Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
Schade daraus entstehen würde. Jch seuffzete
und weinete, ohne ein Wort zu reden. Sie sag-
te: "Clärchen, soll ich deinem Vater sagen, daß
"dieses Verbot in der That so überflüßig sey, als
"ich es gleich Anfangs gehalten hätte? daß du
"deine Pflicht wissest, und dich seinem Willen
"nicht widersetzen wilst? Was sagt mein liebes
"Kind hierzu?

Was kan ich, sagte ich, "auf so gütige
"Fragen antworten? Jch weiß meine Pflicht,
"und niemand kan williger seyn als ich, sie zu
"beobachten. Allein nehmen sie mir nicht übel,
"wenn ich lieber mich auf noch längere Zeit dem
"Verbot unterwerfen als es so theuer abkauf-
"fen will."

Meine Mutter nennete mich hierauf ein eigen-
sinniges und verkehrtes Mädchen: und nachdem
sie zwey oder dreymal in der Stube auf und nie-
der gegangen war, sagte sie: "dein Hertz wäre
"ungebunden, Clärchen! Wie kanst du mir
"daß weiß machen wollen? Eine so ungewöhn-
"lich starcke Abneigung von einer Person kan
"keine andere Quelle haben, als eine eben so star-
"cke Zuneigung gegen eine andere Person. Sage
"mir Clärchen, und sage mir aufrichtig, ob
"du noch mit Hn. Lovelace Briefe wechselst?

Jch antwortete: "allerliebste Mutter, sie
"wissen ja, was mich dazu gezwungen hat. Jch
"beantwortete seine Briefe um grösseres Unglück
"zu verhüten: und unsere Besorgniß ist ja noch
"nicht vorüber.

Jn

der Clariſſa.
Schade daraus entſtehen wuͤrde. Jch ſeuffzete
und weinete, ohne ein Wort zu reden. Sie ſag-
te: „Claͤrchen, ſoll ich deinem Vater ſagen, daß
„dieſes Verbot in der That ſo uͤberfluͤßig ſey, als
„ich es gleich Anfangs gehalten haͤtte? daß du
„deine Pflicht wiſſeſt, und dich ſeinem Willen
„nicht widerſetzen wilſt? Was ſagt mein liebes
„Kind hierzu?

Was kan ich, ſagte ich, „auf ſo guͤtige
„Fragen antworten? Jch weiß meine Pflicht,
„und niemand kan williger ſeyn als ich, ſie zu
„beobachten. Allein nehmen ſie mir nicht uͤbel,
„wenn ich lieber mich auf noch laͤngere Zeit dem
„Verbot unterwerfen als es ſo theuer abkauf-
„fen will.„

Meine Mutter nennete mich hierauf ein eigen-
ſinniges und verkehrtes Maͤdchen: und nachdem
ſie zwey oder dreymal in der Stube auf und nie-
der gegangen war, ſagte ſie: „dein Hertz waͤre
„ungebunden, Claͤrchen! Wie kanſt du mir
„daß weiß machen wollen? Eine ſo ungewoͤhn-
„lich ſtarcke Abneigung von einer Perſon kan
„keine andere Quelle haben, als eine eben ſo ſtar-
„cke Zuneigung gegen eine andere Perſon. Sage
„mir Claͤrchen, und ſage mir aufrichtig, ob
„du noch mit Hn. Lovelace Briefe wechſelſt?

Jch antwortete: „allerliebſte Mutter, ſie
„wiſſen ja, was mich dazu gezwungen hat. Jch
„beantwortete ſeine Briefe um groͤſſeres Ungluͤck
„zu verhuͤten: und unſere Beſorgniß iſt ja noch
„nicht voruͤber.

