"Jch will dir ein Wort sagen, Clärchen. "Allein wenn ich nicht an deinem guten Gemü- "the zweiffeln soll, so mnst du es weder in dei- "nem Hertzen noch in deinen Reden gegen mich "gebrauchen. Es hat mir so wohl gefallen, daß "du den Schlüssel mir auf eine so zuversichtliche "Weise gegeben hast, und daß ich dich in dei- "nen Briefen so verständig und behutsam finde, "daß ich gern die gantze Sache deinem eignen "Gutbefinden anheim stellen, und mir nur die "Freyheit vorbehalten wollte, künfftig deine "Briefe zu sehen und das nöthige dabey zu er- "innern, unter der Bedingung, daß der Brief- "Wechsel gantz aufhörte, so bald es thunlich "seyn wird: wenn ich es nur dahin bringen "könnte, daß die übrigen im Hause, oder we- "nigstens dein Vater mit mir hierin einerley "Meinung wären. Aber da ich dieses nicht er- "halten kan, und zum voraus weiß, daß dein "Vater alle Geduld verlieren würde, wenn es "herauskäme, daß du noch nach geschehenem "Verbot mit Herrn Lovelace Briefe gewech- "selt hast, oder sie gar noch ferner wechseltest: "so verbiete ich dir das Schreiben gantz und gar. "Da aber die Frage so schwer und verworren "ist, so wünsche ich von dir selbst einen guten "Vorschlag zu hören; weil, wie du sagest, dein "Hertz ungebunden ist, und du selbst bekennest, du "köntest bey diesen Umständen nicht glauben, "daß die Verbindung mit einem Menschen, der "uns alle so empfindlich beleidiget hat, geziemend
"sey.
N 2
der Clariſſa.
„Jch will dir ein Wort ſagen, Claͤrchen. „Allein wenn ich nicht an deinem guten Gemuͤ- „the zweiffeln ſoll, ſo mnſt du es weder in dei- „nem Hertzen noch in deinen Reden gegen mich „gebrauchen. Es hat mir ſo wohl gefallen, daß „du den Schluͤſſel mir auf eine ſo zuverſichtliche „Weiſe gegeben haſt, und daß ich dich in dei- „nen Briefen ſo verſtaͤndig und behutſam finde, „daß ich gern die gantze Sache deinem eignen „Gutbefinden anheim ſtellen, und mir nur die „Freyheit vorbehalten wollte, kuͤnfftig deine „Briefe zu ſehen und das noͤthige dabey zu er- „innern, unter der Bedingung, daß der Brief- „Wechſel gantz aufhoͤrte, ſo bald es thunlich „ſeyn wird: wenn ich es nur dahin bringen „koͤnnte, daß die uͤbrigen im Hauſe, oder we- „nigſtens dein Vater mit mir hierin einerley „Meinung waͤren. Aber da ich dieſes nicht er- „halten kan, und zum voraus weiß, daß dein „Vater alle Geduld verlieren wuͤrde, wenn es „herauskaͤme, daß du noch nach geſchehenem „Verbot mit Herrn Lovelace Briefe gewech- „ſelt haſt, oder ſie gar noch ferner wechſelteſt: „ſo verbiete ich dir das Schreiben gantz und gar. „Da aber die Frage ſo ſchwer und verworren „iſt, ſo wuͤnſche ich von dir ſelbſt einen guten „Vorſchlag zu hoͤren; weil, wie du ſageſt, dein „Hertz ungebunden iſt, und du ſelbſt bekenneſt, du „koͤnteſt bey dieſen Umſtaͤnden nicht glauben, „daß die Verbindung mit einem Menſchen, der „uns alle ſo empfindlich beleidiget hat, geziemend
„ſey.
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der Clariſſa.
„Jch will dir ein Wort ſagen, Claͤrchen.
„Allein wenn ich nicht an deinem guten Gemuͤ-
„the zweiffeln ſoll, ſo mnſt du es weder in dei-
„nem Hertzen noch in deinen Reden gegen mich
„gebrauchen. Es hat mir ſo wohl gefallen, daß
„du den Schluͤſſel mir auf eine ſo zuverſichtliche
„Weiſe gegeben haſt, und daß ich dich in dei-
„nen Briefen ſo verſtaͤndig und behutſam finde,
„daß ich gern die gantze Sache deinem eignen
„Gutbefinden anheim ſtellen, und mir nur die
„Freyheit vorbehalten wollte, kuͤnfftig deine
„Briefe zu ſehen und das noͤthige dabey zu er-
„innern, unter der Bedingung, daß der Brief-
„Wechſel gantz aufhoͤrte, ſo bald es thunlich
„ſeyn wird: wenn ich es nur dahin bringen
„koͤnnte, daß die uͤbrigen im Hauſe, oder we-
„nigſtens dein Vater mit mir hierin einerley
„Meinung waͤren. Aber da ich dieſes nicht er-
„halten kan, und zum voraus weiß, daß dein
„Vater alle Geduld verlieren wuͤrde, wenn es
„herauskaͤme, daß du noch nach geſchehenem
„Verbot mit Herrn Lovelace Briefe gewech-
„ſelt haſt, oder ſie gar noch ferner wechſelteſt:
„ſo verbiete ich dir das Schreiben gantz und gar.
„Da aber die Frage ſo ſchwer und verworren
„iſt, ſo wuͤnſche ich von dir ſelbſt einen guten
„Vorſchlag zu hoͤren; weil, wie du ſageſt, dein
„Hertz ungebunden iſt, und du ſelbſt bekenneſt, du
„koͤnteſt bey dieſen Umſtaͤnden nicht glauben,
„daß die Verbindung mit einem Menſchen, der
„uns alle ſo empfindlich beleidiget hat, geziemend
„ſey.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/215>, abgerufen am 23.11.2024.
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