Blick auf
mich zu werfen. Die hochmuͤthige Geberde,
die ſie annimt, iſt mit einen unruhigen Zorn ver-
miſchet: und beyde Leydenſchaften, die aus ihren
Augen brechen, ſcheinen anzuzeigen, daß ſie ei-
nem Freyer abſchlaͤgige Antwort gegeben hat, den
ſie eines Ja-Worts wuͤrdig ſchaͤtzet. Was haͤtte
ſie ſonſt fuͤr Urſach, boͤſe zu werden, oder groß
zu thun? Die arme Arabella! Man muß Mit-
leiden mit ihr haben. Zuneigung und Abneigung
bleiben beyde bey ihr in keinen Schrancken. Jch
wollte ihr von Hertzen goͤnnen daß alle ihre Wuͤn-
ſche erfuͤllet waͤren.
Was meinen ehemaligen Entſchluß anlanget,
die Verwaltung meines Gutes meinem Vater zu
uͤbergeben, ſo wiſſen Sie, daß an den Gruͤnden,
die mich hiezu bewogen, nichts auszuſetzen war.
Jhr Rath, das Gegentheil deſſen zu thun, was
ich gethan habe, gruͤndete ſich ſo viel ich mich er-
innern kan, auf Jhre gute Meinung von mir, in-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/226>, abgerufen am 16.02.2025.
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