ging weg. Allein in der Thür blieb sie noch stehen, und kehrte sich mit den Worten um: ich will drun- ten nicht erzehlen, in was für einer Gemüths-Fas- sung ich dich verlassen habe. Ueberlege alles wohl. Die Sache ist einmal beschlossen. Wenn du dei- nes Vaters und deiner Mutter Segen und das Vergnügen der gantzen Familie hochschätzest, so gib nach. ich lasse dich auf einige Augenblick al- lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich dich so finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn dein Hertz frey von Liebe ist, so laß es durch Gehor- sam regiert werden.
Nach einer halben Stunde kam meine Mutter wieder. Sie faßte mich an die Hand, und sagte: "ist es mir bescheert, daß ich mich immer selbst "wegen meiner Fehler bestrafen muß? Jch fürch- "te, daß ich mir durch die Art, mit der ich mei- "nen Vortrag anbrachte, selbst deine abschlägige "Antwort zugezogen habe. Jch fing so an mit "dir zu reden, als wenn ich eine abschlägige Ant- "wort befürchtete, und durch diese Gelindigkeit "habe ich dich dreiste gemacht, sie mir zu geben.
"Sagen sie das nicht, wertheste Mutter!"
Sie fuhrt fort: "wenn ich selbst die Gelegen- "heit zu unserm Streit gegeben hätte; ja wenn "es nur in meiner Macht stünde, nachzugeben: "so weist du wohl, wie viel du bey mir ausrich- "ten kanst. - -"
Was meynen Sie, liebste Fräulein Howe/ kan man Lust zum heyrathen bekommen, wenn man gewahr wird, daß ein so artiges und edles
Gemüth
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der Clariſſa.
ging weg. Allein in der Thuͤr blieb ſie noch ſtehen, und kehrte ſich mit den Worten um: ich will drun- ten nicht erzehlen, in was fuͤr einer Gemuͤths-Faſ- ſung ich dich verlaſſen habe. Ueberlege alles wohl. Die Sache iſt einmal beſchloſſen. Wenn du dei- nes Vaters und deiner Mutter Segen und das Vergnuͤgen der gantzen Familie hochſchaͤtzeſt, ſo gib nach. ich laſſe dich auf einige Augenblick al- lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich dich ſo finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn dein Hertz frey von Liebe iſt, ſo laß es durch Gehor- ſam regiert werden.
Nach einer halben Stunde kam meine Mutter wieder. Sie faßte mich an die Hand, und ſagte: „iſt es mir beſcheert, daß ich mich immer ſelbſt „wegen meiner Fehler beſtrafen muß? Jch fuͤrch- „te, daß ich mir durch die Art, mit der ich mei- „nen Vortrag anbrachte, ſelbſt deine abſchlaͤgige „Antwort zugezogen habe. Jch fing ſo an mit „dir zu reden, als wenn ich eine abſchlaͤgige Ant- „wort befuͤrchtete, und durch dieſe Gelindigkeit „habe ich dich dreiſte gemacht, ſie mir zu geben.
„Sagen ſie das nicht, wertheſte Mutter!„
Sie fuhrt fort: „wenn ich ſelbſt die Gelegen- „heit zu unſerm Streit gegeben haͤtte; ja wenn „es nur in meiner Macht ſtuͤnde, nachzugeben: „ſo weiſt du wohl, wie viel du bey mir ausrich- „ten kanſt. ‒ ‒„
Was meynen Sie, liebſte Fraͤulein Howe/ kan man Luſt zum heyrathen bekommen, wenn man gewahr wird, daß ein ſo artiges und edles
Gemuͤth
L 4
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der Clariſſa.
ging weg. Allein in der Thuͤr blieb ſie noch ſtehen,
und kehrte ſich mit den Worten um: ich will drun-
ten nicht erzehlen, in was fuͤr einer Gemuͤths-Faſ-
ſung ich dich verlaſſen habe. Ueberlege alles wohl.
Die Sache iſt einmal beſchloſſen. Wenn du dei-
nes Vaters und deiner Mutter Segen und das
Vergnuͤgen der gantzen Familie hochſchaͤtzeſt, ſo
gib nach. ich laſſe dich auf einige Augenblick al-
lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich
dich ſo finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn
dein Hertz frey von Liebe iſt, ſo laß es durch Gehor-
ſam regiert werden.
Nach einer halben Stunde kam meine Mutter
wieder. Sie faßte mich an die Hand, und ſagte:
„iſt es mir beſcheert, daß ich mich immer ſelbſt
„wegen meiner Fehler beſtrafen muß? Jch fuͤrch-
„te, daß ich mir durch die Art, mit der ich mei-
„nen Vortrag anbrachte, ſelbſt deine abſchlaͤgige
„Antwort zugezogen habe. Jch fing ſo an mit
„dir zu reden, als wenn ich eine abſchlaͤgige Ant-
„wort befuͤrchtete, und durch dieſe Gelindigkeit
„habe ich dich dreiſte gemacht, ſie mir zu geben.
„Sagen ſie das nicht, wertheſte Mutter!„
Sie fuhrt fort: „wenn ich ſelbſt die Gelegen-
„heit zu unſerm Streit gegeben haͤtte; ja wenn
„es nur in meiner Macht ſtuͤnde, nachzugeben:
„ſo weiſt du wohl, wie viel du bey mir ausrich-
„ten kanſt. ‒ ‒„
Was meynen Sie, liebſte Fraͤulein Howe/
kan man Luſt zum heyrathen bekommen, wenn
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Gemuͤth
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/187>, abgerufen am 17.02.2025.
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