Jn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0207" n="187"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
Schade daraus ent&#x017F;tehen wu&#x0364;rde. Jch &#x017F;euffzete<lb/>
und weinete, ohne ein Wort zu reden. Sie &#x017F;ag-<lb/>
te: &#x201E;<hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen,</hi> &#x017F;oll ich deinem Vater &#x017F;agen, daß<lb/>
&#x201E;die&#x017F;es Verbot in der That &#x017F;o u&#x0364;berflu&#x0364;ßig &#x017F;ey, als<lb/>
&#x201E;ich es gleich Anfangs gehalten ha&#x0364;tte? daß du<lb/>
&#x201E;deine Pflicht wi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, und dich &#x017F;einem Willen<lb/>
&#x201E;nicht wider&#x017F;etzen wil&#x017F;t? Was &#x017F;agt mein liebes<lb/>
&#x201E;Kind hierzu?</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Was kan ich,</hi> &#x017F;agte ich, &#x201E;auf &#x017F;o gu&#x0364;tige<lb/>
&#x201E;Fragen antworten? Jch weiß meine Pflicht,<lb/>
&#x201E;und niemand kan williger &#x017F;eyn als ich, &#x017F;ie zu<lb/>
&#x201E;beobachten. Allein nehmen &#x017F;ie mir nicht u&#x0364;bel,<lb/>
&#x201E;wenn ich lieber mich auf noch la&#x0364;ngere Zeit dem<lb/>
&#x201E;Verbot unterwerfen als es &#x017F;o theuer abkauf-<lb/>
&#x201E;fen will.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Meine Mutter nennete mich hierauf ein eigen-<lb/>
&#x017F;inniges und verkehrtes Ma&#x0364;dchen: und nachdem<lb/>
&#x017F;ie zwey oder dreymal in der Stube auf und nie-<lb/>
der gegangen war, &#x017F;agte &#x017F;ie: &#x201E;dein Hertz wa&#x0364;re<lb/>
&#x201E;ungebunden, <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen!</hi> Wie kan&#x017F;t du mir<lb/>
&#x201E;daß weiß machen wollen? Eine &#x017F;o ungewo&#x0364;hn-<lb/>
&#x201E;lich &#x017F;tarcke Abneigung von einer Per&#x017F;on kan<lb/>
&#x201E;keine andere Quelle haben, als eine eben &#x017F;o &#x017F;tar-<lb/>
&#x201E;cke Zuneigung gegen eine andere Per&#x017F;on. Sage<lb/>
&#x201E;mir <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen,</hi> und &#x017F;age mir aufrichtig, ob<lb/>
&#x201E;du noch mit Hn. <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> Briefe wech&#x017F;el&#x017F;t?</p><lb/>
        <p>Jch antwortete: &#x201E;allerlieb&#x017F;te Mutter, &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;wi&#x017F;&#x017F;en ja, was mich dazu gezwungen hat. Jch<lb/>
&#x201E;beantwortete &#x017F;eine Briefe um gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;eres Unglu&#x0364;ck<lb/>
&#x201E;zu verhu&#x0364;ten: und un&#x017F;ere Be&#x017F;orgniß i&#x017F;t ja noch<lb/>
&#x201E;nicht voru&#x0364;ber.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0207] der Clariſſa. Schade daraus entſtehen wuͤrde. Jch ſeuffzete und weinete, ohne ein Wort zu reden. Sie ſag- te: „Claͤrchen, ſoll ich deinem Vater ſagen, daß „dieſes Verbot in der That ſo uͤberfluͤßig ſey, als „ich es gleich Anfangs gehalten haͤtte? daß du „deine Pflicht wiſſeſt, und dich ſeinem Willen „nicht widerſetzen wilſt? Was ſagt mein liebes „Kind hierzu? Was kan ich, ſagte ich, „auf ſo guͤtige „Fragen antworten? Jch weiß meine Pflicht, „und niemand kan williger ſeyn als ich, ſie zu „beobachten. Allein nehmen ſie mir nicht uͤbel, „wenn ich lieber mich auf noch laͤngere Zeit dem „Verbot unterwerfen als es ſo theuer abkauf- „fen will.„ Meine Mutter nennete mich hierauf ein eigen- ſinniges und verkehrtes Maͤdchen: und nachdem ſie zwey oder dreymal in der Stube auf und nie- der gegangen war, ſagte ſie: „dein Hertz waͤre „ungebunden, Claͤrchen! Wie kanſt du mir „daß weiß machen wollen? Eine ſo ungewoͤhn- „lich ſtarcke Abneigung von einer Perſon kan „keine andere Quelle haben, als eine eben ſo ſtar- „cke Zuneigung gegen eine andere Perſon. Sage „mir Claͤrchen, und ſage mir aufrichtig, ob „du noch mit Hn. Lovelace Briefe wechſelſt? Jch antwortete: „allerliebſte Mutter, ſie „wiſſen ja, was mich dazu gezwungen hat. Jch „beantwortete ſeine Briefe um groͤſſeres Ungluͤck „zu verhuͤten: und unſere Beſorgniß iſt ja noch „nicht voruͤber. Jn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/207
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/207>, abgerufen am 22.11.2024.